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(c) Pester Lloyd / 38 - 2009  WIRTSCHAFT 20.09.2009
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Wer bekommt, was er verdient?

Löhne, Lügen und Leben in Ungarn

Arbeit, Beschäftigung, Grauwirtschaft - Wenn die Realeinkommen sinken, steigt die Schwarzarbeit, was auch immer der Staat dagegen tut. Die offiziellen Zahlen sagen, dass es für alle immer noch weiter bergab geht, bei den Arbeitsplätzen und bei den Löhnen, aber von offiziellen Zahlen hat in Ungarn sowieso noch nie jemand gelebt. Wieviel Gehalt bekommt nun wer in Ungarn? Und woher kommt "der Rest"? Ein Überblick vom Schuster bis zum Bankdirektor.

Was die Statistik erzählt und was nicht

Die Bruttogehälter sind, so sagt es das Statistische Zentralamt, in Ungarn von Januar bis Juli 2009 um 1,3%, die Nettogehälter um 1,4% gestiegen. Eine noch nichts sagende Zahl. Denn die Gehälter und Löhne stiegen fast 5% in der Privatwirtschaft, sanken aber 7% im öffentlichen Dienst, vor allem wegen der Abschaffung der 13. Zahlung und der Zusammenstreichung von Prämien. Für die Arbeitnehmer interessanter und trauriger: ihr Realeinkommen ist, im Schnitt, in sieben Monaten um 2,2% gesunken, auch hier aber wieder nur im Durchschnitt und nur den registrierten Teil der ungarischen Wirtschaft betreffend. Auf Jahresbasis macht das ein Minus von 3.5%, in der freien Wirtschaft ein "Plus" von 0,87%, ein Rückgang im öffentlichen Sektor von 5,8%.

Zwar wurden Arbeitnehmer wie Arbeitgeber durch verringerte Sozialabgaben (Arbeitgeberanteil) und Veränderungen bei der Lohn- und Einkommenssteuer zum Teil entlastet, doch zahlte sich das für die Arbeiter aufgrund der Inflation (vor allem dank Mehrwertsteuererhöhung) nicht aus. Durch die abgefallene Auftragslage verringert sich auch für Arbeitgeber die Auslastung ihrer Maschinen, damit die Produktivität und die Lohnstückkosten steigen (auch dadurch) trotz leicht gesunkener Abgabenlast, das kratzt an den Gewinnen. Die Zentralbank schätzt, dass sich die Lohnstückkosten im Jahresverlauf um bis zu 8% erhöhen könnten. Die Inflation sieht man bei 6-7%.

Es entsteht keine Arbeit, nur Beschäftigung

Hinzu kommt, dass gerade jetzt, im Herbst, die nächste Entlassungswelle rollt, weitere 10.000 bis 20.000 Arbeiter und Angestellte könnten laut Einschätzung von Arbeitsmarktexperten ihre Jobs verlieren. Dabei arbeiten in Ungarn (10 Millionen Einwohner), offiziell und sozialversichert, sowieso nur 2,658 Millionen, nochmal 4,4% weniger als vor einem Jahr. In der Privatwirtschaft sind es 8,2% weniger als vor 12 Monaten, im öffentlichen Sektor, dank Konjunktur- und Beschäftigungsmaßnahmen 5,6% mehr. D.h. Arbeitsplätze entstehen, wenn überhaupt, nur im Niedriglohnsegment, belasten auch noch die öffentlichen Haushalte und sind mehr Übergangsbeschäftigung als qualifizierte Wertschöpfung. Genau das Gegenteil bräuchte Ungarn, aber es ist eben Krise.

Die Gewerkschaften preschten nun mit der Forderung vor, den Mindestlohn, also das gesetzliche minimale Bruttoeinkommen für einen Vollzeitangestellten von derzeit 71.500 (263.- EUR) auf 80.000 HUF (295.- EUR) anzuheben. Das wäre ein nominales Plus von 12%, dass sich aber allein schon durch die Inflation binnen eines Jahres wieder halbiert. Von Existenzminimum spricht man dabei schon gar nicht, weil man weiss, dass davon niemand existieren kann. Wenn gewisse Neoliberale nun reflexartig von "unverantwortlich in Zeiten der Krise" reden, sehen wir, wer eigentlich erst die sozialen Probleme schafft. Übrigens wird auch dieser Betrag noch unterlaufen, durch Teilzeitverträge ebenso wie durch Pseudoselbständigkeit. Oder eben gleich durch Schwarzarbeit.

Aussichtsloser Kampf gegen Schwarzarbeit?

Eine offizielle Kommission sollte in einem Bericht die Erfolge im Kampf gegen die Schwarzarbeit in Ungarn darlegen. Diese wurde kurz vor Krisenbeginn eingesetzt und dann von den Ereignissen überrollt. Denn man kam zu dem Schluss, dass die negativen Entwicklungen seit Herbst 2008 die zähl- und kassierbaren Erfolge seit 2006 bereits mehr als kompensiert haben. Der Bericht schätzt, dass man durch gezielte Aktionen gegen Schwarzarbeit und Grauwirtschaft zwischen 2006 und 2008 Mehreinnahmen für den Staatshaushalt von um 250 Milliarden Forint generiert hat, was fast einer Milliarde Euro entspricht. Die Kommission fürchtet, dass die (zusätzlichen) Ausfälle 2009 durch den Anstieg der Schwarzarbeit diese Einnahmen übersteigen werden und rechnete vor, dass die Steuerausfälle bei der Lohnsteuer um rund 50 Mrd. HUF über dem berechneten Effekt der ansteigenden Arbeitslosigkeit liegen.

Die Schwarzarbeit, mit ihr verbandelt, die Steuerhinterziehung als Volksport (Sektion Selbstverteidigung) sowie die alltägliche Korruption, die alle Lebensbereiche und fast alle Bevölkerungsgruppen einbezieht, ist nicht nur die Hauptursache für das Budgetloch in der ungarischen Staatskasse, sondern, neben der hohen privaten Verschuldung auch die Erklärung dafür, warum Menschen mit einem (statistischen) Durchschnittslohn von rund 750.- EUR (brutto) in einem Land leben können, in denen das Benzin fast so teuer ist wie in Österreich, die Lebensmittel in den Hypermärkten manchmal sogar teurer als im Westen sind. Man sieht die Ungarn mit Neuwagen über die Autobahnen rasen, gemütlich in Kroatien Urlaub machen. Die Lokale sind voll, es werden immer noch Einkaufspaläste gebaut.

Während Korruption und Steuerbetrug lediglich eine Umverteilung von schon vorhandenen Werten ist, schafft Schwarzarbeit tatsächlich an. Eine Schätzung der OECD tippt für Ungarn auf eine Summe von ungefähr 45% des Bruttoinlandsproduktes, dass hier nochmals an allen Statistiken vorbei erarbeitet wird. 45%, man genierte sich also nur zu sagen, die Hälfte aufs BIP obendrauf. Dann ist man nämlich schon bei rund 1.200 EUR im Monat, zieht man einmal locker zwei Drittel ehrliche, zu stark kontrollierte, unfähige und Arbeitnehmer ohne Gelegenheit, Zeit oder Kraft für Schwarzarbeit ab (also auch hier wieder die ärmeren), verteilt sich dies alles auf das restliche Drittel also einige Hunderttausend Personen. Die haben dann aber ein verfügbares Monatseinkommen von schnell einmal 3.000 EUR im Schnitt und trotzdem den Neuwagen von der Bank finanziert. Und genauso benehmen die sich auch.

Das Thema Korruption und Schwarzarbeit reicht tief in die Geschichte und Psyche der Gesellschaft, sie hat mit der Versorgungsmentalität aus der sozialistischen Zeit zu tun, mit dem Misstrauen der Fremdbeherrschung (auch der durch eigene Leute) auch mit miesem Charakter und armen Hunden. Es geht letztlich um Macht und Machtverhältnisse, Stichwort: das Sein verstimmt das Bewußtsein. Denn auch in Ungarn fängt man die Kleinen und läßt die Großen laufen. Und so kann es passieren, dass Sie am Hot-Dog-Stand im Freibad eine umständlich per Hand ausgestellte Quittung vom steueramtsseitig verängstigten Würstchenverkäufer bekommen, während zugleich der soundsovielte Bezirksbürgermeister Millionen aus irgendwelchen Immobiliendeals beiseite schafft. Das Land hat völlig die Relationen im Umgang mit seinen Bürgern verloren, die kurz davor sind, sich vom Staat vollständig scheiden zu lassen. Ein komplexes Thema also, dass sich nur durch den Gesamtblick erschließt, den wir als Medium versuchen zu bieten. Aber zurück zum Thema:

Wer bekommt derzeit welches Gehalt in Ungarn?

Unsere Daten bezogen wir aus drei Quellen, dem Statistischen Zentralamt, den Angeboten im Arbeitsamt und von einer Online-Jobbörse. Daraus ergibt sich ein ungefähres Mittel, wobei bei jedem einzelnen Beruf in Betracht zu ziehen ist: Einstiegs- und Seniorgehalt, Größe und Aufstellung des Unternehmens, Hauptstadt oder Provinz etc. Alle genannten sind Bruttogehälter. Wer wissen will, was man als Arbeitnehmer tatsächlich nach Hause bringt, der ziehe von den unteren Gehaltsklassen rund 10-25%, den höchsten rund 40% ab. Arbeitgeber, die wissen möchten, wie hoch die tatsächlichen Arbeitskosten sind, können getrost 30-50% auf das Bruttogehalt aufschlagen und werden damit halbwegs richtig liegen. Nur in den untersten Klassen kommt man noch etwas günstiger.

Bis Mitte September sollten die Manager der staatliche kontrollierten Betriebe in einem Anfall von Transparenz ihre Gehälter offenlegen. Am Stichtag war die dafür eingerichtete Internetseite noch fast leer, allmählich trudelten die verschämten Informationen aber ein. Hintergrund für diese spontane Volksnähe war ein Skandal bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben, bei denen der Staat und die Stadt zwischenzeitlich jede Kontrolle verloren hatten und sich Manager und Ex-Manager Gehälter weiter- und Abfindungen überzahlten bis es krachte. Der Regierungschef persönlich ordnete nun die Veröffentlichungen der Einkünfte an.

Ein Polizist bekommt 420 EUR im Monat,
der Chef der staatl. Lotterie 8.000.-

Der Manager des großen Bauvorhabens Metrolinie 4 steht dabei an der Spitze, Gusztáv Klados, Chef der DBR Metro, gibt ein Monatsgehalt von 8,2 Mio Forint an (ca. 30.000 EUR). Der Chef der Zentralbank hält bei 8,1 Mio, seine Stellvertreter bekommen noch 5,6 bis 6,4 Mio Forint monatlich. Prämien und Boni nicht mitgerechnet. Der Postchef muss mit 2,8 Mio (ca. 10.000 EUR) monatlich auskommen, ebenso der Chef der Elektrizitätswerke, der Vorstandschef der Staatlichen Lotterie mit 2,2 Mio Forint (ca. 8.100.- EUR).

Nun in die Niederungen der Volkswirtschaft, zu den "normalen" Berufen: ein Verkäufer, eine Kassiererin im Supermarkt, ein angestellter Schuster, auch ein Konditor bewegen sich im Bereich zwischen 82.000 und 150.000 forint brutto monatlich (ca. 300 - 550 EUR). Automechaniker, Elektriker, auch ein Fleischer im Angestelltenverhätlnis liegen bei 110.000 bis 250.000 Forint. Im Bürobereich verdient man als Sekretärin zwischen 100.000 und 180.000 Forint (380-650 EUR), ein einfacher Mitarbeiter des Finanzamtes oder beim Zoll liegt zwischen 120.000 und 250.000 Forint, was deren Laune erklärt. Hauptabteilungsleiter einer Behörde des öffentlichen Dienstes freuen sich über 310.000 bis 620.000 Forint (1.100 bis 2.200 EUR), deren Laune ist dennoch nicht besser. Ein Richter bringt es jedoch auch nur auf bis zu 410.000 Forint, obwohl gerade hier eine weitgehende Unabhängigkeit wünschenswert ist.

Der Kassierer ihrer Bank muss sich im Angesicht des vielen Geldes mit 98.000 bis 170.000 Forint abfinden lassen, der Kundenberater schafft auch nicht mehr, der Filialleiter hingegen kann mit 300.000 bis 580.000 Grundgehalt rechnen und mit Erfolgsprovisionen. Polizisten, Feuerwehrmänner und Berufssoldaten sind angesichts ihrer Verantwortung mit 115.000 (420 EUR!) bis 235.000 Forint eindeutig unterbezahlt. Noch schlimmer sieht es im Krankenhaus aus: Schwestern und Pfleger erhalten 85.000 bis 145.000 Forint pro Monat, Ärzte ab 250.000 bis hinauf zum Chefarzt mit ca. 1,3 Mio Forint. Die Industrie muss z.B. für Maschinenbauer, CNC-Dreher und andere Facharbeiterberufe derzeit, je nach Spezialisierung von 150.000 bis 370.000 Forint hinlegen. Programmierer und Computertechniker bekommt man zwischen 180.000 und 260.000 Forint. Lehrer, eigentlich ein Schlüsselberuf werden mit 134.000 bis 250.000 Forint abgespeist, ein LkW-Fahrer bringt es ungefähr auf das Gleiche.

red./ ms.

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