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(c) PESTER LLOYD / 2009 / feuilleton / 155 Jahre Pester Lloyd / Übersicht
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Im Reich der Mokkabonzen

Der Wiener Kolumnist und Bühnendichter Julius Ludassy, dem der Pester Lloyd viele treffliche Humoresken verdankt, darunter eine bahnbrechende "Philosophie des Kitsches", betrauert den Untergang des Wiener Kaffeehauses, wie sollte es anders sein, als ein Zeichen des Verfalls der Sitten und wahrlich nicht besserer Zeiten. Fast gleichzeitig ging auch Österreich unter, aber was war das gegen den Niedergang des Kaffeehauses! Einzug hält hingegen das kommerzialisierte Mittelmaß, "dass vor lauter Geld zum Bettler geworden ist." oder es erfolgt gleich die Umwandlung "in ein Bankhaus."

Die Hoffnung ist wohl unbegründet, dass angesichts der Bankenkrise die Filialen der Finanzinstitute nun wieder in Kaffeehäuser zurückverwandelt würden. Schon eher werden sie Glieder der Coffeeshopketten jener neuen "Mokkabonzen", die man heute eher als Macchiatisten bezeichnen sollte, deren Anblick unserem Ludassy jedoch erspart geblieben sind.

Julius Ludassy-Gans (1858-1922) arbeitete, was die Sachkompetenz in punkto Kaffeehäuser erklärt, für verschiedene Wiener Zeitungen, "Neues Wiener Tagblatt", "Fremdenblatt", "Wiener Allgemeine Zeitung", "Neue Freie Presse", schrieb Bühnenstücke, die wie "Der goldene Boden" von der Zensur verboten wurden, oder das Publikum derart erregten, dass Hermann Bahr von Ludassys Sozialdrama  "Der letzte Knopf" schrieb: "Es war schon beinahe eher ein Straßenkampf als eine Premiere." Der Autor verzichtete nämlich auf romantisierende Unterschichtenromantik damaliger Volksstücke zu Gunsten der deprimierenden Wahrheit. Das nahm ihm sogar die Unterschicht übel.

Julius Ludassy

Kaffeehausgrippe

Eine Wiener Elegie

1921

Der kriegerische Friede, der durch die Welt rast, vergnügt sich damit, ein Wiener Kaffeehaus nach dem anderen über den Haufen zu schießen. Jeden Augenblick tritt ein geriebener Geschäftsmann an den Mokkabonzen heran und bietet ihm eine beliebige Anzahl von Millionen dafür, daß er sein Geschäft aufgebe und sich ins Privatleben zurückziehe, oder – auch Schieber werde, Budapest ist die Stadt, die sich der meisten und prächtigsten Kaffeehäuser erfreut; Wien hat die gemütlichsten und anheimelndsten. Sie sterben aus, und wenn die grausame Kaffeehausgrippe, die schon so zahlreiche Opfer gefordert hat, weiter wütet wie bisher, dann wird die braune Quelle, die Koschitzki einst sprudeln ließ, bald ganz versiegt sein. In solchem Schwinden und Vergehen birgt sich ein tiefer Sinn. Das geistige Leben des alten Oesterreich spielte sich in seinen Kaffeehäusern ab. Der morsche Staat ist in einem Kriege, für den es in der Geschichte kein Beispiel gibt, zu Trümmern geschlagen worden. Der stolze Doppelaar, der vor jeder Tabatrafik, an jedem Amtsgebäude die Flügel spreizte und die Fänge wies, vermag nicht einmal mehr eine heraldische Zunge hervorzurecken. Das Lied, das versicherte, es gebe „nur eine Kaiserstadt, nur ein Wien“, der Gassenhauer, der mit Genugtuung betonte, „der Weaner geht net unter“, ist verklungen, vergessen. Hunger und Elend sind hier eingekehrt, Not und Verängstigung. Die Stadt, die das Reich beherrschte, ist im eigenen Lande verhaßt und zu einem Sondergebiet geworden; der ragende Stefansturm, von dessen Spitze man bis ins engverbundene Ungarn blicken konnte, schaut wehmütig auf vergrämte, abgehärmte Menschen nieder, die unerhörte Summen verdienen und sich trotzdem nicht das tägliche Brot gönnen können, die vor lauter Geld zu Bettlern werden...

 (...) Heute weiß man eigentlich nicht, warum das sogenannte Kaffeehaus seinen Namen trägt. Es gibt keinen „kleinen Schwarzen“ mehr, keinen „Kapuziner ohne Haut“, keine „kleine Gold“ und keine „Melange“. Das „mürbe Kipferl“ ist vollends zur Sage geworden. Auf den entgötterten Marmortischen ist keine Aschenschale zu finden, kein Feuerzeug, kein Zündhölzchen. Die Erquickung, die das Kaffeehaus einmal bot, wird nun „ersetzt“. Wodurch? Durch Tee. Durch leibhaftigen? Nicht doch! Auch der Ersatz wird noch ersetzt, und wie Wien zum Freudenhaus, so wird das Wiener Kaffeehaus, in dem es von Geishas wimmelt, zum Teehaus von Europa. (...)  Ja, ein neuer Geist waltet im Kaffeehaus, und er ist füglich als ein Ungeist anzusprechen. Mich dauern die Gäste, die mit enttäuschten Gesichtern an den Marmortischen sitzen und von längst entschwundenen Herrlichkeiten träumen. Sie müssen für einen sogenannten Mokka, durch den vielleicht nur eine Bohne flüchtig gezogen worden ist, vierzehn Kronen, für einen Milchkaffee achtzehn Kronen zahlen.

(...) Allerdings, auch der Eigentümer eines Kaffeehauses ist ein Mensch. Zugestanden. Er ist ein Bürger. Zugestanden. Er darf wählen, er darf auch gewählt werden. Er mag sich zum Kanzler aufschwingen, zum Präsidenten der Republik sogar. Allein es ist ihm nicht gestattet, in seinem Betriebe eine Petroleumlampe zu benützen. Solcher Unfug ist ihm sogar streng verboten. Aus welchem Grunde? Ich weiß es nicht. Ihering lehrt, daß das Recht das von der Allgemeinheit geschützte allgemeine Interesse sei. Wenn dem so ist, sollte man dann nicht meinen, die Behörden hätten den Kaffeesieder, der sein Lokal aus eigenen Mitteln beleuchten will, gegen jeden zu schützen, der ihn daran verhindern wollte? In Wirklichkeit verhalten sich die Dinge jedoch entgegengesetzt, sind die Werte umgewertet. Eben lese ich in der Zeitung, gegen das „Café Marienbrücke“ sei eine Razzia durchgeführt worden. Der Besitzer wurde mit einer Geldstrafe belegt, das Geschäft für drei Wochen gesperrt. Aehnlich erging es dem „Café Börse“. Und der Bericht fügt sich unverhohlener Entrüstung hinzu: „Auch in diesem Café wurden Salzstangel verabfolgt.“ Das Salzstangel als Verbrechen! Eine vom Umsturze noch unverkrümmte und unverkümmerte Vernunft würde es verständlich finden, wenn ein Kaffeesieder betraft würde, weil er keine Salzstangel verabfolgt...

 (Hier folgt eine längeres Totengebet auf die vielfältigen Möglichkeiten der Menschenbetrachtungim Kaffeehaus alten Stils, bevor der Autor endet:) Das Kaffeehaus, in dem ich einst die Schule gestürzt habe, ist mit einemmal verschwunden: es wird in eine Bankfiliale verwandelt. Für mich ist’s das Kaffeehaus der Jugend. Wir bildeten vor Jahren eine lustige Tafelrunde, die sich jeden Nachmittag am Lesetisch zusammenfand. Meine Freunde von damals deckt alle schon die kühle Erde... Und nun ist auch das Kaffeehaus nicht mehr, in dem wir jung und fröhlich gewesen sind...

 

(...).

__________ Stark gekürzte Leseprobe aus: ________________________________
 

Marco Schicker (Hg.)
ZUKUNFTSLAND
Die europäische Ideenwerkstatt
Pester Lloyd von 1866 bis 1938

Gezeiten Verlag, Wien 2009
Feuilletons | 272 Seiten | 12 x 21 cm
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-9502272-8-4
[D/A] EUR 21,50 | CHF 35,20

Erscheint Anfang 2009

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