(c) Pester Lloyd / 39 - 2009
KULTUR 25.09.2009 _______________________________________________________
Pracht und Bürde
125 Jahre Ungarische Staatsoper - Ein Spaziergang durch die Geschichte
Die großen Opernhäuser Europas befinden sich in einem ständigen Kampf zwischen singenden Museen, Touristenburgen, nationalen Musentempeln
und ambitionierten Experimentierstätten des Musiktheater. Besonders deutlich und immer noch im Gange ist dieser Kampf an der Ungarischen Staatsoper, die dieser Tage ihr 125jähriges Jubiläum feiert.
Die Königliche Oper am Andrássy Boulevard, hier in einer Aufnahme aus dem Jahre 1898,
erlebte prächtige Zeiten unter Mahler, Nikisch, Puccini und anderen, kämpfte sich durch eine aufregende Zwischenkriegszeit und erholte sich schnell nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis
heute trägt sie an der Bürde ihrer äußeren Pracht, der Funktion als Nationalsymbol und leidet seit der Wende unter künstlerischem Schlendrian und halbherzigen Konzepten, trotz einiger Hoffnungszeichen.
I Der Nationaloper eine Heimstatt
Das Ungarische Königliche Opernhaus, eröffnet vor 125 Jahren, am 27.
September 1884, sollte die selbst- und nationalbewußte Antwort der Ungarn auf das Haus am Ring in Wien sein, dass bereits 1869 seine Pforten öffnete. Der
politische Dualismus zwischen Österreich und Ungarn schlug sich auch kulturell und städtebaulich in einem ehrgeizigen Wettkampf der Schwesterstädte Wien und Budapest nieder.
Der Baumeister Miklós Ybl schuf am damals noch ganz neuen Prachtboulevard der
Andrássy út, ein Haus, dessen Ähnlichkeiten mit der Wiener und Pariser Oper nicht zufällig waren, sondern neben Zeitgeschmack auch Ausdruck des eigenen
Anspruchs. 1285 Zuschauern würde es Platz bieten und dem ungarischen Opernleben endlich eine würdige Heimstatt geben, nach langen Kämpfen und
vielen Intrigen in den eigenen Reihen und einem ewigen Ringen mit den eineinhalb Jahrhunderte lang dominierenden italienischen Wandertruppen und
später dem riesigen Deutschen Theater, dass die Szenerien in Buda wie Pest bis Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschte.
Doch gleich zu Beginn musste das prächtige Haus improvisieren, eine Übung, die es bis heute zur Perfektion beherrscht. Geplant war eine glanzvolle Premiere von
"István király", einer neuen Oper von Ferenc Erkel über König Stephan. Der erste Intendant, Operndirektor Frigyes Podmaniczky, musste sich jedoch auf einen
Kompromiss einlassen, denn Herr Ferenc Erkel, einziger Stern der ungarischen Nationaloper, pathetischer Komponist der Nationalhymne und erster
Kapellmeisters des Hauses, bekam das Werk erst ein Jahr später fertig, obwohl der Eröffnungstermin der Oper seit ungefähr acht Jahren Bauzeit absehbar war.
So wurde aus der furiosen Premiere am 27. September 1884 immerhin ein feierlicher Galaabend unter Anwesenheit Kaiser Franz Joseph I. mit Ausschnitten
ausgerechnet aus dem Lohengrin Wagners ("Herrgott, rett uns vor der Ungarn Flut"..), sowie aus Bánk Bán und Hunyadi László. Jenen Heldenopern Erkels, die
ununterbrochen seit jener Gründung der Oper auf dem Spielplan herumgeistern und bis heute als Heiligtümer der ungarischen Nationaloper verehrt und gehütet und oft immernoch kritiklos angegötzt werden.
Die gerechte Teilung zwischen einem hauseigenen, national gesinnten Komponisten und einem Werke Wagners spiegelte allerdings viel besser den
Geschmack des Publikums wider und beweist, daß die maßgeblichen Entscheider, also die ungarische Adelsschicht, bei allem Patriotismus, durchaus immer europäisch gesinnt, weil derart geprägt, war.
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Die Budapester Oper wurde, im Gegensatz zu Wien, im Krieg relativ wenig beschädigt und ist
noch fast im Originalzustand erhalten. In den Logen knarrt es, die Spiegel sind charmant vergilbt und es gibt sogar noch die Klingelknöpfe für die Getränkebestellung, sie bleiben nur
heute stumm. Die Oper bietet regelmäßig Führungen an, die einen Blick vor und hinter die Kulissen gewähren. Infos www.opera.hu
II Die Ära Mahler - erste Blütezeit der Oper
Im Opernhaus selbst sollte in den nächsten Jahrzehnten ein ständiges, nicht
immer produktives Ringen zwischen nationalem Anspruch und fremdem Einfluss zu beobachten sein. Die ersten Jahre der Königlichen Ungarischen Oper waren
von finanziellem Chaos, Inkompetenz und Postenschacher gekennzeichnet und bald wäre den bürgerlichen wie höfischen Geldgebern der Kragen geplatzt, wäre
es nicht gelungen den erst 28-jährigen Gustav Mahler zu engagieren, der in den Jahren 1888 bis 1891 seine Gesellenzeit in Ungarn an der Oper und mit den
Philharmonikern verbrachte und endlich - gemeinsam mit hervorragenden ungarischen Künstlern - dafür sorgte, dass die Arbeit an Profil gewann und ein fähiges Ensemble geformt wurde.
Mahler kam nach Budapest in ein durch Starkult und Misswirtschaft kurz vor dem Ruin stehendes Haus. Eigentlich unerhört, dass man einem so jungen Mann, noch
dazu einem „Ausländer” aus der verhassten k.u.k.-Hauptstadt nicht nur den Posten des Musikdirektors antrug, sondern ihm auch noch sämtliche Freiheiten
bei künstlerischen Entscheidungen überliess. Wenn man den Stolz und Eigensinn der Ungarn kennt, kann man sich ungefähr vorstellen, wie schlecht es tatsächlich
um das Haus bestellt sein musste und wie ultimativ in diesem Zusammenhang die Forderungen der Geldgeber waren. Der alte Graf Julius Andrássy, einst
Ministerpräsident und bis 1879 Aussenminister der k.u.k. Monarchie, hatte sich zur Finanzierung des Opernprojektes stark gemacht beim Kaiser und der Stadt
Budapest, er wäre einigermassen blamiert gewesen, würde das Haus keine fünf Jahre überstehen.
Aus dem Pester Lloyd 1932
Opernfreunde
Von Dr. Géza Molnár
Gewiß, das Land muß jetzt finanzielle Schwierigkeiten von ungewöhnlichem Ausmaß
bestehen, aber für den Opernfreund ist trotz dieser mehr als heiklen Lage das Problem, ob die Königliche Oper weiter existieren soll, einfach gegenstandslos. Es
nicht nur als Amüsierort zu betrachten, sondern als Kulturstätte. Der richtige Opernfreund hat seine Freude daran, daß wir überhaupt ein Opernhaus besitzen. Ein Haus, wo die
idealsten Schöpfungen der musikalischen Phantasie in großzügiger Wiedergabe an uns vorbeiziehen.
ZUM BEITRAG
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Mahler begann seine neue Aufgabe mit grossem Enthusiasmus und einem unmissverständlichen
Aushang am Künstlereingang: „Lassen Sie uns unsere Herzen und Seelen unserem stolzen Ziele widmen! ... Erwarten Sie keine Bevorzugungen von mir. Wenn ich mir heute etwas vorgenommen
habe, dann nur, ein Beispiel zu sein in Eifer und Ergebenheit zur Arbeit. So lassen Sie uns beginnen unsere Aufgabe zu erfüllen. Der Erfolg wird sicher unsere Anstrengungen krönen!”
Und Mahler begann radikal aufzuräumen, dass sich die Sphinx, die am Eingang des Hauses zum Schutz des Friedens in ihm aufgestellt ist, gewundert haben wird. Wer von den Stars
dachte, hier kommt nur ein junger Dirigent, der sich noch die Hörner abstossen muss, sollte sich täuschen. Mahler sorgte durch ein strenges Probenregime nicht nur für Pünktlichkeit und
beginnende Konstanz wie Ernsthaftigkeit in der Erarbeitung der jeweiligen Werke. Er musste den aus allen Ecken Europas anreisenden Sängern überhaupt erst einmal klarmachen, daß eine
Vorstellung auch in einer Sprache stattzufinden hat. Die Allüren der Stars gingen nämlich damals soweit, daß eine Vorstellung auf Italienisch begann, und dann je nach Herkunft oder
Präferenz des nächsten Auftretenden in Ungarisch, Französisch oder Deutsch weitergeführt wurde, was jeden dramaturgischen Ansatz und musikdramatische Ernsthaftigkeit
einer Inszenierung ins Absurde führen musste. Dieses Starsystem schaffte Mahler, ab, blieb daher aber bald mit einem drittklassigen ungarischen Kader alleine, was die Suche nach
neuen Stimmen nötig machte.
Mahlers eigentlich künstlerisch motivierter Einsatz für die ungarische Sprache an der Oper wurde sogleich überschwenglich-national
ausgeschlachtet, und der junge Kapellmeister fand sich ganz ungewollt als Held derjenigen Schichten wieder, die sich die kulturelle
Magyarisierung der Künste wie der Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hatten. Mahler wollte aber nicht nationalisieren, sondern popularisieren, im
besten Sinne des Wortes die Oper dem Volk zugänglich machen. Von dem Drumherum unbeeindruckt, trug Mahlers Arbeitseifer und auch der seiner
mittlerweile enthusiasmierten Mitarbeiter in kürzester Zeit reife Früchte.
Auch wenn aus Mahlers Briefen sein ungeduldiges Sehnen nach einem baldigen
Engagement in Wien („Was würde ich dafür geben, eine einzige deutsch gesungene Note zu hören...”) sprach und er sich manchesmal über die
zermürbende Probenarbeit, wie auch die persönlichen Grabenkämpfe seiner Protagonisten an der Oper beklagte: sein Budapester Don Giovanni wurde vom
alten Brahms als mustergültig betitelt, die ersten zwei Abende von Wagners Ring des Nibelungen (in ungarischer Sprache und der erste Ring ausserhalb
Deutschlands) erlebten unter Mahler sensationelle Erfolge und die Cavalleria rusticana trat gar von Budapest aus ihren Siegeszug durch Europa an. Wichtig für
Mahlers Karriere war sein Aufenthalt in Ungarn auch insofern, da hier seine Erste Symphonie uraufgeführt wurde und die 10.000 Gulden Jahreshonorar werden ihm auch nicht so schlecht bekommen sein.
III Die Epoche der grossen Kapellmeister
Einige Jahre später, Mahler war nun in Hamburg, dann in Wien und bald
weltberühmt, übernahmen sein Lehrer, der als Taktstockmagier berühmte Artúr Nikisch (1893-95) zusammen mit dem einarmigen Pianisten und einflussreichen Grafen Géza
Zichy, danach István Kerner das Chefpult an der Donau. Der in Wien ausgebildete Ungar Nikisch, der später in Leipzig das Gewandhausorchester zu Weltruhm führen würde, behielt die Strenge und Konsequenz
in der künstlerischen Arbeit bei und begründete durch die ungarische Uraufführung von Puccinis Manon Lescaut (unter Stabführung des Komponisten!) einen regelrechten Kult um den Italiener, der bis
heute am Spielplan der Häuser ablesbar ist.
Puccini überwachte auch persönlich hier die
Einstudierung der Madame Butterfly und der Fanciulla del West und seine Gelage, mit eigens für ihn kreierten Eisbomben „Butterfly”, sind Legende, die prächtigen
Menükarten im Archiv der Oper legen davon beredtes Zeugnis ab. Zur Jahrhundertwende gaben auch die Werke des Károly Goldmark, geboren in
Keszthely, mit der Königin von Saba den Ton an der Andrássy an, sein Götz von Berlichingen kam hier mit ihm am Pult 1902 zur Weltpremiere und ist ein
weiteres Beispiel, wie ein ungarischer Komponist im Geiste der deutschen Romantik schrieb. Ab 1910 sorgte das häufigere Auftreten von Richard Strauß für
Begeisterung beim Publikum, der hier auch überwiegend seine eigenen Opern leitete (Elektra 1910, Rosenkavalier und Salome 1926 und 32, sowie die Budapester Erstaufführung der Ägyptischen Helena 1932).
Ab 1912 wurde Graf Miklós Bánffy, Bühnenbildner, Maler und Schriftsteller
Operndirektor und man kann von der Zeit etwa zwischen 1910 bis 1918 getrost von einem zweiten Goldenen Zeitalter sprechen, in dem grossartige
Produktionen, auch durch Regisseur Sándor Hevesi und den italienischen Kapellmeister Egisto Tango, der auch die Bartók-Uraufführungen leitete,
realisiert wurden. Zudem erhielt die Ungarische Staatsoper 1911 mit dem Erkel-Theater eine Konkurrenz. Der riesige Saal der damaligen Volksoper, mit
einer Bühne, die sich ausnimmt wie ein gigantischer Volksempfänger wurde über die Jahrzehnte mehrmals umgebaut, mit Sitzen bestückt und in eine Hülle
gekleidet, wie sie zwischen Nowosibirsk und Berlin Ost wie West später ähnlich scheusslich immer wieder auftauchten.
Marco Schicker
Logengeflüster
Kritiken - Essays - Glossen aus dem ungarischen Opern- und Konzertleben
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Das Erkel-Theater, von 1911-17 „Volksoper” und bis zur Vereinigung mit dem Haus an der
Andrássy 1951 im Status eines Städtischen Theaters, bietet 2300 Zuschauern Platz, also fast doppelt so vielen wie im alten Opernhaus, hat aber heute sein einst eigenes künstlerisches Profil
verloren, bis auf die Tatsache, dass es eine für Konzerte gute Akustik besitzt. Dabei wäre die Idee der „Volksoper” als Antipode zur Hof- bzw. Staatsoper ein interessanter historischer Wink,
für eine anspruchsvolle Zukunft des Hauses. Dahingehende Überlegungen wurden meist nie ernsthaft betrieben, da die jeweiligen Direktionen des Opernhauses (bis heute) darin
eine inakzeptable Machtteilung sahen und sehen und allerlei bauliche und andere organisatorische Mängel vorschützen, um den Geldgebern die Finanzierung und neuerliche Etablierung eines
unabhängigen „Konkurrenz”-Hauses zu vermiesen. Zudem mochten sich die Sängerinnen und Sänger nicht damit abfinden „nur” im „zweiten” Haus am Platze aufzutreten.
Im Budapest der ersten zwei Jahrzehnte des 20.
Jahrhunderts waren fast alle grossen Namen der internationalen Opernwelt zu Gast, darunter Lili Lehmann, Enrico Caruso, Marcel Journet, Aureliano Pertile, Fritz Feinhals und auch der berühmte Leo Slezak.
IV 1918 - 1940 Zwischenkriegsakte
Der erste Weltkrieg unterbrach nicht nur in Ungarn das süße Leben der
Bourgeoisie und des Adels. In der internationalen Isolation und den Wirren des Völkerschlachtens kamen die anspruchsvollen Werke Béla Bartóks, die einaktige
Oper Ritter Blaubarts Burg 1918 (entstanden schon 1911) und die Ballettpantomime Der hölzerne Prinz zur Uraufführung. Die Zwischenkriegszeit
wurde nicht nur für die Oper, sondern für ganz Budapest zu einer letzten „Goldenen” Epoche und zusammen mit Wien und Berlin zum „Goldenen Dreieck”
der Künste verklärt. Doch selbst wenn man die üblichen Vernebelungen beim Blick zurück in Rechnung stellt, die Qualität des damaligen Ensembles und die Reihe der
Stars unter dem ebenfalls zur Legende avancierten Direktor Miklós Radnai (1925-1935) ist sicher unerreicht.
Die Fülle war auch durch viele „Exilanten” zu erklären, Ungarn, die aus den durch
die Versailler Verträge abgetrennten Gebiete in Budapest eine Heimstatt suchten. Die berühmten Namen reichen von den Dirigenten Sergio Failoni und János
Ferencsik bis Erno von Dohnányi, der neben der Leitung der Philharmonischen Gesellschaft auch eine eigene Werke, wie Der Turm des Wojwoden und die
Komische Oper Der Tenor 1929 zur Aufführung brachte, die national wie international Beachtung fanden. Eine ganze Anzahl von weiteren namhaften
Mitarbeitern (herausragend hier die Universaltalente Gusztáv Oláh als Bühnenbildner und Kálmán Nádasdy als Regisseur sowie Tivadar Márk als
Kostümbildner), die über die nächsten Jahrzehnte die Arbeit an den Budapester Häusern prägten, erfolgreiche Gastspiele absolvierten (1929 Wien, Rom,
Nürnberg, 1936 Bayreuth, 1938 Florenz) und deren ästhetische Grundsätze teilweise bis heute in jetzt eher streitbar konservierter Form fortbestehen, konnte die Oper damals zu ihren Mitgliedern zählen.
Erinnert sei hier noch kurz an drei Sopranistinnen, die durch ihre
unterschiedlichen Lebenswege als prototypisch gelten können: Gitta Alpar, sie debütierte 1923 an der Ung. Oper, um später an der Lindenoper und danach als
der Operettenstar des Metropol-Theaters in Berlin und beim Film Furore zu machen, sowie Júlia Osváth, die in der Saison 1937/38 als Königin der Nacht
unter Toscanini in Salzburg triumphierte und dann die Nachtigall Mária Gyurkovics, die 1936 an der Seite des Lawrence Tibbett als Gilda im Rigoletto
debütierte und über Jahrzehnte eine umjubelte Karriere in Budapest machen sollte.
1938 gab auch ein Assistent Toscaninis, der bei der genannten Zauberflöte noch
das Glockenspiel betätigte, der 25jährige Georg Solti, zur Zeit des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich sein Debüt an der Budapester Oper,
ausgerechnet mit des Österreichers Mozart Figaro´s Hochzeit oder Der tolle Tag! Bald darauf musste er emigrieren, genauso wie Bartók, und mit ihm viele Säulen
des ungarischen Musiklebens. Letzterer sollte seine Heimat nie wieder sehen. Heute verehrt sie ihn überirdisch, zusammen mit Zoltán Kodály als einen der
grössten Geister des ungarischen Musiklebens, der nicht nur international anerkannte Musik komponierte, sondern sie auch im Sinne einer echten
ungarischen Nationalmusik erneuerte. Bartók selbst hat jedoch darauf bestanden sein forschendes von seinem kompositorischen Werk weitestgehend zu trennen.
Ein Kampf, der schon zu Lebzeiten, bei der allgegenwärtigen Vereinnahmung für nationale Zwecke aussichtslos war.
Trotz Verfolgung und Faschistisierung der Gesellschaft erlebte die Oper auch in
der Horthy-Zeit und später der des 2. Weltkrieges (Direktor László Márkus 1935-44) grossartige Höhepunkte, wie es sich überhaupt in Zeiten der äußeren
Not oft zuträgt, dass die künstlerische Produktion in den gebliebenen Nischen besonders intensiv agiert. Zu Gast waren u.a. Helge Roswaenge, Giacomo
Lauri-Volpi, Benjamino Gigli, Jan Kiepura, Fedor Schaljapin, Koloman Pataky und anfänglich auch Richard Tauber, die Diven Maria Jeritza und Ebe Stignagni, ja die
gesamte Scala spielte 1940 in Budapest La Fiamma von Respighi und die Reihe liesse sich endlos so fortsetzen, dass man geneigt sein könnte von einer
überreichen Zeit zu sprechen, wenn nicht die Liste der Künstler, denen aus ideologischen und rassischen Gründen der Weg zur Bühne versperrt war, mindestens ebenso namhaft besetzt wäre.
V Neubeginn mit Klemperer - Exodus 56 - Erfolge bis zur Wende
Im Krieg wurde die Oper relativ wenig beschädigt, nahm daher schon im März
1945 teilweise den Spielbetrieb wieder auf und stand anfänglich noch unter kollektiver Leitung eines Kuratoriums aus Sängern und Regisseuren. Im Jahre
1946 bot Solti brieflich seine Bereitschaft zum Wiederaufbau der Oper an, doch man bedeutete ihm ein weiteres Mal, dass er nicht erwünscht sei und es dauerte
dann nochmals ganze 66 Jahre bis ein ungarischer Offizieller, der Kulturminister Gábor Görgey im Jahre 2002, einmal posthum Worte des Bedauerns auf der
Bühne der Oper sprechen würde. Statt seiner engagierte man 1947 Otto Klemperer, neben dem bekannten Musikkritiker Aladár Tóth als Intendanten, für
drei Jahre nach Budapest, der für einen überraschenden Aufschwung sorgte. Besonders seine Mozart- und Wagneraufführungen (hier besonders die auch auf
Band erhaltene 48er Aufführung des Lohengrin mit József Simándy in der Titelrolle) sind den älteren Opernbesuchern noch heute in verklärter Erinnerung.
Der Exodus im Zusammenhang mit den stalinistischen Säuberungen nach dem Aufstand 1956 machte auch vor dem Opernbetrieb nicht halt, und wieder verlor
das Haus an der Andrássy eine Vielzahl seiner besten Mitarbeiter an das Ausland. Die Zeit des sozialistischen Experimentierens in Ungarn verbrachte die Oper
dagegen zeimlich erfolgreich zwischen biederem Unterhaltungsauftrag und musiktheatralischem Anspruch. Auch zeitgenössische Werke von Berg,
Schostakowitsch und Britten fanden damals ihren Platz, genauso wie international hochgeschätzte Ausgrabungen und Rekonstruktion vieler Haydn-Opern, der ja im
nahen Fertöd bei den Eszterházys der eigentliche Ursprung ungarischen Opernlebens ist, wenn man davon absieht, dass Claudio Monteverdi schon 1595 im
Gefolge des Herzogs von Mantua durch Ungarn zog. Bei der Haydn-Forschung machte sich besonders der Dirigent Antal Doráti einen Namen. Im Rahmen der
devisenbegrenzten Möglichkeiten feierte das Publikum in den sechziger bis achtziger Jahren auch wieder internationale Stars von Caballé über di Stefano, del Moncao bis Pavarotti und Domingo.
Eine besondere Förderung erfuhr ab den 60er Jahren unter anderen durch den schon genannten Regisseur Kálmán Nádasdy, der ab 1959 auch Direktor wurde,
die zeitgenössische ungarische Komposition, auch aus dem Wunsch heraus, eine eigenständige Musikästhetik als Aushängeschild für die Welt und in
Wiederaufnahme der Bestrebungen der grossen Söhne Ungarns zu produzieren. Ein Gegenpart zur sicher nicht immer zu unrecht als dekadent verschrienen
Neutönergilde des Westens war zu installieren. Die hervorragenden Vertreter dieser Zeit sind Szokolay, Mihály und Emil Petrovics.
Zum hundertsten Jahrestag 1984 wurde das Haus an der Andrássy einer Generalüberholung unterzogen und sorgt seitdem mit einem überwiegend
klassischem und nationalem Programm für Befriedigung beim Publikum. An die grossen Zeiten konnte es aus nachvollziehbaren Gründen jedoch nicht mehr
anschliessen, wenn auch teils grossartige Inszenierungen mit ebensolchen Darstellern gelangen, die teilweise noch von Lehrern ausgebildet waren, die zur
echten Belcanto-Schule gehörten. Die des Don Carlos aus dem Jahre 1969 liefert sogar noch heute, nach ca. 380 unveränderten Vorstellungen den Beweis, was
das Haus in der Lage war, zu leisten, auch wenn die damalige Sängergarde mit Lajos Miller, Sándor Konya, Sándor Sóloym-Nagy und Kolos Kováts heute kaum
noch eine Entsprechung findet (letzterer ist auch noch aktiv!). Auch die Dekors der Bohème von 1937(!) und des Nussknacker von 1950 sind originalgetreu im Einsatz.
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VI Zeit der Stagnation und des Aufbruchs
Seit der politischen Wende am Ende der Achtziger Jahre fiel das berühmte
Opernhaus mehr und mehr in einen Dornröschenschlaf und ist überwiegend zum Besitzstandswahrer seiner tradierten Aufführungspraxis, zu einem singenden
Museum geworden. Immerhin ist es ihm in Zeiten, in denen oft allein der buchhalterische Mehrwert und höchstens noch das „Image” als Grössen gelten, die
Förderung verdienen, gelungen, nicht geschlossen, unanständig zusammengeschrumpft oder gar zu Tode saniert zu werden, obwohl die vorgestrigen Leitungskader scheinbar alles dafür taten. Das Repertoire ist
gigantisch, die Kosten sind es ebenso. Die Preise sind immerhin noch für normale Ungarn leistbar. Doch es fehlte bisher die große Erneuerung, der politische Wille,
einer anerkannten künstlerischen Führungsfigur das Ruder zu übergeben, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Künstlerisch gibt es, nach schmerzhaften
Abschiedskämpfen der alten Garde, einige sympathische Ansätze und endlich auch junge, neue Leute.
Doch konzeptionell und strukturell ist das Opernhaus immernoch ein Staatsbetrieb
und hängt am Tropf der jeweilig herrschenden Partei, ist geknebelt in unkündbaren Kollektivverträgen. Das Erkel-Theater, die Zweitspielstätte, wird
gerade aufwendig zum Mehrzweckhorror umgerüstet, eine Trennung wäre vernünftig gewesen. Trotz aller guten Regieansätze, bleibt die Bürde des Hauses
an der Andrássy sein repräsentativer, staatskulturtragender und touristischer Nimbus. Man will vom Repertoire her zwar in der obersten Liga mitspielen, hat
aber nicht die Ressourcen dafür, weil der Bürokratie der Kunstsinn jenseits der Repräsentation einfach fehlt. Die guten Sänger gehen in den Westen, des Geldes
wegen. Sie kommen zurück, der Kunst wegen und werden ein weiteres Mal enttäuscht.
Walter Felsenstein, der große Theatermann, prägte einmal - gemünzt auf die
Komische Oper in Berlin - den Satz „In diesem Hause wird nur gespielt, was gespielt werden kann, wie es gespielt werden muss.” Diese nützliche und letztlich
gewinnbringende Selbstbeschränkung sollte sich die Ungarische Staatsoper, zumindest für die nächsten 25 Jahre auferlegen, wenn sie nicht weiter in prunkvoller Zweitklassigkeit verharren will.
Marco Schicker
Spielpläne, Informationen und Tickets: www.opera.hu
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(c) Pester Lloyd
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