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(c) Pester Lloyd / 46 - 2009  POLITIK 12.11.2009
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Steuern und Skelette

Oppositionschef in Ungarn kündigt für 2010 "große Steuersenkungen" an, obwohl er 7,5% Defizit erwartet

Alles an der derzeitigen Regierung in Ungarn sei mehr oder weniger Lüge, Bluff und Manipulation. In seiner bekannt direkten Art las Fidesz-Chef Orbán seinem angenockten politischen Gegner in einem Fernsehinterview die Leviten. Er werde trotz aller Widrigkeiten 1 Million Arbeitsplätze in zehn Jahren schaffen. Wie groß die versprochene "wirklich große" Steuersenkung ausfallen wird, hängt aber von der Zahl der Leichen ab, die man auf dem WC vorfinden wird.

Der höchstwahrscheinlich nächste Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orbán, verstärkt seine medialen Aufritte. Er weiß, dass die Deutungshoheit ein wichtiger Schlüssel zur Erlangung der angestrebten absoluten Mandatsmehrheit im Frühjahr 2010 ist. Nach seinen Ausführungen zu einer möglichen verfassungsändernden Merhheit des Fidesz nach den nächsten Wahlen, die ihm bereits den Vorwurf des selbstherrlichen Potentaten einbrachten (Ungarn bleibt wahrscheinlich Republik), wandte er sich nun beim Sender ATV Fragen der Wirtschafspolitik zu, bei der seine Partei mit Konkretem bisher geizt - Masseverschiebung ohne Masse. Doch auch Orbán bleibt weiter wortreich unkonkret und in seinen Aussagen kollidieren marktradikale Ansichten mit dem nationalen Anspruch seiner Partei. Kritische Fragen lässt er sich gar nicht erst stellen.

Orbán weiß selbst, was er denken soll

Doch zuerst musste wiederholt werden, dass alles was die Bajnai-Regierung (der Fidesz spricht lieber von einer Gyurcsány-Bajnai-Ära) fabriziert habe, ein "einziger Bluff" sei. "Was sie geschaffen haben, ist kein Krisenbeseitigungspaket, sondern ein Krisenvertiefungspaket", genauso wie die Regierung insgesamt die Krise verschlimmert. Das Budget sei also eine Lüge, ein Bluff, weil die Daten, auf denen es beruht, aus Absicht oder Unkenntniss, falsch, sogar manipuliert seien. Orbán glaubt, dass das Defizit des Staatshaushaltes im nächsten Jahr bis zu 7,5% (1,3 Billionen Forint, ca. 4,8 Mrd. EUR) betragen könnte. Die Regierung rechnet mit 3,9% (eine IWF-EU-Vorgabe - In bröckelnden Putz gemeißelt). Auf die Frage, was ihn, Orbán so sicher macht, dass er den Prognosen des IWF, der Ratingagenturen oder des Finanzministeriums nicht glauben kann, reagierte der Oppositionsführer auf seine gewohnt rotzige Art. Er sei erwachsen und brauche niemanden, der ihm sagt was er denken solle, schon gar nicht Ratingagenturen oder Sozialisten. "Das ist das zwanzigste Budget, an dem ich arbeite. Ich kann lesen und habe Erfahrung."

Steuersenkung ist versprochen

Nach diesen, hierzulande ganz üblichen Abrechnungen mit der politischen Gegenseite ging es um Fragen der Zukunft. Orbán bevorzugt zukünftig ein dreijähriges Budget, das mehr Planungssicherheit schaffe. "So funktioniert es ja auch in England." Unter seiner Regierung werde der Staatshaushalt jedenfalls durchschaubar und verlässlich sein. Ob es nun auf ein, zwei oder drei Jahre angelegt ist, sei doch "eine technische Frage", relativierte er seinen Vorstoß. Sobald seine Partei an der Macht ist, wird es eine große, umfassende Steuersenkung geben. Wie umfänglich die sein wird, sagte er jedoch nicht. "Das hängt davon ab, wieviel Skelette wir auf dem Klo finden werden." Seine Partei würde gerne konkretere Angaben zu ihren Plänen in der Wirtschaftspolitik machen, könne das aber erst, wenn sie den "wahren Zustand der Wirtschaft" kennt. Die maßgebliche Senkung der Steuern seien jedoch fix, "das kann ich versprechen." Denn, so sagte er weiter: "Je tiefer die (wirtschaftlichen) Schwierigkeiten sind, um so mehr muss man die Steuern senken", wiederholte er einen neoliberalen Leitspruch ohne von irgendeiner Gegenfinanzierung zu sprechen. Orbán steht auch weiterhin dazu, dass er jährlich 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen wolle.

Viktor Orbán bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Reden halten vor begeisterten Mengen.
Hier an der Grenzbrücke zu Komárom im Europawahlkampf. Ein Auftritt der eine Menge Ärger mit dem Nachbarn Slowakei nach sich zog. Foto: fidesz.hu


Zweifel an internationaler Verlässlichkeit

Bei politischen Themen hielt sich der Parteichef recht kurz. Eine Koalition mit den Sozialisten oder der rechtsradikalen Jobbik schloss er aus. Angesprochen auf den Bürgermeister von Edelény, Oszkár Molnár, der durch hefitge rassistische Ausfälle bekannt geworden ist, meinte Orbán nur, dass die Frage eines Parteiausschlusses nur aktuell werde, wenn sein Name noch häufiger auftauche. Orbán sagte, er finde die "Sprache (den Ton, die Ausdrucksweise, Anm.), die Molnár benutzte" unakzeptabel. Vom Inhalt der Aussagen distanzierte er sich damit jedoch nicht. Fragen nach den im Ausland geäußerten Bedenken über die Sicherheit ausländischer Investitionen in Ungarn wurden auf dem oppositionsfreundlichen Sender gar nicht erst gestellt. Der einflussreiche "The Economist" in London nahm jüngst zwei Fälle auf (den der Lizenzvergabe an zwei Radiosender - Slágabtausch, von denen einer Fidesz-nah sein dürfte und jenen der Quasi-Enteignung der französischen Suez bei den Pécser Wasserwerken durch den Fidesz-Bürgermeister Zsolt Pava - Sturm im Wasserwerk), um Zweifel an der Verlässlichkeit einer Fidesz-Regierung, hinsichtlich offener Märkte und demokratischer Verfahren, zu äußern. Und dabei hat man noch nicht einmal über die nachbarschaftspolitischen Befürchtungen gesprochen.

Vision von einem Zeitalter der Rechten

Der Rhetorik Orbáns kann man sich auch angesichts der Argumentationslosigkeit der Regierung und der MSZP kaum verschließen. Er sagt, dass sich Budget und Wirtschaftspolitik ausschließlich abstrakten Forderungen des IWF und der EU beugen und die Sparmaßnahmen meistens vor allem Familien und ärmere Schichten treffen. In der Krise müsse der Staat aber mehr auf Wachstumsimpulse und soziale Absicherungen setzen als sich den Forderungen fremder Kräfte zu ergeben. Premier Bajnai verweist zwar auf Hilfsprogramme, aber diese haben nur bescheidenes Ausmaß. Die Kürzung von Familienbeihilfen, 13. Monatsrente etc. kann auch er nicht schön reden, er wiederholt nur gebetsmühlenartig, dass die rigiden Sparmaßnahmen letztlich das Vertrauen in die Seriosität der ungarischen Wirtschaft und die Stabilität in Währung und Finanzsystem stärken sollen. Damit macht er es Orbán und dem Fidesz sehr leicht, die Bedürfnisse "des Volkes" über zunächst formal klingende Defizitziele zu stellen. Der desolate Ruf der Sozialisten als heuchelnde, skandalumrangte Milliardäre mit Selbstbedienungsmentalitität tut dann ihr übriges.

Was der Fidesz ab nächstem Jahr wirklich umsetzen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Ausländische Investoren verschrecken und die EU mit ausufernden Defiziten provozieren, kann sich das Land nicht leisten. Orbán könnte aber das Glück haben, sich mit der Kritik an seinen Vorgängern in eine nachhaltige Wachstumsphase ab 2011 zu retten. Wenn die neue Nomenklatura nicht zu gierig wird und die politische Geschlossenheit auch nach der Hinstreckung des einenden politischen Gegners erhalten bleibt, kann Orbáns Vision von einem neuen Zeitalter der Mitte-Rechts-Kräfte und einer dauerhaften Schwächung der "Sozialisten" in Ungarn Wirklichkeit werden.

-red

Ungarn bleibt wahrscheinlich Republik
Aber was macht Viktor Orbán dann mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit?

Sturm im Wasserwerk
Der Bürgermeister im ungarischen Pécs "enteignet" eine westliche Firma mit militärischer Gewalt und löst so eine zweite Suez-Krise aus

Slágabtausch
Fortsetzung der Radioposse in Ungarn

In bröckelnden Putz gemeißelt
Die EU widerspricht dem ungarischen Budgetentwurf

Masseverschiebung ohne Masse
Andeutungen zur Haushalts- und Wirtschaftspolitik der kommenden Regierung in Ungarn

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