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(c) Pester Lloyd / 05 - 2011  GESELLSCHAFT 03.02.2011

 

Der Obstgarten der Oberzensorin

Ungarische Mandats- und Amtsträger legen ihre kaum existenten Vermögen offen

Alljährlich trifft die obligatorische Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der ungarischen Volksvertreter auf das voyeuristische Interesse breiterer Bevölkerungsschichten, dem wir auch gerne einmal erliegen. Und alljährlich kommt man zu dem Schluss, dass die Abgeordneten entweder tatsächlich sehr bescheiden leben oder sie ihre Vermögenswerte mittlerweile mit einiger Finesse den Blicken der Öffentlichkeit entziehen.

In diesem Jahr wurden die Vermögenserklärungen auch auf höhere Beamte des Staates, Verfassungsorgane und auf die Vorstände von unabhängigen Körperschaften, die durch den Staatshaushalt finanziert werden, ausgeweitet. "Keine großen Vermögen bei öffentlichen Amtsträgern" titelte die offiziöse Nachrichtenagentur MTI ihren entsprechenden Bericht, als wenn es einen Ungarn gäbe, dem nicht klar ist, dass man Firmenanteile und Immobilienbesitz, Yachten und Luxusautos umstandslos auf Verwandte und Bekannte umschreiben kann. Böse Zungen behaupten, dass der einzige Grund, warum sich die Vermögenserklärungen der Fidesz-Leute so von denen der sozialliberalen Selfmademilliardäre unterscheiden, darin liegt, dass sie in Summe noch nicht so viele Jahre an der Macht waren.

Hier können Sie alle eigenhändig verfassten, zum Teil rührenden Vermögensdeklarationen sämtlicher Abgeordneter abrufen: http://www.parlament.hu/internet/plsql/ogy_kpv.kepv_lis?p_ckl=39
(Gehen Sie bei dem jeweiligen Abgordneten zum Punkt: Vagyonnyilatkozat)

Premier Orbán ist wie immer und überall ein lebendiges Vorbild für alle Ungarn. Nicht nur weil er (mit einer Frau) verheiratet ist und vier (eigene) Kinder hat, sondern weil er seinen über das eigene Haus gehenden Immobilienbesitz auf 50 Jahre unentgeltlich an eine Stiftung vermietet hat. Er besitzt einen Laptop der knapp über 1000 EUR gekostet hat und bewegt sich sonst im Kredit- und Guthabenbereich eines durchschnittlichen deutschen Studenten. Nichtmal seine epochalen Bücher (Rengéshullámok (frei übersetzt: schäumende Wellen, Tsunami), Egy az ország (Eins ist das Land) oder A történelem főutcáján (Meine Geschichte auf der Hauptstraße, Ungarn 1998-2002) machten ihn zum reichen Mann, so um die 18.000 EUR im letzten Jahr nahm er damit ein und selbst die wird er wahrscheinlich noch spenden, da er zum selbst ausgeben doch gar keine Zeit hat.

Der kürzlich vom Ministerpräsdienten persönlich für neun Jahre (wieder)ernannte Generalstaatsanwalt, Péter Polt, gab immerhin eine 110 Quadratmeter-Wohnung im II. Bezirk (Budaer Hügel) zu, weiterhin mehrere Grundstücke von 1.500 bis 3.300 Quadratmeter Größe, ein 75 Quadratmeter Ferienhaus und einen kleinen Keller. Reich ist er dennoch nicht, denn er hat noch einen 37 Millionen Forint Hauskredit abzuzahlen, was ihm nicht allzu schwer fallen dürfte, denn sein monatliches Bruttogehalt beträgt nach MTI-Angaben 1.178.360 Forint, ca. 4.400 EUR, das ist nicht so schlecht für Ungarn, allerdings sehr wenig für einen Generalstaatsanwalt, dem man im öffentlichen Interesse nur die allergrößte finanzielle Unabhängigkeit wünschen mag, wenn man schon keine Unparteilichkeit mehr erwarten darf.

Die mittlerweile auch im Ausland zu einiger Berümtheit gelangte Annamária Szalai, Präsidenten des mächtigen Medienrates und gleichzeitig Chefin der Medienbehörde NMHH besitzt eine kleine 54 qm-Wohnung und einen Obstgarten. Außerdem hat sie Kredite von 13,5 Mio Forint, ca. 40.000 EUR angegeben, dafür leistet sich sie aber einen 7,2 Mio Forint teuren Ford Mondeo und einige Obstbäume können bei einem Monatsgehalt von 1,3 Mio Forint sowie nochmals der Hälfte davon für die oben angegebene Doppelbelastung auch bald angeschafft werden, in denen sie dann jeden einzelnen Apfel nach Maden untersuchen und Unkraut ausrupfen kann.

Der Chef des Staatlichen Rechnungshofes László Domokos hat ein kleines 90qm-Häuschen in Békéscsabá sowie ein angrenzendes Grundstück, weiterhin 7.000 Quadratmeter Ackerland und einen weiteren Anteil an einem Grundstück angegeben, jedoch nicht, ob dort auch Obstbäume stehen. Es gehören im 90% einer 122 qm-Wohnung im XIII. Bezirk und eine weitere kleine Wohnung im V. Bezirk. Als Auto besitzt er einen 2003er Skoda. Und so bescheiden geht es immer weiter, der Chef des Wettbewerbsamtes darbt in einer 47 Quadratmeter-Bude im VIII., quasi im Ghetto und hat nicht einmal ein Auto.

Etwas großzügiger trumpft da schon András Simor, der Zentralbankchef auf. Kein Wunder, ist er ja einer dieser vom Fidesz zum "Off-Shore-Ritter" geschlagenen Sozialisten-Protegées und einer der letzten, die man noch nicht los geworden ist. Ihm gehören lt. eigenen Angaben rund 2/3 eines 1.274qm Hauses im II. Bezirk, dem bevorzugten Viertel der Reichen, sowie eine 460 qm-Wohnung. Im XI. Bezirk nennt er ein Grundstück sein eigen sowie ein weiteres 300qm-Haus. Weitere Grundstücke, ein Mercedes CLS, freilich gebraucht gekauft und ein X332-Segelboot gehören ihm, letzteres vielleicht um sich nach Zypern abzusetzen, wo er bis vor kurzem seine im Inland so harsch kritisierten Geschäftsanteile hatte. Simor erhielt mit über 8 Mio Forint im Monat bisher ein angemessenes Gehalt, das ihm "der Volkswillen" auf knapp 2 Mio. zusammengestrichen hat, nach Zypern kommt er so höchstens noch mit Pauschlareisen.

Über die Beteiligungen des neuen Aufsichtsratschefs der Nationalbank, einem Fidesz Ex-Finanzminister, an einer großen Versicherungsgesellschaft und die eilige Überschreibung der Anteile des Ministers für Nationale Entwicklung an einem einflussreichen Medienunternehmen vor seinem Amtsantritt, um nur zwei kleine Beispiele hintergründigerer Fragestellung zu nennen, schrieb uns die staatliche Nachrichtenagentur freilich nichts, wahrscheinlich im "nationalen Interesse", warum sollte man in solch paradiesischen Zeiten unnötig Unruhe stiften...

red. / MS.
 

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