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(c) Pester Lloyd / 27 - 2009 POLITIK 04.07.2009
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Hinter verschlossenen Türen

MSZP-Parteitag in Ungarn - Bekenntnis zur Linkspartei

Die Sozialisten tagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit - Parlamentspräsidentin Szili kündigt Rücktritt zugunsten des Wahlkampfes an - eine Kommission soll Wahlen vorbereiten - Bajnai redete

Heute fand in Budapest der Parteitag der in Minderheit regierenden MSZP statt. Alle im Vorfeld gehandelten Sensationen, wie der Sturz des Parteivorstandes, die Bereitschaft zu vorgezogenen Neuwahlen oder auch nur tieferschürfende, selbstkritische Debatten über die Fehler der Partei in der Gyurcsány-Ära fielen aus. Lediglich am Anfang der Tagung gab es kleinere Scharmützel um die Tagesordnung.

Mit einer "großen Mehrheit" der Delegiertenstimmen wurden die Anträge des Parteivorstandes bzw. -präsidiums angenommen. Diese beinhalten die Einsetzung einer Programm- und Wahlkommission, die inhaltliche Leitlinien für ein Wahlprogramm, de facto also eine Neuausrichtung der MSZP vornehmen soll. Außerdem sollen mögliche Spitzenkandidaten sondiert werden. Katalin Szili, die am 14. September ihr Amt als Parlamentspräsidentin aufgeben will, gilt als mögliche Listenführerin der MSZP für die kommenden Wahlen.

Die Sozialisten müssen sich für die nächsten Parlamentswahlen auf ein Ergebnis von um die 20% einstellen, bei den letzten Wahlen erreichten sie mehr als doppelt so viel. Desweiteren stellten sich die Delegierten mehrheitlich hinter die Beschlüsse der Bajnai-Regierung, votierten in einer Grundsatzabstimmung aber dafür, dass die MSZP eine Linkspartei bleiben solle, was in der momentanen Situation, in der vor allem Einschnitte ins Sozialsystem auf der politischen Agenda stehen, einer Quadratur des Kreises gleichkommt.

Ministerpräsident Gordon Bajnai, der nicht Mitglied der Partei ist, hielt auf dem Kongress eine Rede, in der er einmal mehr von der Notwendigkeit seiner politisch-ökonomischen Antikrisenmassnahmen sprach sowie ankündigte, dass im Budget für 2010, das bis November unter Dach und Fach sein soll, weitere 120 Milliarden Forint (ca. 400 Mio EUR) Einsparungen enthalten sein müssen, um die gestellten Haushaltsziele (und die Bedingungen von IWF und EU) erfüllen zu können. Allein 40 Milliarden Forint davon sollen bei den ungarischen Staatsbahnen MÁV eingespart werden. Daraus erklärt sich auch, warum Bajnai vor einigen Tagen ausgerechnet einen Fidesz-Politiker als Bahnchef berief.

Unter sich, MSZP-Parteitag ohne Hang zur Öffentlichkeit


Bajnai wiederholte ansonsten seine Ausführungen zur Krise und zeigte sich zwar zufrieden mit dem Verbot der "Ungarischen Garde", mahnte aber, dass man die Lebensbedingungen dauerhaft so ändern müsse, dass den Rechtsextremen ihre stupid vereinfachenden Argumente keine Anhänger mehr bringen. Bajnai glaubt, dass seine Politik dazu geeignet ist. Er forderte die Delegierten - angelehnt an die Terminologie des Internet - dazu auf, eine Art Sozialismus bzw. Linkspolitik 2.0 zu entwerfen, der unter den gegebenen Bedingungen das Gerechteste für die Menschen heraushole.

Zum Thema:

Flügelkampf
der lahmen Enten

Vor dem MSZP-Parteitag: Ungarns Sozialisten haben nichts mehr zu gewinnen

Während jüngere und reformorientierte Gruppen der MSZP zum Sturm auf die Parteispitze blasen, meinen die eingesessenen Parteioberen, man bräuchte nur einen feschen Spitzenkandidaten und geschlossene Reihen. Manche hoffen auf einen Linksruck, andere sagen eine langanhaltende Agonie voraus. Vorgezogene Neuwahlen sind längst nicht mehr nur ein Thema der Opposition.

ZUM  BEITRAG

Ausgleich zwischen den Flügeln schaffen

Dass der Parteitag der Sozialisten hinter verschlossenen Türen stattfindet, zeigt die Unsicherheit der MSZP-Führung, die im Vorfeld sogar ihren Sturz durch reformorientierte Kräfte fürchten musste, auch, weil eine kritische aber reinigende Generaldebatte, auf der alles und jeder in der MSZP zur Disposition gestellt werden könnte, von der Führung weitgehend verhindert wird.

Eine zentrale Frage des Kongresses war die Positionierung zu vorgezogenen Neuwahlen, sowie die Debatte über eine starke gemeinsame politische Linie für den Wahlkampf. Dazu soll eine entsprechende Kommission gebildet werden. Der gehören, nach vorläufigen Informationen u.a. Minister Ádám Ficsor (Koordinator für die Geheimdienste), der Szegeder Bürgermeister und als junge Hoffnung geltende László Botka, László Boldvai, MSZP-Chef im Komitat Nógrád, Sándor Burány, MSZP-Chef von Budapest sowie der "Kanzleramtsminister" Csaba Molnár an.

Nach den Berichten von Beobachtern, wurde eine personelle Runderneuerung ersteinmal verschoben. Zu vage scheinen derzeit noch die Alternativen zur MSZP-Chefin Ildikó Lendvai zu sein, die sich mittlerweile mit der Übergangsrolle abzufinden scheint. Fraktionschef Attila Mesterházy, der vor allem von veränderungshungrigen Provinzkadern als Kandidat für den Parteivorsitz gehandelt wurde, verschanzt sich derzeit als Verteidiger und Kommunikator der Politik des Premiers, während Sozialminister und Vizepremier Péter Kiss, der zu den Granden der Partei gehört, die "soziale Seele" der älteren Mitglieder streichelt.

Parlamentspräsidentin legt ihr Amt nieder - zu Gunsten der Partei

Bei den kommenden Wahlen, egal ob regulär oder früher, könnte der bisherigen Parlamentspräsidentin Katalin Szili daher eine wichtige Rolle zufallen. Gegenüber der Nachrichtenagentur MTI bestätigte sie, dass sie sich ab 14. September, dem ersten Tag der Herbstsitzungsperiode, als Chefin des Parlamentes zurückziehen will und sich ganz der Parteiarbeit, ergo Wahlkampf, widmen möchte. Szili könnte als Spitzenkandidatin die MSZP-Kampagne anführen. Sie galt schon bisher als relativ unabhängiger Kopf in der Partei, ihr war keine allzu große Nähe zu Gyurcsány nachzusagen, was sie auch innerhalb der Partei als Kompromisskandidatin möglich macht. Szili gilt auch persönlich als sehr ehrgeizig und machtbewusst, ihre Beliebtheitswerte in der Bevölkerung sind - für einen sozialistischen Politiker - immerhin akzeptabel. Schon kürzlich versuchte sie, Bürgermeisterin von Pécs, einst eine MSZP-Hochburg, zu werden, unterlag aber klar gegen den Fidesz-Kandidaten. 2005 kandidierte sie auch für das Präsidentenamt, sie ist seit 2002 Präsidentin des Ungarischen Parlamentes. Szili betonte immer wieder, dass ihr Engagement sich um das "soziale Minimum" für alle Teile der Gesellschaft dreht. Eine Mitarbeit in der Wahlkommission lehnte sie ab und begründete das damit, dass sie lieber als Angehörige des linken Flügels die Partei erneuern will, statt auf Sitzungen zu versauern.

red.

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