(c) Pester Lloyd / 37 - 2009 POLITIK 07.09.09
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Gefährliche Leidenschaften
Szekler erklären die territoriale Autonomie von Rumänien
Dass die Szekler, ein magyarisches Volk in Rumänien, ihre kulturelle Autonomie einfordern, ist zum wiederkehrenden Ritual geworden und wäre
nicht so heikel, wenn Funktionäre der Ungarnparteien in Rumänien diese Forderung nicht auch mit jener nach territorialer Unabhängigkeit verbänden. Doch genau das taten sie am Wochenende einmal mehr, zu
einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Verdacht auf eine gezielte, auch ferngesteuerte, Provokation liegt nahe.
Vor rund 400 Anhängern wurde am Wochenende
ein neuer Staat geboren. So könnte man meinen, wenn man die Inaugurationen von Hymne, Wappen und Flagge in Odorheiu Secuiesc (ung. Székelyudvarhely, dt. Oderhellen)
mit angesehen hat, jener Quasi-Hauptstadt der Szekler im Kreis Hargitha in Siebenbürgen. Die Szekler wollen die Katalanen Rumäniens werden und nicht nur ihr eigenen Zeitungen
herausbringen, ihre Sprache sprechen und in der Schule unterrichten, eigene Vereine gründen und ihre lokalen Angelegenheiten selbst regeln. Denn das dürfen sie jetzt schon, auch
wenn es bei der Lokalverwaltung zuletzt heftigste Friktionen mit der rumänischen Zentralgewalt gab, die etliche Regionalbeamte kündigte, zufällig alles ethnische Ungarn,
weshalb man hier schnell von "ethnischen Säuberungen" sprach. Oder eigentlich: sprechen ließ. Denn die Lage der Ungarn in Rumänien wird im "Kernland" nicht
nur interessiert beobachtet, sondern leidenschaftlich instrumentalisiert. Am gekonntesten vom Fidesz, aber auch der "unparteiische" Präsident Sólyom stellt
sich regelmäßig die Fettnäppfchen selber auf, in die er dann hienintappt. Aber siehe da, man konnte hier mit Bukarest reden und die meisten - als
Sparmaßnahmen bezeichneten Kündigungen - wurden wieder zurückgenommen. Still und beiderseitig gesichtswahrend. Und bis zum nächsten Streit. Dieser steht
wohl jetzt bevor, die rumänischen Zeitungen sind voll von der Provokation am Wochenende, die Retourkutschen schon eingespannt.
Parolen vom Bischof, Biertischrechnung vom Parteichef
Was wird sich wohl ein rumänischer Funktionär oder auch der Normalbürger nun
denken, wenn er sich die Argumentationsketten der Nationalen Befreiungsbewegung, als welche sich die Parteikader der UDMR / RMDSZ offenbar
sehen, anhören muss. Vor beflaggten Anhängern hieß es da patriotisch angeschickert: "Die Szeklerprovinz erklärt ihre territoriale und administrative
Autonomie, innerhalb ihrer natürlichen, im Laufe der Geschichte gewachsenen Grenzen."
Mit feierlicher Geste wurden Briefumschläge mit der Unabhängigkeitserklärung an
das rumänische Parlament und den Europarat verschickt. László Tökes, Präsident des Ungarischen Nationalrates in Siebenbürgen und Bischof der Reformierten
Kirche, ist der Quasi-Präsident des neuen Landes. Er geißelt das Desinteresse der EU an den Szeklern. Markó Béla, Chef der UDMR mahnt zwar, dass es mit
Proklamationen allein nicht getan ist, sondern es vieler kleiner Schritte und Verhandlungen bedarf. Aber die Vernunft hat ihn schnell wieder verlassen als er,
unter immer wieder aufbrausendem Jubel der "Massen", beginnt seine Biertischrechnung aufzumachen: in Rumänien leben etwa 7% Ungarn, also sind die
Ungarn zu 7% Eigentümer dieses Landes. In Siebenbürgen ist in etwa jeder Vierte Ungar, was bedeutet, "dass uns hier 25% gehören". Im Szeklerland sind es in
vielen Orten und Gebieten sogar um 80%. Die Eigentümer müssten geachtet werden und ihr Recht ist auf allen Ebenen und in allen Institutionen
durchzusetzen. Daher müsse man die Hoheit über die Regionalfonds erhalten, um selbst entscheiden zu können wofür die Gelder verwendet werden.
Die Szekler als Basken Rumäniens?
Eigentlich geht es den Ungarn in Rumänien gar nicht so schlecht. Sie leben leicht
über dem Landesschnitt, sind innovativ, fleißig, ihre Region entwickelt sich, nicht linear, aber doch. Ihre Partei ist im Parlament vertreten, sogar oft in der
Regierungskoalition. Mit den Rumänen, so sie Nachbarn und keine Funktionäre aus Bukarest sind, kommt man aus, seit Jahrhunderten. Nur die große
Anerkennung fehlt, man will alles. Die totale Unabhängigkeit über die Verwaltung und das Budget. So kommunizieren es jedenfalls gerne die Funktionäre der
Demokratischen Allianz der Ungarn in Rumänien, die dabei nicht müde werden, das Bild des historischen Opfers zu zeichnen, das auch heute noch ein ständig und
überall Benachteiligter ist. Die UDMR-Leute sind dabei sogar noch die eher Gemäßigten. Nicht wenige fordern direkt den Anschluss an Ungarn. Gefährliche Leidenschaften.
Freilich, selbst moderate Szekler können sich bei ihren Bestrebungen nicht auf
eine spanische Regierung stützen, welche die Teile-und-Herrsche-Mentalität ihrer monarchistischen Vorfahren als Prinzip der Staatserhaltung übernommen hat. Sie
haben auch kein Barcelona als Hauptstadt. Die Szekler haben es mit zentralistisch getrimmten Rumänen zu tun, welche die Ausrufung der territorialen Autonomie
eines Teils von Siebenbürgen, formal ganz richtig, als Angriff auf die Verfassung auffassen müssen. Und die in den Rumänienungarn eher verkappte Basken als
Katalanen erkennen, noch leichter, wenn man ihnen dazu solche Gründe gibt wie die Veranstaltungen am Wochenende, die den Ungarn in Rumänien einen Bärendienst erweisen.
Die Szekler, die "Grenzwächter" der Ungarn, hatten vom 13. Jahrhundert bis
1867 eine sehr weitgehende Selbstbestimmung, die fast schon halbstaatlich war. Sie endete ausgerechnet mit dem "Ausgleich" zwischen Ungarn und Österreich.
Darüber sollten die Ungarn in beiden Ländern vielleicht einmal nachdenken. Es wäre also nicht das erste Mal, dass Funktionäre aus "Kernungarn" "ihre Landsleute" aus Eigennutz opfern.
ms
Historische und ethnologische Hintergründe zu den Szeklern
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(c) Pester Lloyd
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