(c) Pester Lloyd / 45 - 2009
ESSEN & TRINKEN 07.11.2009
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k+k-Erbsenzähler
Der GaultMillau 2010 ist erschienen: Babel sei Budapests Bestes
Die neue Österreich-Ausgabe des Gault Millau, nach dem Guide Michelin der einflussreichste Restaurantführer der Welt, erwähnt und bewertet neben
Restaurants in Kroatien und Südtirol in diesem Jahr auch erstmals Lokale in Prag, Budapest und Bratislava. Die Köche der ungarischen Hauptstadt und überhaupt
des Ostens, sollten sich aber nicht so sehr an der Erlangung zweifelhafter Hauben und Sterne orientieren, das führt nur zur verkrampften Imitationen.
Prag - die einzige osteuropäische Stadt, die
bisher ein Lokal mit einem Michelin-Stern vorweisen konnte (wenn auch einen quasi importierten), brachte auch im Gault Millau die höchsten Bewertungen der drei neu aufgenommenen Städte zusammen: das
Allegro im Four Seasons Hotel überzeugte die Tester und stieg gleich mit 16 Punkten ein, ebenso wie das La Degustation Boheme Bourgeoise und das Le Grill im Kempinski Prague Hotel (beide 16 Punkte). Zwei
Hotelrestaurants also, von internationalen Ketten, die sich teure Köche einkaufen können und nicht auf Profit arbeiten müssen. Naja. Als bestes Restaurant in Bratislava
wurde das Camouflage mit 15 Punkten und zwei Hauben bewertet.
An der Spitze in Budapest steht das Restaurant Babel in der Váci utca, das wir erst vor
wenigen Tagen getestet und besprochen haben und bei dem uns der Spitzenplatz nicht unbedingt sofort in den Sinn gekommen ist, auch wenn die Kreativität und Sorgfalt
der dortigen Konstruktionen sicher eine Würdigung verdienen. Allein schon der Umstand, dass man einen Plan hat, ist eine Haube wert. Die Umsetzung jedoch nicht
gleich die zweite. Wenn man aber das anständige Preis-Leistungs-Verhältnis in Betracht zieht und die Ambitionen in einem wahrlich schwierigen Umfeld als eigenen
Gang gelten lassen möchte, dann kann man dieser Einschätzung durchaus zustimmen.
Ebenfalls 15 Punkte gingen an das Fausto's, eine der wenigen wirklich beständigen
Größen in Budapest und nun schon seit mehr als einem Jahrzeht zumindest das feinste italienische Restaurant der Stadt. Der Guide Michelin empfiehlt übrigens auch eine
Reihe von Budapester Lokalen, allerdings scheint die Auswahl eher den Plattheiten billiger Reiseführer, denn echten Recherchen vor Ort entsprungen zu sein, die
Budapest-Abteilung des Gault Millau erscheint uns da eindeutig kompetenter.
Wieso überhaupt müssen sich die Ungarn, die Slowaken und die Tschechen von
Österreich aus bewerten lassen? Altes K+K-Vorrecht? Sicher, es gibt eine feine und auch eine urig-gute Küche in Wien und Salzburg und dazwischen, und in Österreich ist
jeder ein Feinspitz, genauso wie in Deutschland jeder ein Bundestrainer ist. Aber die Küche dort ist behäbig wie deren Gäste, die letzten Einwanderungswellen aus Ungarn
und Böhmen sind Jahrhunderte her, heute ist die sogenannte gehobene österreichische Küche überheblich und xenophob wie die Leser der Krone, die allerdings
Ernährungsgewohnheiten jenseits von Gut und Böse haben. Selbst die kreativen "jungen Wilden" sind hier eher konservative Laborratten, deren Kreationen man den
selbstzufriedenen Eigenheimbesitzer praktisch anschmeckt und denen die Erwähnung im TV-Boulevardmagazin "Seitenblicke" längst wichtiger geworden ist als ein Lob des
Gastes. Diese Marketing-Gewächse als teuerste Blüten der Gastronomie zu feiern, beweist die Krise der Restaurantkritik ebenso wie jene der "Spitzengastronomie".
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Eine Kreation des Budapester Siegerrestaurants “Babel”
Die Köche der ungarischen Hauptstadt sollten sich daher nicht so sehr an der Erlangung
zweifelhafter Hauben und Sterne orientieren, das führt nur zur verkrampften Imitationen und teuren Übertreibungen. Der eigene Weg, so er ehrlich, direkt,
beständig, ein wenig kreativ und immer frisch beschritten wird, bringt letztlich mehr. Budapest ist viel jünger, macht daher mehr Unfug und Faxen. Immerhin haben die
Restaurantführer immer einen Drall, sich zu sehr auf die reine Küchenleistung zu kaprizieren. Natürlich ist diese zentral, aber andererseits ist es eine glatte Lüge, zu
behaupten, es wäre angenehmer in einem sonstwie gestylten Hotelrestaurant, einer jener Holz-Messingburgen mit fünffachem Tischtuchbelag oder einem dieser
Neo-Beisln mit der Ausstrahlung eines frisch renovierten Wartezimmers steif zu dinnieren als in einer leicht beschwippsten Trattoria das Leben zu feiern.
Was Restaurantkultur insgesamt betrifft, da steht der Beitritt der ungarischen und
osteuropäischen Gastronomie (nicht der Küche) zu Europa zweifellos immer noch bevor. Doch wenn es so weit ist, werden Gault Millau und Michelin nicht die ersten
sein, die das bemerken. Wenn er stattfindet, dann nämlich sicher nicht im Sinne einer überlebten westlichen Buchhaltung der Erbsenzähler und -wieger, die nur noch auf sich
selbst reflektiert, sondern hoffentlich emanzipiert und eigensinnig als eine Art Balkanfusion, unerklärlich aber unverwechselbar. Bis dahin muss Budapest allerdings
noch sehr oft "Weißwein-kalt-stellen" und "Nudeln-nicht-zu-weich-kochen" üben, unter anderem.
ms.
Weitere Infos und Bestellmöglichkeit zum Gault Millau Österreich 2010 www.gaultmillau.at
Zum Thema:
Minimalismus an der Váci
Kulinarisch interessant, doch der Wein zum Weinen: Das Restaurant „Babel“ in Budapest
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