(c) Pester Lloyd / 04 - 2011 GESELLSCHAFT 27.01.2011
Orbáns Chuzpe
Schall und Weihrauch: Ungarns Premier Orbán traf Vertreter jüdischer Gemeinden in Brüssel
Moishe Kantor, Vorsitzender des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC) warnt auf einem Treffen mit Viktor Orbán vor rechtsextremen Strömungen in Europa und hat
speziell die ungarische Jobbik und die Lage in Ungarn im Blick. Doch wie bei vielen anderen Themen, behauptet Orbán einfach das Gegenteil, verharmlost und nutzt
einmal mehr die Gelegenheit zur Legitimation für sein Mediengesetz, obwohl die Fakten eine ganz andere, hässliche Sprache sprechen.
Viktor Orbán (rechts) hier bei einem Treffen mit Vertretern der ung. jüdischen Gemeinden, Foto: MEH
Ein als positiv erwartetes Treffen war es vermutlich für keinen der Beteiligten, als Orbán
am Dienstag in Brüssel mit einer Delegation des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC) unter Leitung des Vorsitzenden Moshe Kantor sowie dem Präsidenten der Förderation
ungarischer jüdischer Gemeinden (MAZSIHISZ), Peter Feldmajer, zusammen kam. Immerhin adressierte Kantor Orbán nicht nur als EU-Ratspräsident, sondern auch als
Regierungschef eines Landes, in dem eine rechtsextreme Partei die drittgrößte politische Kraft bildet und antisemitische Haltungen in weiten, auch gebildeteren
Bevölkerungsschichten salonfähig sind. Das Treffen fand im Rahmen einer Gedenkzeremonie von Jüdischen Organisationen und Europäischen Institutionen statt.
Für die Juden in Europa bedeutsame Fragen standen auf der Tagesordnung des Treffens.
Kantor warnte nachdrücklich vor dem wachsenden Einfluss der extremen Rechten und antisemitischer Ideologie in Teilen Europas und betonte die Notwendigkeit erhöhter
Wachsamkeit. Zum ersten Mal seit dem Holocaust fühlten sich Juden in Europa unsicher. Unter den organisierten politischen Bewegungen hob er die ungarische rechtsextreme
Partei Jobbik vor, welche sich wie eine Nazi-Partei verhalte. „Parteien wie Jobbik stehen in direkter Opposition zu den Werten der Europäischen Union“, erklärte Kantor. Die
Ratspräsidentschaft bilde eine Gelegenheit für Ungarn, den Weg gegen alle Erscheinungsformen von Extremismus und Hass zu gestalten. Péter Feldmajer,
Vorsitzender der Förderation ungarischer jüdischer Gemeinden (MAZSIHISZ), bestätigte einen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und dem Anstieg in der Verbreitung
antisemitischer Haltungen.
Null-Toleranz gegenüber Rassismus und Antisemitismus
Kantor sendete ein auch an Ungarns innenpolitische Verantwortung appellierendes Signal.
Der Regierung Orbáns warf Kantor vor, Jobbik zu sehr zu tolerieren und forderte eine europaweite „Null-Toleranz“-Haltung gegenüber Rassismus und Antisemitismus. Orbán
stimmte der Dringlichkeit der Lösungsbeiträge auf europäischer Ebene zu und behauptete ein Vorgehen des ungarischen Staats gegen Antisemitismus und Verletzungen der
Menschenwürde generell, wies zugleich die Vorwürfe zurück und stellte das neue Mediengesetz einmal mehr als der Demokratie dienlich dar. Schließlich sei es zur gezielten
Bekämpfung der Propaganda der Rechtsextremen eingeführt worden.
Kantor betonte zudem die nicht auf rechtsextreme Kreise beschränkte Ausbreitung dessen,
was er als eine „neue Form des Antisemitismus“ bezeichnete, welche sich gegen ein als Nationalstaat des jüdischen Volkes aufgefasstes Israel richte. Diese Haltung äußere sich
unter anderem in Aufrufen zum Boykott israelischer Waren, wie es einige britische, irische, schwedische und norwegische Gewerkschaften 2010 getan hatten. „Das jüdische
Recht zur Selbstbestimmung sollte unbestritten und unnachgiebig unterstützt werden, gerade in Europa“, forderte Kantor.
Hier beim Picknick mit einem der profiliertesten Antisemiten des Landes, Zsolt Bayer
Orbán betonte natürlich in dem Gespräch seine
Opposition gegen Kampagnen, die Israels Legitimität in Frage stellten. Ein Wort über die Legitimität von Selbstbestimmung und Grundrechten aller Bewohner
Israels und seiner Nachbargebiete vermied er indes, obwohl es genau hierher gehört hätte, um klar zu machen, dass Menschenrechte eben nicht eilbar sind,
von niemandem und für keine Begründung. Eine Zurückhaltung, die er sich bei seiner Verteidigung des Mediengesetzes eher hätte auferlegen sollen. Denn
davon zu sprechen, dass Mediengesetz schütze vor den Hasstiraden und Volksverhetzungen der Rechtsextremen, ist angesichts der Tatsachen peinlich und unsensibel. Das schaffte
bisher nicht einmal das feigenblättrige Holocaustleugnungsgesetz. Erst vor wenigen Tagen erhielt einer der vehementesten Antisemiten im Lande, Zsolt Bayer, der für die Magyar
Hírlap schreibt, eine Auszeichnungen aus den Händen eines Fidesz-Regierungsvertreters. Doch auch das Hausblatt der Regierung, "Magyar Nemzet" ist nicht frei von solchen Untertönen.
Die Realität widerlegt Orbáns weichspülende Behauptungen
Die Verunglimpfung von Juden als "Menschen nichtungarischen Herzens" (so einer der Codes
des feiner gesponnenen Antisemitismus, den man durchaus auch regelmäßig in als bürgerlich bezeichneten Medien findet) in Ungarn ist salonfähig, gerade bei der Kritik am
Mediengesetz ist sie wieder aufgetaucht und wurde sogar von einem Staatssekretär (ganz bestimmt unwissentlich) aufgenommen, als er von bestimmen "ungarischen geistigen
Kreisen" sprach. (Zsolt Németh in seinem Blog zur EU-Ratspräsidentschaft). Es spielt heute in Ungarn keine Rolle mehr, ob jemand als Jude auftritt sich als jüdisch bekennt, Name
und Abstammung genügen. Das ist der eindeutige Beweis für Rassismus.
Die Schriftsteller György Konrád und Imre Kertész, auch der Publizist Paul Lendvai, der
Pianist András Schiff und viele mehr, müssen sich seit lange mit regelrechten Kampagnen gegen sie abfinden, in denen ihre kritische Haltung auch oft damit erklärt wird, dass sie als
Juden keine aufrichtigen Gefühle für Ungarn haben. Ein uralter Vorwurf, der in der entgeistigten Athmosphäre des heutigen Ungarn wieder wunderbar anzukommen scheint.
Nun ist Orbán ganz sicher kein Rassist, im Gegenteil, er gehört auch in anderen Fragen durchaus zu den toleranteren Vertretern seiner Partei. Orbán ist aber jemand, der
politische Strömungen und Stimmungen eiskalt für eigene Interessen nutzt. Schwer zu entscheiden, was schlimmer ist. Ein Mensch, der einen ehrlich hasst oder ein Gegenüber,
der einem ins Gesicht lügt.
MTI auf Regierungslinie
Ganz im Sinne des neuen Mediengesetzes agierte die Nachrichtenagentur MTI bei der
Wiedergabe des Treffens. In der für die internationalen Medien gedachten englischen Aussendung, fand Kantors Kritik an der Toleranz gegenüber Jobbik, die in der
Pressemitteilung des EJC einen der Schwerpunkte bildet, keine Erwähnung, die Betonung lag vor allem auf Orbáns Absichtserklärungen. Der Text entpsrach in etwa dem, was Orbán
auf seiner eigenen offiziellen Seite kundtun ließ. MTI - das zukünftig lt. Mediengesetz der einzige Nachrichtenlieferant für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein wird - bezog sich
auch auf eine durch Orbáns Ratspräsidentensprecher Bertalan Havasi übermittelte Aussage des Ministerpräsidenten, die politische Atmosphäre für Juden in Ungarn, einschließlich einer
freundlichen öffentlichen Grundhaltung ihnen gegenüber, habe sich in der letzten Zeit verbessert. In einem solchen Fahrwasser bewegte sich auch die Einschätzung des für Kultur
zuständigen Staatsministers Géza Szőcs auf der Anhörung ungarischer Minister und Staatssekretäre vor dem EU-Parlament. Sie wurde nur noch getoppt von den Aussagen der
Bildungsstaatsekretärin Hoffmann, zur diskriminierungsfreien Bildung für Romakinder in Ungarn. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes, wenn auch sehr ähnliches Thema.
Simon Rahdes / red.
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