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(c) Pester Lloyd / 33 - 2009 feuilleton
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Thomas Mann

Anläßlich seines ersten Besuches in Budapest

von Ernst Lorsy

Pester Lloyd, 6. Dezember 1913

Der norddeutsche Schriftsteller, der uns heute abend einiges aus seinen Werken vorlesen wird, hat sich nie und in keiner Weise um das Publikum gekümmert. Er wollte es ihm nicht recht, er wollte es ihm auch nicht zuwider machen. Rücksicht auf es verleitet ihn weder zu Zugeständnissen, noch zu Schroffheiten. Er ging seinen Weg. Und man folgte ihm.

Die zahlreiche und stattliche Gefolgschaft, um deren Gunst er sich nie beworben hatte, führte er sicher auf beschwerlichem Wege. Die stetig wachsende Gemeinde empfing von ihm nicht, was sie begehrte, sondern was ihr nottat; denn dieser Führer, der ohne Fühlung zu nehmen ihr voranschritt, besaß dennoch und glücklicherweise ein Gefühl für ihre Bedürfnisse, wie sie glücklicherweise Witterung für seine Gaben und Geschenke hatte. Thomas Manns Schriftstellertum und Schriftstellerlaufbahn mögen pessimistische Betrachter unserer Literaturepoche beschwichtigen: von diesem Triebe wenigsten darf man auf seine kranke Wurzel schließen. Den Verfasser des „Todes in Venedig“ haben freilich Stupidität und Scharfsinn wetteifernd als Verfallserscheinung, als ein aus Gesundheitsrücksichten unbedingt zu Unterbindendes hingestellt; zu unrecht, wie uns scheint. Ihr Aufwand genüge knapp, den Dichter des Verfalls in ihm zu betonen: daß es jedoch der innere Verfall sei, der ihn zum Verfall zieht, gelang ihnen nicht und konnte ihnen nicht gelingen zu beweisen. Der aus ferner Zukunft auf die Literatur unserer Tage Zurückschauende würde irren, wenn er der Fülle von Broschüren Glauben schenkend folgerte, daß Thomas Mann im Jahre 1913 den Deutschen ein Problem gewesen war: er war vielmehr einer ihrer wenigen starken Gewissheiten gewesen.

Das Ungarische Theater in Pest, einer der Auftrittsorte von Thomas Mann
in Budapest zwischen 1913 und 1937

Die „Buddenbrooks“ waren schon seit geraumer Zeit der Sphäre der Diskussion auf Rang und Geltung entrückt, sie waren in das Netz der deutschen Kultur endgültig eingeschaltet, jeder Tag brachte sie in neue Kontakte und der Strom des deutschen Kulturlebens, der durch sie streifte, sorgte selbst für ihre Lebendigkeit. Es war klar, daß der Geist der Gediegenheit und der Sammlung in diesem Werk Form geworden war, der zugleich der Geist der Geradheit und Wahrhaftigkeit, ein durchaus deutscher Geist war. Die Gediegenheit und die Sammlung fühlten sich auch wirklich zu ihm hingezogen und die auf sich gestellte Reife langte aus dem tätigen Leben, in dessen Mitte sie stand, nach Thomas Manns ernstem und schwerem Buch, in dem sie neben Abenteuern und Unterhaltung mehr als diese beiden fand: nämlich ein mitfühlendes, wiewohl überlegenes Wesen, Klärung und Erklärung ihrer Zweifel und schließlich Erbauung und Läuterung durch Weisheit und Kunst. Der gute Geist aller Literatur war in diesem in äußerster Sorgfalt erarbeiteten, an durchgreifender Organisiertheit dennoch keinem Gewachsenen nachstehenden, diesem zugleich schlauen und selbstverständlichen Buche am Werke gewesen: der Geist der unerbittlichen Strenge gegen sich selbst, der Reinheit fordert und Zucht schafft. Dieser Geist hat die Zeit bezwungen, er hat ihr ihre Epik Schritt für Schritt abgetrotzt, er hat sie, mühevoll und siegreich gegen sie selbst ankämpfend, gleichsam gegen ihren Willen, gestaltet. Wie glückten die „Buddenbrooks“? Indem aller Gast aus den Überlieferungen deutscher Epik, alles Leben, das aus den tragischen Ruinen des Naturalismus blühte, alle Kraft des empfindsamen Jahrhundertendes in den sittlich und künstlerischen Willen des Schriftstellers zusammenschoß, der fest auf das Einzige Ziel gerichtet war: einen deutschen Roman zu schaffen.

Und die „Buddenbrooks“ entstanden: ein deutscher Roman, so sicher als „Die Wahlverwandschaften“ und „Der Grüne Heinrich“ es sind. Sie standen da, schwer, voll, geschlossen, eine Welt für sich. Diese Welt hatte ihren eigenen Mittelpunkt, dem alles in ihr zustrebte, auf den alles gerichtet war, die Fäden, die in die übriggebliebene Welt wiesen, waren durchschnitten und sämtlich untereinander verknüpft. In dieser Welt wimmelte es von gestalten und um die hundert Mensnchenköpfe zitterte eine Atmosphäre, die sie uns bis in ihre feinsten Beziehungen vertraut machte. Ein Geschlecht lebte und starb vor uns. Man aß, trank, hoffte, zagte, streite, feierte, arbeitete, stritt und versöhnte sich, kämpfte und siegte, litt und unterlag vor uns, und wir sahen, nicht etwa von ferne zu, wir waren vielmehr an allem freudvoll und schmerzvoll beteiligt, schickten unsere Seele auf die große Bühne agieren, die vor ihr aufgeschlagen war, und deren Wirkung sie sich, mochte sie nun beruhigend und beruhigend sein, auf keine Weise entziehen konnte.

Der Meister all der Gestalten übte ein straffes und in seiner Sicherheit beinahe befremdendes Regiment über ihnen; er kannte sie von innen und außen, so gut wie man nur sich selbst kennen kann, und doch so wie man sich selbst eigentlich nie kennen lernt. Es war in einem ganz merkwürdigen Verhältnis zu diesen Gestalten, das von Vertrautheit und Distanz zu gleichen Teilen bestimmt war und in einer nie versiegenden ironischen Unterströmung unter dem gleichmäßigen und glatten Flusse der Schilderung zutage trat. Diese Ironie schloß weder Mitleid noch wärme aus, sie war vielleicht nur der Ausdruck einer schmerzenden Klarsichtigkeit, der sein Fältchen und seine Zuckung der Menschenfinder verborgen blieb, die vor ihr lebten und vergingen. Sie baute sie auf aus einer großen Anzahl von Einzelheiten, die von strenger Wahrheit waren und untadelig zueinander passten, die in einander und durch einander lebten und alle sogleich gegenwärtig wurden, als die Gestalt, der sie anhafteten, auftrat. Und trat man dicht an sie heran, woraus bestanden diese bis zur Monumentalität lebendigen Gestalten, wie waren sie gebildet und zusammengesetzt? Ach, es waren nur Worte, schwere, kantige deutsche Worte, in denen sie Erscheinung wurden, dieselben, die so oft kraftlos auseinanderfielen, ohne die Schatten, die sie aus Augenblicke heraufbeschworen haben, bannen zu können. Es waren dieselben Worte, nur gleichsam durch einen Zauber erhöht und über sich selbst hinausgehoben. Sie waren gedämpft und gesittet und dann durch die Nachbarschaft wieder zur ungeahnten Geltung gesteigert. So entstanden ganze Gefüge von einer neuartigen und eigenartigen Prägung, die aber eben Kraft ihrer fabelhaften Bestimmtheit und unbedingten Eindeutigkeiten jede Regung des Widerspruches niederschlug.

Diese Worte, Sätze, Abschnitte, Kapitel waren fertig, und so wie sie vor uns lagen, haftete ihnen unverkennbar der Charakter des Notwendigen an. Sie waren die Träger einer adeligen Objektivität, in ihrer Einfachheit stellten Menschen, Gefühle, Verhältnisse, Vorgänge sich selbst dar, begrenzten sich selbst in ihrer Schärfe. Sie waren Lebewesen, denen man die Luft ihres Schöpfers noch anmerkte der so unvergleichlich schön von der Wonne des Schreibens zu sprechen wußte. Es waren „unvergesslich und flammend richtig an ihrem Platze stehende Worte“, „scharf und blinkend gefügt“, vielleicht in der blitzhellen Erleuchtung eines Augenblicks getroffen, vielleicht in mühsamer und aufreibender Jagd erhascht, mit ermüdendem Gehirn aufgegangen aus dem flüchtenden Schwarm der Assoziationen, vielleicht mit dem beschwichtigten Fleiß des Gelehrten erspäht und entdeckt in ihrem entfernten Verstecke: gleichviel, es war eine süße Luft, sie zu suchen und zu finden und einzusperren in eherne Gefüge und die unentrinnbaren zu betrachten… Und unser Genuß ist fein und geistig und so verhaltenen Atems, wie Zirkusbesucher den Akrobaten genießen, der alle seine Glieder frei und schön zu regen weiß. Wie unsere Gliedmaßen im geheimen dem Künstler auf dem Trapez nacheifern, fliegt unser Sinn mit Thomas Mann, der, ganz anders wie wir, nie um das richtige Wort verlegen ist, der sich vielmehr von aller Schüchternheit und Lassheit befreit hat, der nun das Schwierigste todsicher greift und alles zwingt, was ihm die ewig flutende Masse der Erscheinungen zuschwemmt. Thomas Mann hat gepflügt und geackert und die Saat ist ihm in bleibender Gesundheit aufgegangen. Ein Stück Welt, belebt mit Menschen, ein Stück Deutschland, Lübeck, die Hansestadt hat er eingefangen: er hat dem Leben neues Leben geschenkt, er hat den Menschen ihr Vaterland noch einmal gegeben, er hat sie ihm so fest verbunden, wie nur irgendeine bittere Notwendigkeit. Man muß die Bedeutung der Literatur nicht überschätzen, um zuzugeben, daß die Hälfte des tiefen Heimatgefühls der Russen in zehn russischen Büchern beschlossen ist. Auch das deutsche Heimatgefühl hat tiefe Wurzeln in die deutsche Dichtung gesenkt, und deutsche Dichtung ist nicht nur „In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrand“, sondern auch der Roman von dem Verfall der hanseatischen Patrizierfamilie Buddenbrook. Wenn irgendeine Schrift, so übt dieses feine und bedingungslose Kunstwerk innere Kolonisation.

Neben „Buddenbrooks“, in denen ein solider, reicher und vornehmer Geist sich in vorbildlicher Allseitigkeit und Totalität offenbart, erscheinen alle anderen Arbeiten Thomas Manns als Vorarbeiten und Nebenarbeiten: die Novellen, in denen Motive aus „Buddenbrooks“ angeschlagen und weitergesponnen werden, „königliche Hoheit“ wo das Problem der „Buddenbrooks“ transponiert und sublimiert wird, der dramatische Essay „Fiorenza“ und endlich auch „Tode in Venedig“, in dem Manns Künstlertum sich selbst zum Problem wird. In der Totalität der Buddenbrooks-Welt hatte der Künstler sein Plätzchen, aber auch die Weltanschuung kam in Thomas Manns Werk zu Wort, der der Künstler – ganz im Geiste der deutschen Romantik – Mittelpunkt und Maß des ganzen lebens war, das sich in seinen Schicksal sinnbildlich spiegelt. In Gustav v. Aschenbachs Tod in Venedig hat Thomas Mann das Motiv von der Berührung des Lebens mit dem ganz an sein Werk hingegebenen Dichter bis zum letzten, bittersten Bodensatz ausgeschöpft: der stürmische Widerhall, den diese Novelle – übrigens ohne Zweifel ein vollendetes Kunstwerk – herausgefordert hat, zeugt dafür, daß ihr die Kraft innewohnt, menschlich stark zu packen.

Nicht Widersprüche in diesem Kunstwerk sind es, die zum Widerspruch auffordern, sondern seine unerbittliche Folgerichtigkeit, seine jeden Einwand abschüttelnde innere Wahrheit, durch die grübelnde Ungenügsamkeit und ohnmächtiger Spott sich zum Angriff gereizt fühlen. Thomas Mann im ausgelösten, verzweifelten Sichhingeben des alternden Künstlers an die verlockende (in der göttlichen Anmut einer fremden Knabengestalt erscheinende) Schönheit sein Künstlertum enthüllt, verraten, preisgegeben hätte? O nein, dessen Geheimnis ist ihm selbst nicht bekannt, er hat es uns und sich selbst nicht zum letztenmal als Rätsel aufgegeben. Das Angreifende, Wundenschlagende von Manns letzter Novelle liegt darin, daß hier auch ein wundervoll feiner, scharfer, und unbestechlicher Intellekt eingesetzt wird, dessen gerade intellektuell unanfechtbare Arbeit: ein restlos ausgeführte Seelenanalyse des Helden, die Kunst vielleicht aus eigenen Mitteln nicht nachschaffen könnte. Aber die Kunst hat sich dieses großen Intellekts und der staunenswerten Arbeit seiner Anstrengung aus eigener Machtvollkommenheit bemächtigt, sie hat ihn ganz durchdrungen und sie spricht durch ihn zu uns. „Der Tod in Venedig“ beweist nur, daß die feinsten Methoden der Seelenanalyse, die Künstlern von geringem Selbstbehauptungstriebe so gefährlich werden können, einem Künstler von dem hohen geistigen Range Thomas Manns seltene und kostbare Früchte tragen. Die Frage, ob es noch Kunst ist, die einer solchen Fülle rein vernunftgemäßer Element bedarf, ist müßig: aber dürfen wir vielleicht fragen, ob es nicht etwa eine Erhöhung der Kunst bedeutet, daß sie diese Elemente in sich aufnimmt, ohne daß sie ihrer Lauterkeit etwas anhaben können? Und hat vielleicht die Zeit nicht Anrecht auf eine Kunst, der die wichtigsten Lebensäußerungen dieser Zeit unverloren sind?

Thomas Mann arbeitet nicht für seine Zeit: ihr gehört er nur an, wie die großen Musiker und Architekten, deren formgewaltiger, strenggliedernder Kunst die seine so verwandt ist. Er hat die ganze Kultur Deutschlands zur Voraussetzung, aber Goethe und Bismarck nicht mehr, als Dickens und Flaubert. Eine Blüte der deutschen Kultur ist er und Beweis für ihre Gesundheit: ein Schriftsteller für Mündige, eine sittliche Potenz und ein Bringer erlesener Genüsse. Die Nennung seines Namens beschämt Amüseure und Amüseurentum.

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