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(c) Pester Lloyd / 03 - 2011  POLITIK 19.01.2011

 

Showdown in Straßburg

Ungarns Ministerpräsident im Kreuzfeuer des Europäischen Parlamentes

Am Mittwoch präsentierte Viktor Orbán vor dem EU-Parlament in Straßburg die Schwerpunkte der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes, die auf breite Zustimmung trafen. Dann kam es jedoch zu dem erwarteten Schlagabtausch über das Mediengesetz, Orbán spürte hier einen ungekannten Gegenwind. Das erste Mal war zu erleben, wie dem gerühmten Rhetoriker die Argumente ausgingen und er eine Niederlage einstecken musste.

Es sollte (s)ein großer Auftritt werden, doch am Ende wurde es eine kleine Niederlage.
Viktor Orbán am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament. Fotos: MEH

Üblicherweise ist eine solche Sitzung zu Beginn einer Ratspräsidentschaft ein von gegenseitigen Höflichkeiten bestimmter Pflichttermin. Doch Ungarn hat sich durch sein Mediengesetz die kritische Aufmerksamkeit vieler Parlamentarier gesichert. Bereits am Dienstag hatte sich Orbán in Straßburg mit den Fraktionschef der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Grünen getroffen, um sie mit den Grundzügen seiner Ambitionen bekannt zu machen und das Terrain für die öffentliche Debatte im Parlament am Mittwoch abzuklopfen. Doch die Vorgespräche brachten nichts, es ging am Mittwoch richtig zur Sache.

Zu Beginn der Rede Viktor Orbáns verklebten sich einige Parlamentarier ihre Münder mit Pflastern und hielten leere Titelseiten ungarischer Zeitungen sowie Plakate mit "Zensuriert" hoch. Orbán freute sich über diese "Performance" des Parlamentes, die ihn sich "ganz zu Hause fühlen ließ". Er empfindet eine "historische Genugtuung", weil Ungarn große Opfer während der Weltkriege und 1956 gebracht habe, den "ersten Stein" aus der Mauer des Kommunismus geschlagen und daher viel für die europäische Einigung getan hat. Das gewählte Motto "Strong Europe" steht daher für die Kraft Europas zur Einigung. "Heute stehen wir vor der gleichen Herausforderung wie vor 20 Jahren und müssen die "Stürme einer Weltkrise" überwinden. (...) Auch meine Heimat kann nur stark werden, wenn die EU stark ist."

“Keine Zeit für lange Debatten”

"Es sind nicht andere Kontinente oder andere Ideologien die uns bedrohen, sondern es ist ein sehr einfaches Problem, die Verschuldung." Die Schulden sind das größte Hindernis für Wachstum und Wettbewerb, so Orbán. Die Lösung liegt nur in der Schaffung von Arbeit. "Ich schäme mich, es zu sagen, aber in Ungarn ist die Beschäftigung in der ganzen Union am geringsten, 55%." Weiter: Nur Arbeit wird uns zum Erfolg führen. Wir dürfen unsere Kinder und Kindeskinder nicht mit Schulden belasten. Daher muss erst gearbeitet werden, bevor man etwas erlangen kann. Der Wert der Arbeit wurde aber durch die bisherige Verteilung in Frage gestellt.

Orbán fuhr fort: Über die Diagnose ist man sich einig, aber über die Behandlung nicht. Dabei ist die "Krankheit" gefährlich und "keine Zeit für lange Debatten." Die Menschen in Europa erwarten hier eine grundlegende Lösung, die EU-Ratspräsdientschaft seines Landes wird sich daher in erster Linie der Wirtschaft widmen. Er setzt sich dafür ein, dass durch eine Vertragsänderung ab 2013 ein ständiger Stabilisierungs- und Rettungsmechanismus in Kraft treten kann. Ungarn musste sich lange schämen, habe aber jetzt die nationale Glaubwürdikeit zurückerlangt, das Haushaltsdefizit wird unter 3% liegen und Ungarn neben Schweden das einzige Land sein, dessen Verschuldungsquote 2011 senken wird. So könne man auch Vorbild sein.

Ungarn will den Binnenmarkt stärken und erweitern und Barrieren abbauen, außerdem sollen die Bedingungen für KMU verbessert werden. Weiterer Schwerpunkt ist die Energiepolitik (Gipfel im Februar 2011), Ziel ist ein "tatsächlich durchgängiger, deregulierter Energiemarkt." Er nannte als gute Beispiele der Diversifizierung, die durchgängigen Pipelines vonn Polen bis Rumänien, "der Ostsee bis zur Adria und zum Schwarzen Meer".

Begrüßung durch Kommissionpräsident Barroso, selbst Gast im Parlament.

Zur Romastrategie: "Wir spielen mit dem Feuer"

Hinsichtlich der Romastrategie sagte Orbán, dass "Europa klug sein kann, aber es muss auch ein Herz haben." Daher müssen die Gesellschaftsschichten, denen es am schlechtesten geht, besonders unterstützt werden. "Wir spielen mit dem Feuer". (...) "Wenn wir uns nicht beeilen, werden die Roma, die sich bereits niedergelassen haben, wieder zu Nomaden werden. Daher brauchen wir eine europäische Romastrategie." wiederholte er seine Warnung, die fast wie eine Drohung klingen musste. Hinsichtlich der künftigen Erweiterung, "sehe ich die Ängste", wünscht sich aber mehr Optimisus. "Ich finde es ungerecht, dass Kroatien sich noch immer nicht in der EU befindet."

Innenpolitik nicht mit der Ratspräsidentschaft verwechseln

Dann eröffnete er selbst die Debatte, auf die man heute eigentlich gewartet hatte, indem er seine Kritiker gleich von vornherein einbremsen wollte: "Was immer ihre Meinung über die ungarische Innenpoliitk ist, vermischen sie das nicht mit der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft." (...) "Wenn sie das tun, bin ich zum Kampf bereit, doch darunter wird die EU leiden." Orbán behauptete, dass in der Frage des Mediengesetzes längst "der gesunde Menschenverstand" gesiegt hat, da man sich mit der Kommission auf eine Prüfung geeinigt habe, der man sich unterwerfen werde. Man sei in der Frage nicht eitel.

Kommissionspräsidente Barroso begrüßte die Grundausrichtung der Präsidentschaft und bat das Parlament im Interesse der Gemeinschaft um Unterstützung für Ungarn. Man habe die Krise noch nicht überwunden und müsse daher konsequent an die Arbeit gehen. Bereits in der Debatte zuvor kritisierte Barroso "egoistische, nationalistische und kurzischtige" Meinungen von "einigen Parlamentariern". Leidenschaftlich verteidigte er, dass nicht Europa, sondern die Länder selbst für ihre Defizite verantwortlich sind. Das "ehrgeizeige Ziel" der Ungarn, den Kroatien-Beitritt im ersten Halbjahr zu einem Abschluss zu bringen, bremste er ein. Kroatien müsse hier noch viel Arbeit erledigen. Er schloss mit dem diplomatischen Hinweis: "Führen wir Europa näher an Ungarn und Ungarn näher an Europa."

Dann begann die Redeschlacht

Danach war die fraktionelle Redeschlacht eröffnet, die erschreckende intellektuelle und mentale Unterschiede der europäischen Volksvertreter offenbarte. Der Parteifreund Orbáns, der Franzose Joseph Daul, sah "selten so große Herausforderungen" wie heute und betont die große demokratische Mehrheit über die Orbán zu Hause verfügt. Er habe ansonsten Vertrauen in ihn und nannte den ungarischen Premier: "einen großen Europäer."

Martin Schulz begrüßt Orbán am Dienstag. So freundlich ging es am Mittwoch nicht mehr zu.

Schulz: "In der Demokratie kontrollieren die Medien die Macht, durch ihr Gesetz kontrolliert die Macht die Medien."

Nicht nur ein bisschen anders sah das Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialisten. Er konkretisierte Orbáns Redebeitrag, dass es nicht irgendein Ungar oder gar Orbán war, der den Zaun des Eisernen Vorhangs zerschnitten hat, sondern der Sozialist Gyula Horn. Dann nahm er die Vorlage Orbáns dankend auf: "Es handelt sich beim Mediengesetz nicht um eine innerungarische Angelegenheit, sondern eine der Grundfragen und -werte Europas". Der "einseitig besetzte Medienrat" stelle die Demokratie auf den Kopf: "In der Demokratie kontrollieren die Medien die Macht, durch ihr Gesetz kontrolliert die Macht die Medien." Orbán habe im Parlament eine "linke Rede gehalten, handelt aber rechts", das habe man schon bei den Franzosen gesehen. Schulz weiter: "Es ist gut, dass sie eine breite Mehrheit im Lande haben. Wir hatten vorher Kollegen hier sitzen, auch aus Ihrem Land, die nur nach Hause telefoniert haben, um zu fragen, ob sie noch im Amt sind."

Sie haben aber die Pflicht ihre Mehrheit zu nutzen, um die EU zu stärken. Da fragt man sich natürlich, so Schulz, was es für ein Symbol sein soll, in der ungarischen Vertretung in Brüssel einen Teppich auszurollen, der Ungarn in den Grenzen von 1848 zeigt. Der wie immer sehr leidenschaftliche Schulz ziterte den deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche, der seinen Landsleuten einst ins Stammbuch schrieb, dass die menschliche Natur einen Sieg mitunter schwerer erträgt als eine Niederlage und so die Gefahr besteht, dass sich ein Sieg in eine Niederlage wandelt. Orbán habe die Pflicht, "jede Art des Zweifels an der unbedingten Bereitschaft zur Verteidugng der demokratischen Grundwerte." auszuräumen. Er solle daher nicht die Prüfung des Mediengesetzes abwarten. "Ziehen sie das Gesetz zurück!".

Liberale: Ändern Sie das Gesetz so schnell wie möglich!

Guy Verhofstadt, von den Liberalen, nannte Schulz im Anschluss einen "Elefanten im Porzellanladen", schloss sich inhaltlich aber an, in dem er unterstellte, dass die Schriften eines Sándor Márai wohl heute kaum noch als "ausgewogen" bewertet würden. Ein Mediengesetz soll "nicht die Ausgewogenheit bewerten, sondern die Vielfalt gewährleisten." "Nutzen Sie ihre 2/3 Mehrheit, von der alle Politiker nur träumen, um diese Vielfalt zu gewährleisten und ändern Sie das Gesetz so schnell wie möglich ab."

Cohn-Bendit: Kehren Sie zurück auf den Weg von vor 20 Jahren!

Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen, erklomm den emotionalen Höhepunkt der Debatte: "Wir lieben Ungarn. 1954 habe ich geweint als Ungarn im Weltcup verloren hat, 1956 war der Anlass für meine erste Demo, ich stand an der Seite von Orbán als er gegen die Kommunisten gekämpft hat. Ich stand an seiner Seite als verlangt hat, dass Haider aus der Fraktion der Liberalen gewiesen wird." Heute, so Cohn-Bendit weiter, sind "Sie auf dem Weg ein europäischer Chavéz zu werden, ein Nationalpopulist, der das Wesen der Demokratie nicht versteht." Mit Verweisen auf verschiedene historische Skandale sprach Cohn-Bendit davon, dass eine "ausgewogene" Berichterstattung die Fehltritte der Mächtigen nie hätte aufklären können.

"Die Medien müssen die Politik kratzen und stören, das tut auch weh und ist lästig. Sie wollen ein starkes Europa, es muss aber ein glaubwürdiges Europa sein. Wenn wir dieses Gestetz akzeptieren, wie wollen wir dann zukünftig mit Herrn Lukaschenko oder mit China auf Augenhöhe reden?" "Dieses Europa ist im Kampf gegen den Totalitarimsus geboren, eine Grundlage davon ist die Meinungsfreiheit." Die Demokratie ist "noch nie an zu viel Freiheit gestorben. "Kommen Sie zurück auf ihren Weg von vor 20 Jahren!" In diesem Zusammenhang hätte er sich auch eine Erwähnung der Freiheitsbewegung in Tunesien erwartet.

Orbán im Vorabgespräch bei den Fraktionen des EP am Dienstag. Die politische Spaltung, die in Ungarn seit Jahren an der Tagesordnung, exportierte Orbán nun auf die europäische Ebene.

Alexander Graf Lambsdorff, wiederum von den Liberalen, forderte Orbán auf, die demokratischen Grundlagen Europas zu respektieren. Die Kritik an Ungarn sei "keine Kampagne, sondern eine europäische Frage." Die Kommission solle nicht nur eine notarielle, sondern auch eine politische Prüfung des Gesetzes vornehmen. Lambsdorff bewies zudem durch Detailwissen, dass das Totschlagargument der Verteidiger, "keiner wisse, wovon er rede" nicht stimmt. Hetzreden und Jugendschutz könne man auch über das Strafrecht durchsetzen. Orbán soll die Anwendung des Gesetzes bis zum Abschluss der Prüfung aussetzen.

Eigenartige Verbündete und Tiefpunkt der Debatte

Der erklärte britische Europafeind, Nigel Farage, der Berlusconi-Epigone, Mario Mauro aus Italien, sogar die neofaschistische, ungarische Jobbik-Abgeordnete Kriszitina Morvai, bildeten, neben der Riege der Konserverativen, die lautstärksten Unterstützer Orbáns, ob der nun wollte oder nicht. Ohnehin verrohte die Rhetorik mit zunehmender Dauer der Debatte. Der absolute Tiefpunkt war erreicht, als die Fidesz-Fraktion ihr Fraktionsmitglied Ádám Kósa nicht davon abhalten konnte oder wollte, seine Behinderung als politisches Kampfmittel zu missbrauchen, in dem er tatsächlich folgenden Satz sagte: "Ich bin als Mensch mit Behinderung besonders sensibel bei Fragen der Diskriminierung, daher sehe ich diese Hexenjagd gegen Ungarn mit großer Sorge."

Einig war man sich fraktionsübergreifend einzig darüber, dass eine starke Regierung wie die Orbáns, Europa mehr nutzen könnte, als die vorherigen Belgier, die gar keine Regierung hatten.

Orbán gingen die Argumente aus: er schrie nur noch heiser "Beleidigung"

Danach waren die Gräben weitgehend abgesteckt, die Debatte erschöpfte sich schnell in gegenseitigen Anwürfen und Stellvertreterdebatten. Leider schossen sich die Kritiker nur auf das Mediengesetz ein und unterließen es, auf die zahlreichen anderen demokratiepolitisch bedenklichen Maßnahmen (Verfassungsgericht, Haushaltsrat etc.) einzugehen. Die Verteidiger Orbáns und seines Gesetzes kauten die Worte ihrer Fidesz-Parteifreunde wieder, lediglich der EVP-Abgeordnete Lange aus Deutschland fiel besonders negativ auf, weil er die Debatte nutzte, um hinsichtlich Nordrhein-Westfalen innenpolitischen Parteienstreit vom Zaun zu brechen und sich sonst Orbán kritiklos zu Füßen warf.

Orbáns Erwiderung brachte nichts neues, er wählte dafür aber einen sehr kämpferischen Ton, manche Passagen schrie er regelrecht in Richtung von Martin Schulz und Daniel Cohn-Bendit (zusammengefasst): "Ich wundere mich darüber, dass so viele respektable Menschen von falschen Fakten ausgehen und zum Teil sind auch beleidigende Äußerungen gemacht worden. Beim Mediengesetz gehen viele von falschen Fakten aus, man kann darin keine Sanktionen gegen Unausgewogenheit aussprechen. Wovon sprechen Sie eigentlich? Sie sind da falschen Tatsachen auf den Leim gegangen. Es trifft nicht alles zu, was Sie in den Zeitungen gelesen haben. (...) Wir leben im 21. Jahrhundert, wie soll es da möglich sein, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken? Wir leben ja nicht mehr in der Vergangenheit. Das alte kommunistische Gesetz von 1986 musste geändert werden und das haben wir gemacht. Das neue Gesetz ist viel demokratischer als das alte. Ungarn ist ein Rechtsstaat. Und wir haben einen starken Rechtsstaat geschaffen, den es vor wenigen Jahren noch nicht gab.

Aber für Sie ist nicht das Mediengesetz das Problem, Ihnen stößt wohl eher sauer auf, dass es ein Land mit einer Regierung mit einer Zweidrittelmehrheit gibt. Wir haben wirklich in einer Diktatur gelebt und sie kommen daher und stellen die Demokratie in Frage. (lauter werdend) Ich lasse es nicht zu, dass hier das ungarische Volk beleidigt wird. Es ist doch Unsinn, wenn behauptet wird, dass Ungarn auf dem Weg zur Diktatur ist, damit beleidigen sie das ungarische Volk!" rief er, nun schon heiser, dennoch laut ins Europäische Parlament. Ihm waren, das war ein Novum, erstmals die Argumente ausgegangen. Schulz und Cohn-Bendit antworteten, er solle nicht "das Volk" als Hammer einsetzen, es gehe um ein undemokratisches Gesetz. Der Punkt ging ans Europäische Parlament.

red., M.S.

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