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(c) Pester Lloyd / 02 - 2011  WIRTSCHAFT 14.01.2011

 

Vagabundierende Löcher

Mut- und Übermut in der ungarischen Wirtschafts- und Haushaltspolitik
Neuer Széchenyi-Plan präsentiert

"Schwarze Löcher": Unter dieser Überschrift rechnete der ungarische Minister für "Nationalwirtschaft", György Matolcsy, mit seinen Vorgängern ab und feiert, wie seine Regierung das Land vor dem endgültigen wirtschaftlichen Kollaps gerettet hat. Als "Minenfeld" beschreibt der Minister, was die Sozialisten ihren Nachfolgern hinterlassen hatten. "Das 500 Milliarden-Problem" habe man korrigiert, ob das auch in Zukunft gelingt, bleibt indes fraglich, denn schwarze Löcher haben die Angewohnheit zu vagabundieren und die Regierung steht sich bei allem Tatendrang oft selbst im Weg.

Der für seine höhere Finanzarithmetik und seine Lust am verschärften Fabulieren in Fachkreisen und bei Schuldnern von Fremdwährungskrediten berüchtigte Nationalwirtschaftsminister, György Matolcsy, kommentierte in einem offiziellen Statement das Erreichen der 3,8%-Defizitgrenze des Haushaltes für 2010. Diese "in der EU außerordentlich niedrige Kennzahl" konnte nur durch "außergewöhnliche Maßnahmen" der "Regierung der nationalen Angelegenheiten" erreicht werden. Man habe die "versteckten Landminen", die "auch vom Haushaltsrat übersehen worden sind", (den man mittlerweile abschaffte) erfolgreich entschärft und das von den Sozialisten konstruierte Budget korrigieren können. Diese hatten die Einnahmen überschäftzt, die Ausgaben unterschätzt, was zu unrealistischen Prognosen führte. "Wir können heute mit absoluter Sicherheit sagen, dass das Budget der Vorgängerregierung vollständig auf unrealistischen Daten basierte." Ohne die Maßnahmen der Orbán-Regierung, so Matolcsy, wäre das Defizit zum Jahresende bei 7% des BIP gelegen. (siehe Grafik)

Diese Grafik des Wirtschaftsministeriums verdeutlicht die Entwicklung des ungarischen Haushaltsdefizits zum jeweiligen BIP. Tatsächlich ist eine Reduzierung während der ersten Fidesz-Regierung ersichtlich, erst nach der “Lügenrede” Gyurcsánys fingen auch die Sozialisten zu sparen an, wobei ihnen einige Boomjahre halfen. Der letzte Balken illustriert, was aus dem Defizit ohne die Sondermaßnahmen der Regierung geworden wären.

Großabrechnung mit den Vorgängern und ihren Überbleibseln

Die klaffenden Budgetlöcher stopfte man bekanntlich durch erhebliche Sondersteuern für bestimmte Branchen sowie kleinere Sparmaßnahmen. Allein mit der Bankensteuer und den Sonderabgaben für Telekom, Handel und Energieunternehmen konnte man das Haushaltsdefizit in diesem Jahr um 2% reduzieren, rechnet Matolcsy, der für die Ressorts Wirtschaft und Finanzen gleichermaßen zuständig ist, vor, zudem wuchs "die Wirtschaft 2% mehr als vorhergesagt", was dem Budget um weitere 0,7% half. Matolcsy rechtfertigte nochmals die Abschaffung einer unabhängigen Haushaltsaufsicht mit deren Versagen bei der Bewertung des 2010er Budgets.

Dann rechnet er nochmals gründlich und langatmig mit der Bajnai-Regierung ab. Der gelernte Wirtschaftsprüfer Gordon Bajnai führte nach dem Gyurcsány-Rücktrirtt als Unabhängiger eine sozialistische Minderheitsregierung, etwa die Hälfte seines Kabinetts bestand aus parteilosen Experten, die Ungarn durch die Wirtschaftskrise navigieren sollten und sich sklavisch an die Anweisungen der Notretter, IWF, EU und Weltbank hielten. Die Frage ist durchaus berechtigt, wie Bajnai die entstandenen Haushaltslöcher gestopft hätte und ob ein erneuter Notkredit des IWF nicht mehr negative Folgen auf Ungarn und die gesamte EU gehabt hätte als die zwar harte, aber nachvollziehbare Abschöpfung der Konzerne.

Matolcsy wirft Bajnai Einseitigkeit vor und beklagt, dass dessen Maßnahmen, u.a. die Abschaffung der 13. Monatgehälter und 13. Renten und die Einfrierung der Gehälter im öffentlichen Dienst sowie der Stop von Bonus- und Prämienzahlungen, lediglich die Kaufkraft der Bevölkerung und damit die Binnennachfrage reduziert hätten. Das gelte ebenso für seine Anhebung der Mehrwertsteuer um 5 Prozentpunkte und die Erhöhung von Verbrauchssteuern. Seitenweise beschreibt er eine Allianz aus Versagern und stillschweigenden Duldern der offenbar falschen Haushaltsführung, die nur durch den Befreiungsschlag des Fidesz beendet wurde. Auch eine Watschen für die Nationalbank fehlt nicht, die letzte Institution, die noch ihrer Gleichschaltung harrt, was aber nach Stand der Dinge nur eine Frage von wenigen Monaten sein wird. Auch hätten diverse Einsprüche des Verfassungserichtes bares Geld gekostet (z.B. bei Kinderfreibeträgen etc.). Das Problem ist gelöst, das Verfassungsgericht hat man entmachtet, es hat bei Budgetfragen keine Kompetenzen mehr.

Der Haushalt 2011, garniert mit einem Nationalschleifchen. Wenn´s hilft...

2012 verpuffen Einmaleffekte und wird die Sondersteuer reduziert. Und dann?

Ganz richtig stellt Matolcsy endlich fest, dass die "Krisenmaßnahmen der Regierung" erreichen werden, dass das 2011er Budget Bestand haben wird. Dafür sorgen bekanntlich die Sondersteuern, in wachsendem Maße aber die Rückflüsse aus der privaten Rentenversicherung sowie der Einbehalt der dafür vorgesehenen Beiträge. Die Regierung hatte ihren Bügern das großzüige "Angebot" gemacht, dass, wenn sie ihre Rente wieder allein in die so verlässlichen Arme des Staates legen, sie nicht den Anspruch auf die gesetzliche Rente bzw. 70% ihres Alterseinkommens verlieren werden. Wirklich überzeugend. Was Matolcsy in seiner Generalabrechnung jedoch nicht vorweisen kann, ist ein Plan, wie es nach 2012 weitergehen wird. Dann nämlich werden die Einmaleffekte der Rentenverstaatlichung verpufft sein und die Sondersteuern zumindest reduziert werden müssen (sie sollen dann in ein "neues System" umgewandelt, aber reduziert werden). Es ist also möglich und sogar wahrscheinlich dass die schwarzen Löcher, so wie es ihre Natur ist, wandern und von der einen zur anderen Regierung vagabundieren.

Die Belebung des Mittelstandes kostet erstmal eine Menge Geld

Selbst wenn das von der Regierung ziemlich optimistisch eingeschätzte Wirtschaftswachstum für die nächsten Jahre (ab 2014 rechnet man mit stabil über 5%!, das haben sich nichtmal die Sozialisten getraut) eintreten sollte und auch die Ziele auf dem Arbeitsmarkt (die propagierten 100.000 neuen Stellen pro Jahr sind jedoch eine Illusion) annähernd erreicht werden, kommt man nicht aus. Zum einen zahlt man immer noch den Notkredit ab, zum anderen kosten die Steuererleichterungen für den Mittelstand (Flat Tax auf Einkommen, Verringerung der Körperschaftssteuer bis zu einer Obergrenze, Familienbeihilfen etc.) eine Menge Geld. Die daraus kalkulierten Belebungseffekte und die signifikante Vergrößerung der Zahl der Steuerzahler wird sich nicht binnen zwei Jahren so erreichen lassen, um die Ausfälle zu tragen. Schon jetzt musste die Regierung feststellen, dass auch ihre Steuerschätzungen manchmal nicht so eintreffen, wie erhofft und sich einige Male nach unten korrigieren. Die Wirtschaft lässt sich eben schwer in Fraktionszwang nehmen.

Neuer Széchenyi-Plan agiert mit Versprechen und gigantischen Summen

Diese auf Behauptungen und Wünschen beruhende Politik wurde auch durch den heute von Premier Orbán persönlich präsentierten "Neuen Széchenyi Plan", ein Mittelstandsförderprogramm, das sich vor allem aus der Umwidmung von Geldern aus den EU-Strukturfonds speisen soll, bestätigt. Gigantische Summen werden da wieder in den Raum gestellt, 7.000 Milliarden Forint, über 25 Mrd. EUR stehen demnach bis 2014 zur Verfügung, die die gesamtwirtschaftlichen Investitionen jährlich um 5% nach oben pushen sollen und die so Ende 2014 25% des BIP erreichen sollen. 4.000 Milliarden davon sind bereits "ausgewiesen", 2.000 Miliarden werden "neu beschafft" und 1.000 Milliarden kommen von der Ungarischen Entwicklungsbank MFB, sind also Kredite. 300.000 Jobs binnen 3 Jahren soll das bringen.

Da rund die Hälfte der Mittel EU-Gelder sein werden, die nur einen neuen Namen und - zum Teil - eine neue Widmung Richtung KMU bekommen werden, werden notwendigerweise anderswo Gelder fehlen, auch ist nicht klar, ob eine Umwidmung von Strukturmaßnahmen einfach so von Brüssel gestattet werden wird. Vernünftig ist indes eine neue Schwerpunktsetzung hinsichtlich zukunftsfähiger Technologien und kleinerer Betriebe, wenn (!) dies ohne Benachteiligungen und Parteibuchvergaben abläuft.

Orbán bleibt zudem stur bei seinem Versprechen von 1 Million neuer Arbeitsplätze binnen zehn Jahren (auf deutsche Verhältnisse umgelegt, wären das 8,4 Mio...), ein Aberwitz, an den man ihn noch oft erinnern wird. Orbán wiederholte heute, dass er Ungarns Wirtschaft zürück "auf die eigenen Füße stellen werde" und "unabhängiger von internationalen Organisationen" machen will und nahm seine Landsleute in die Pflicht: "niemand in Ungarn könne von der Arbeit davonlaufen". Mehr dazu auf der offiziellen Webseite: http://ujszechenyiterv.gov.hu/

Tiefgreifende Reformen stehen noch aus

Die Finanzwelt und auch die bösen Ratingagenturen verweisen zudem immer wieder auf das strukturelle Defizit, das in Ungarn nach wie vor hoch ist. Damit ist neben einem aufgeblähten öffentlichen Dienst vor allem das Fass ohne Boden der defizitären Staatsbetriebe, von der Staatsbahn MÁV, dem Budapester Nahverkehr BKV bis zur flügellahmen Malév gemeint. Weiterhin harren das Gesundheitswesen, die Sozialversicherung, einschließlich Arbeitsamt und Sozialhilfesystem und immer noch auch die Rente einer generellen Neuaufstellung, Sanierung, Umstruktutrierung, deren positive budgettären Effekte sich ebenfalls nicht binnen ein bis zwei Jahren zeigen.

Matolcsy wiederholte immer wieder, dass es aber gerade diese Strukturreformen sind, die im Februar "verkündet" werden, die Ungarn endgültig aus dem Schlamassel führen und die internationalen Skeptiker zum Schweigen bringen werden. Doch schon jetzt beginnen die Ausreden: "Hochwasser, EU-Präsidentschaft, Kirchen, NATO, Rotschlammkatastrophe und ungeplante Zuschüsse für Gesundheit und Sicherheit" machen Matolcsy zu schaffen, so als ob man schon für den nächsten Steuerhammer vorarbeitet. Es wäre auch etwas völlig Neues, wenn die ungarische Wirtschaftspolitik irgendwann berechenbar würde. Auch Premier Orbán wiederholte am Donnerstag in der Financial Times, dass am 15. Februar die Strukturreformen, die Ungarns Defizit dauerhaft unter 3% drücken sollen, auf dem Tisch liegen. Die Welt wartet gespannt.

Die Wiederbelebung der eigenen Kräfte

Die Orbán-Regierung versucht sich an einem interessanten Weg und zeigt darin einen großen Mut: sie will durch geeignete Maßnahmen die eigenen Produktivkräfte stärken, den Mittelstand beleben, Steuergerechtigkeit und Arbeitsanreize schaffen, kurz: die ungarische Wirtschaft endlich wieder auf die eigenen Beine stellen. Bitter nötig im Land mit der nach Zypern niedrigsten Beschäftigungsrate und mit der höchsten Rentnerrate in der EU. Gleichzeitig sollen die vornehmlich ausländischen Großkonzerne, die jahrelang durch gutes Geld und Sonderkonditionen Profite eingefahren haben, stärker als die Kleinen in die finanzielle Mithaftung genommen werden. Geht alles gut, besteht die Chance sich langfristig von der perversen Logik der internationalen Finanzmärkte zu lösen, deren oberster Wächter, der IWF, tatsächlich nur darauf bedacht ist, die Zahlungsfähigkeit des Landes aufrecht zu erhalten, egal, was das mit den Lebensbedingungen der breiten Masse des Volkes macht.

Panische Angst vor dem Machtverlust

Orbáns Pläne und Maßnahmen reichen jedoch noch nicht, um diesen Weg erfolgreich zu Ende zu führen, ein Scheitern ist möglich und wäre eine Katastrophe für das ganze Land, nicht nur für die heute so übermäßig selbstsichere Regierungspartei Fidesz. Ungarn stünde am Ende wieder, wo es schon war und damit schlechter da als je zuvor. Dann hilft auch der an sich richtige Verweis auf die versagenden Vorgänger nichts mehr.

Leider stehen sich die heutigen Machthaber bei ihren hehren Ambitionen durch ihre Rachsucht an den Vorgängern und ihre ideologische Starrköpfigkeit häufig selbst im Weg. Wenn alles was sie tun, so nützlich und großartig für Ungarn ist, woher dann diese panische Angst vor demokratischer Kontrolle und unabhängiger Überprüfung, wieso dann die Gleischschaltung sämtlicher demokratischer Kontrollistanzen? Orbán mag sich als aufgeklärter Absolutist sehen, der sein Volk zum Glück zwingen will. Doch seine sichtbare Despotie und die fehlende Transparenz, gepaart mit einer pathologischen Angst vor dem erneuten Machtverlust, fördern auch zukünftige Vertuschung, Betrug und Schönfärberei durch seine Parteisoldaten, von denen Matolcsy nur einer der Risikofaktoren ist. Die Wirtschaftspolitik aber nach einer starren Ideologie auszurichten, bekam ihr noch nie gut, auch wenn das Ziel der Politik, die Handlungshoheit über die Wirtschaftspolitik zurückzuerobern, ein legitimes ist.

Einen umfassenden Einblick in die Wirtschaftspolitik, Hintergründe zum Budget und den Sondersteuern, bekommen Sie in unseren Ressorts Wirtschaftspolitik und Finanzmarkt

M.S.

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