(c) Pester Lloyd / 36 - 2009
WIRTSCHAFT 05.09.09 _______________________________________________________
Abrechnung statt Kalkulation
Der Fidesz in Ungarn verläuft sich im Irrgarten "nationalkonservativer Wirtschaftspolitik"
Da der Fidesz, Ungarns nationalkonservative Oppositionspartei, im Frühjahr 2010 die Macht im Lande übernehmen wird, sollte sich die Partei eigentlich
für den Staatshaushalt 2010 interessieren, der gerade ausgehandelt wird. Stattdessen übt sich Orbáns Partei in der erprobten Rolle der totalen
Ablehnung. Der mögliche neue Wirtschaftsminsiter zeichnet jedoch die Skizze eines undurchführbaren Gemischs aus Wirtschaftsliberalität und
protektionistischen Anwandlungen, durchsetzt von etlichen Widersprüchen. Sogar das Gruselwort Verstaatlichung kommt darin vor.
György Matolcsy, wahrscheinlicher Wirtschaftsminister der nächsten Orbán-Regierung, am
Balaton mit jungen Fidesz-Anhängern. Foto: fidesz.hu
Nur die Reichen werden noch in Ungarn leben können...
Mit den üblichen Anschuldigungen mischt der Fidesz, in Person des
Fraktionsvorsitzenden im Parlament, Tibor Navracsics, in der Debatte um das Budget 2010 mit, dass derzeit den Marsch durch die Instanzen absolviert. "Der
Haushaltsplan von Premier Bajnai ist ein Rückfall ins Jahr 2005. Es passieren wieder die selben Dinge: die Sozialisten verschweigen die Wahrheit über die Lage
der Ökonomie und versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen." sagte er auf einer Pressekonferenz in dieser Woche. "Ministerpräsident Gordon Bajnai hat damit
selbst den Beginn der Wahlkampagne ausgerufen", unterstellte Navracsics, "auch wenn er noch nicht offenbarte, welche Rolle er darin spielen will, klar ist, dass er
die MSZP unterstützen wird." Der Premier hätte wahrscheinlich auch den Fidesz selbst den Haushalt ausarbeiten lassen können, diesen vorprogrammierten Vowurf
hätte er auch so nicht verhindert. Der Fidesz-Politiker meint, dass die Sparmaßnahmen der Regierung an der völlig falschen Stelle ansetzen. "Man nimmt
den lokalen Verwaltungen das Geld weg, damit werden öffentliche Dienstleistungen für die Bürger unzugänglich", so sein Statement. Dies bedeute,
"das Leben in Ungarn wird im nächsten Jahr noch schwerer. ... Nur die Reichen seien dann noch in der Lage ein normales Leben in Ungarn zu führen."
Konkrete Änderungswünsche nannte er nicht, dies tat dafür ansatzweise der
Wirtschaftsminister der ersten Orbán-Regierung von 1998-2002, György Matolcsy, der diesen Posten wahrscheinlich auch wieder übernehmen wird. Er äußerte sich
während eines Sommerlagers der Fidesz-Jugendorganisation in Balatonszárszó am 3. September zu Wirtschaftsfragen, allerdings weit von einem wirklichen Plan
entfernt. Seine Ausführungen verheddern sich nicht nur in ökonomischen Widersprüchen, sondern sind vor allem wahlkampfgesteuert. Sie zeigten die
Unmöglichkeit einer "nationalkonservativen" Wirtschaftspolitik in einem vereinigten, auf Liberalität (im Guten wie im Bösen), eingeschworenen Europa.
Ob der Fidesz sich seines Sieges so sicher sein kann, dass er nicht einmal ein schlüssig formuliertes Wirtschaftskonzept vorlegt? Dass der Fidesz in seiner
Regierungszeit von der allgemeinen Erholung der Weltwirtschaft profitieren wird, ist wohl schon einkalkuliert.
Die juristische und gesellschaftliche Generalabrechnung mit "den Sozialisten", ein
Lieblingsthema der Rechtskonservativen, stand auch bei seinen Ausführungen am Anfang. Er unterstellte der jetztigen Regierung "schwere Sünden" und "Straftaten"
am Land, die es zu ahnden gilt. Die Wirtschaftspolitik der Gyurcsány-Bajnai-Ära habe dazu geführt, dass Ungarn im internationalen Ranking der
Wettbewerbsfähigkeit von Platz 29 auf Platz 62 zurückgefallen sei. Von wirklichem Wachstum habe man das Land auf Jahre entfernt, die Staatsverschuldung werde bald 100% der Wirtschaftsleistung ausmachen.
Wirre Mischung aus Staats- und Marktwirtschaft
Unabhängig der Risiken für die Währung und die damit zusammenhängenden
Kosten für Fremdwährungskredite meint Matolcsy generös, man werde "in kurzer Zeit" den Leitzins auf bis zu 5,5% absenken, um die Kreditvergabe an
Unternehmen anzukurbeln. Was er macht, wenn der Forint dann wieder auf 320 rauscht, sagte er nicht, ganz nebenbei setzte er mit dieser Aussage auch die
Unabhängigkeit der Nationalbank als Währungshüter außer Kraft. Desweiteren wolle man höhere Anreize für den Bau eines Eigenheims oder den Kauf einer
Wohnung schaffen, u.a. durch besondere Zuschüsse für junge Familien und eine Novelle der Grundsteuer. Auch andere Rücknahmen aus Bajnais Sparpaket und
eine neue Steuerreform, "die wirklich entlastet", will der Fidesz umsetzen. Mit welchem Gelde, wissen wir noch nicht, sind aber überzeugt davon, dass er es selbst auch noch nicht weiß.
Unterschwellige Drohung an ausländische Investoren?
"Das wichtigste Ziel" aber, so Matolcsy, sei die "Zurückgewinnung von
strategischen Industrien, die durch die Sozialisten in ausländische Hände gegangen sind." Er ließ zunächst offen, wie die Maßnahmen des Fidesz aussehen sollen,
wenn die ausländischen Hände sich nicht von selbst öffnen sollten. Er sagte lediglich, es wird eine "schwierige Aufgabe". Die mitschwingende Drohung kann
zwar im Lichte der EU-Einbindung getrost als ideologisches Wahlkampfgetöse verbucht werden, eine Angst vor Enteignungen ist sicherlich nicht begründbar.
Dennoch sollte man beim Fidesz auf zukünftige Benachteiligungen ausländischer Unternehmen bei Ausschreibungen und/oder Förderungen gefasst sein.
Engagement aus dem Westen könnte in Zukunft auch auf eine Art patriotischen Mehrwert hin geprüft werden. Eine Aufgabe für die Marketing- und Investors Relation-Abteilungen also.
Durch die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen sollen "in den
nächsten zehn Jahren" bis zu einer Million neuer Arbeitsplätze entstehen. Ungarn hat zwar nichtmal so viel Arbeitslose, aber dafür eine der niedrigsten
Beschäftigungsraten in Europa, Handlungsbedarf bestünde also. Vor allem erneuerbare Energien für die "Post-Erdöl-Ära" sollen gefördert werden. Ein Satz,
der bei keiner Partei im Programm fehlen darf. Der Fidesz ist auch dazu entschlossen das Haushaltsdefizit auf deutlich über 5% anwachsen zu lassen, um
die Krise zu bekämpfen. Auch hier bleibt man schuldig, wie man dann mit den zu erwartenden Sanktionen durch EU und IWF umzugehen gedenkt, die Ungarn in
der Not mit viel Geld zur Hilfe eilten. Aber Matolcsy will ja auch Wirtschafts-, nicht Finanzminister werden.
red.
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