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(c) Pester Lloyd / 31 - 2009 STADTLEBEN 28.07.2009
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Grabesstille am Broadway?

Gegen eine Sperrstunde in Budapest VI. regt sich Widerstand

Bezirksobere wollen ab September den VI. Bezirk von Budapest, Terézváros, in eine provinzielle Steinwüste verwandeln und ihm eine höchstamtliche Nachtruhe verordnen. Im ganzen Bezirk, einschließlich Liszt Platz und "Pester Broadway" um die Nagymezö utca, sollen die Lokale ab 22 Uhr geschlossen bleiben. Doch die Stadtbezirksbürokraten haben die Rechnung ohne die Wirte und vor allem deren Gäste gemacht. Denn die gehen jetzt auf die Barrikaden.

Man möchte sich das noch gar nicht vorstellen müssen. Geht es nach den Plänen der Schlafmützen des Stadtbezirksrates von Terézváros, dann herrscht ab 1. September 22 Uhr in weiten Teilen des Pester Nachtlebens Grabesstille. Der Liszt-Platz, im Sommer ein Terrassenmeer, der Broadway mit seinen Theatern und Absturzclubs, ein wichtiger Teil des Rings und etliche Nebenstraßen mit ihren innovativen Lokalen, Szenetreffs und Geheimtipps bis hin zum Prachtboulevard Andrássy mit der Ungarischen Staatsoper, Király utca etc. wären davon betroffen. Ausnahmen soll es ausgerechnet für einige Tankstellen und Hotelbars geben. Einzelne Lokale könnten sich jedoch, so der schwache Trost, um eine erweiterte Lizenz bewerben und Ausnahmegenehmigungen erteilt werden.

Man kann jetzt lange nach Argumenten für eine solche Maßnahme suchen, von der in Budapest ständig diskutierten Zurückdrängung der Prostitution aus dem Bezirk bis hin zur Lärmbelästigung. Es sind keine. Alles was man anführt, wird durch die Tatsache entkräftet, dass Budapest eine Metropole ist, der VI. Bezirk mittendrin liegt und daher alles dorthin gehört, was nun einmal in einer europäischen Hauptstadt lacht und trinkt, tanzt und stinkt, kräucht und fleucht. Regeln muss es geben, aber die sind eben da, um etwas zu regeln, nicht etwas zu stoppen. Es hat nicht lange gedauert, da regte sich in Bezirk und der ganzen Stadt, natürlich vor allem unter den jungen Leuten, heftiger Widerstand, eine regelrechte Bürgerbewegung entstand, vielleicht bekommt man sowas ja vielleicht auch eines Tages gegen die "Garde" und ähnliches zu Stande.

Wirte, Theaterleute, Nachtschwärmer schlossen sich zusammen und starteten Protestaktionen von symbolischen Besetzungen über Unterschriftenaktionen bis hin zu der Ankündigung, die Sache vor das Verfassungsgericht zu bringen. Zwar ist das Recht auf ausschweifendes Amüsement nicht einmal in Ungarn verfassungsmäßig verankert, aber nicht das Recht zur Gängelung. Dafür gibt es das Recht auf Gleichbehandlung schon. Und den Wirten des Liszt Platzes steht, wohlgemerkt grundsätzlich, die gleiche Gewerbefreiheit zu wie allen anderen Wirten im Land. Daher stünden die Chancen, die ganze Sache notfalls gerichtlich kippen zu lassen, gar nicht mal so schlecht.

Im Gegensatz zum Nachtleben sollten sowieso lieber die Stadtoberen des VI. Bezirkes schweigen. Eine ganze Riege von ihnen, vornehmlich MSZP und SZDSZ-Vertreter haben nämlich den Staatsanwalt wegen des Verdachtes auf betrügerische Immobiliengeschäfte am Hals. Da liegt die Vermutung nicht ganz fern, dass man sich mit Hilfe der angekündigten "Sondergenehmigungen" wieder einmal einen schönen Nebenverdienst sichern könnte. Böse Zungen behaupten, die Aktion sei von der Váci utca-Mafia des V. Bezirkes eingefädelt, um das Night-Life-Monopol erlangen zu können. Was auch immer dahinter steckt, es gehört verhindert.

Ein Meinungsforschungsinstitut hat diese Woche eine entsprechende Umfrage veröffentlicht, die eindeutig sagt, was die Bürger des Stadteils wollen. 83 Prozent gaben ausdrücklich an gegen eine Neuregelung der Öffnungszeiten zu sein, nur 15% tragen den Vorschlag der Bezirksverwaltung mit. 85% der Bürger finden, dass ein buntes Nachtleben die Attraktivität der Hauptstadt generell erhöht, 90% meinen, es ist eine gute Sache, wenn man auch später am Abend noch auf ein Bier draußen sitzen darf. Lediglich 10% meinen, der Lärm stört. Selbst bei den über 60jährigen, also der Generation Hausmeister, sind fast zwei Drittel, 65%, gegen Beschränkungen bei den Öffnungszeiten, bei den 18-29jährigen sind es, nicht ganz überraschend, 96%.

Vielleicht denkt ja die Bezirksverwaltung noch einmal nach, was ihre Aufgabe ist und wer ihre Wähler sind. Eine Zahl könnte dabei vielleicht noch helfen. Die Wirtschaftskammer hat vorgerechnet, dass dem Bezirk mindestens 100 Mio Forint an jährlichen Steuereinahmen, durch den Rückgang oder die Pleite von Geschäften, entgehen könnten (ca. 370.000 EUR). Den langfristigen Schaden, z.B. durch die Abwanderung weiterer Betriebe oder dadurch, dass manche Investoren, z.B. Hotels und andere gleich einen Bogen um die Terézváros machen könnten, hat noch niemand errechnet. Vielleicht wird das auch gar nicht mehr nötig sein.

red.

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