(c) Pester Lloyd / 35 - 2009
MUSEEN & GALERIEN 01.09.09
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Nazigucken in der Zitadelle
"Bunker 1944" eine Ausstellung in Budapest zwischen Aufklärung und Nazikitsch
Ein deutscher Soldat in Uniform empfängt die Besucher gleich am Eingang. Schick sieht er aus in seinem kleinen, schwarz-weiß-roten Grenzhäuschen,
sein Blick ist nur ein wenig starr. „Bunker 1944“ so nennt sich eine kürzlich eröffnete Ausstellung in der Zitadelle des Gellértberges. Wachsnazis in allen
Kampf- und Lebenslagen und Fotos aus dem Kriegsjahr 1944, Filmdokus und ein dreistöckiger Luftschutzbunker im Originalzustand. Der Wunsch,
Aufsehen zu erregen, um so viele Besucher wie möglich anzulocken, bestimmte das Konzept.
Nazi Horror Picture Show? Wachsfiguren in der Zitadelle
Die Ausstellung verteilt sich auf 750 Quadratmeter mit 17 Räumen. Die Zitadelle
stammt aus dem Jahre 1885 und wurde 1943 zum Luftschutzbunker umgebaut. 1944 sollte sie dann von heftigen Kämpfen heimgesucht werden. Das
Werbekonzept der Ausstellung könnte mit dem Titel „Auffallen um jeden Preis“ nicht treffender bezeichnet werden. Die Besucher erschrecken und ihre
Neugierde wecken, diese Ziele stehen dabei an vorderster Front. Was steckt jedoch hinter dieser Aufmachung? Wachsfiguren und Fotos aus dem Kriegsjahr
1944, ein dreistöckiger Luftschutzbunker im Originalzustand, langweilig klingt das eigentlich nicht. Zudem sind der Gellértberg samt Zitadelle, in deren Innern das
Museum liegt, ein geradezu magischer und viel besuchter Ort, der ohnehin viele Schaulustige anzieht.
Gruselkabinett, Propagandastätte oder Nazikitschmuseum?
Unten in den Räumlichkeiten der Zitadelle ist es dann dunkel, kalt und feucht. Die
dicken Wände verschlucken jedes Echo und es tropft von der Decke. Niemand würde sich wundern, wenn das Museum ein Gruselkabinett wäre und das stetige
Geräusch der Tropfen aus Boxen käme. Bald aber lichtet sich der Raum und der Besucher erblickt nationalsozialistische Propagandaplakate sowie eine Vielzahl
militärische Abzeichen. In einem anderen Raum sind Fotos ausgestellt, die ausnahmslos Kinder zeigen.
Zunächst erwartet man die altbekannten Fotos des Schreckens und tatsächlich:
Hungernde deutsche und ungarische Kinder sind zu sehen, einige von ihnen als Juden gekennzeichnet. Das Arrangement der Fotos wirkt chaotisch, neben den Hungernden
werden auch auf einem Friedhof spielende Kinder gezeigt. Außerdem wurde das eine Foto in Ostpreußen, ein anderes in Budapest gemacht. Dennoch versteht der Besucher,
dass es hier um die Veranschaulichung des Leids aller Kinder geht, die unter den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges zu leiden hatten.
Aufarbeitung der Vergangenheit Ungarns (Kriegsjahre)
Bemerkenswert ist eine Tafel, welche den jugendlichen Unabhängigkeitskämpfern
von Serbien und Rumänien, die gegen Ungarn aufbegehrten, Respekt erweist. Diese Geste ist insofern interessant, weil das politische Verhältnis zu beiden
Ländern unter anderem auf Grund der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg schwer belastet ist und die kleine Beschilderung somit als ungewöhnliches Zeichen der
Versöhnung fungiert, auch wenn es in diesem Rahmen deplatziert ist. Anschließend widmet sich der Besucher den Wachsfiguren: Soldaten werden in
alltäglichen Situationen gezeigt, beim Arzt, im Büro oder einfach nur im Bett. Das entspricht schon eher dem, was man nach dem Werbeplakat erwartet, ernste
Männer in Kriegsmontur. Im Hintergrund prangt immer wieder das Hakenkreuz und auch mal eine SS-Fahne. Eine Darstellung, die suggeriert es handelte sich um
ganz normale Soldaten bei der Ausübung ihres Berufes.
Das zerstörte Budapest, der Holocaust und das „Schicksal“ der Pfeilkreuzler nach der sowjetischen Befreiung
Bei den anwesenden Besuchern scheint diese Art des Ausstellungsarrangements
nicht einfach nur durchzusickern. Sie diskutieren lautstark, was sie in der Ausstellung erblicken. Es ist durchaus interessant, die ungarischen Uniformen von
damals zu sehen, die deutschen kennt man ja aus diversen amerikanischen Kriegsfilmen oder sogar vom eigenen Großvater. Ausgeschlossen ist auch nicht,
dass einige das hier ziemlich "cool" finden werden. Nazigucken in der Zitadelle.
Blick von der Zitadelle auf dem Gellért Berg
In weiteren Räumen kann sich der durch die
Diskussionen nun etwas gelöste Besucher noch mit dem Holocaust und in diesem Zusammenhang mit dem „Schicksal“ der ungarischen Nazis, den Pfeilkreuzlern, befassen. Dabei erfährt er auch einiges über
die konkreten Geschehnisse von 1944 in Budapest und den Ablauf der sowjetischen Invasion bzw. Befreiung. Neben zahlreichen Exponaten, wie Orden, Fahnen und Waffen
sind Archivaufnahmen zu besichtigen, die allesamt vom HistorikerKrisztián Ungváry zusammengestellt wurden. Die Sammlung reicht von teilweise bekannten
Aufnahmen des zerstörten Budapests und des Kriegselends bis zu Persönlichkeiten in den ungarischen, deutschen und sowjetischen Armeen, deren Schicksale auf beistehenden Schildern veranschaulicht werden.
Eine Ausstellung wie „Bunker 1944“ wird ihr Publikum finden, welches auch
immer. Eine Ausstellung dieser Art wäre z.B. in Deutschland heute völlig undenkbar und allein der Umstand, dass die Endkämpfe um Budapest, mit der auf
der Burg eingekesselten SS-Division und den als Kanonenfutter benutzten ungarischen Verbänden, heute immer noch von Neonazis zur heldenmütigen
Verklärung missbraucht werden, hätte den Ausstellungsmachern ein Hinweis sein müssen, um Themen wie Fanatismus, Massenwahn und Totaler Krieg als
Auslöschung alles Menschlichen zu thematisieren. Die fragwürdige Mischung von Nazikitsch und durchaus interessanten Informationen lässt auf alle Fälle einen
fahlen Beigeschmack zurück und sei es nur der mangelnder Professionalität. Der Wunsch, Aufsehen zu erregen, um so viele Besucher wie möglich anzulocken,
überwog. Eine fahrlässig schwache Leistung, 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, erst Recht angesichts der Situation in Ungarn.
red.
Citadella Ausstellung „Bunker 1944“
Adresse : 1 Citadella Sétány, Gellért Hill, Budapest 1118 9-19 Uhr an Werktagen und von 8-22 Uhr an Sonn- und Feiertagen 1200,- Ft (ca. 5,- Euro), Kinder bis 14 Jahren haben freien Eintritt
Kontakt : www.citadella.hu Tel.: 0036-1-2791963
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