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(c) Pester Lloyd / 06 - 2011  TSCHECHIEN 09.02.2011

 

Kampf der Weißkittel und Blaujacken

Ärzteaufstand in Tschechien noch nicht befriedet,
da revoltiert auch schon die Polizei

Der tschechische Gesundheitsminister Leoš Heger von der Partei TOP 09, der auch der Außenminister Karel Schwarzenberg angehört, will mit einer Einmalspende von zwei Milliarden Kronen (ca. 83,3 Mio EUR) die aufgewühlten Mitarbeiter des Gesundheitswesens besänftigen. Dafür könnte es aber schon zu spät sein, auch wenn die Front der Gesundheitsarbeiter langsam bröckelt. Die Polizeigewerkschaft fordert den Kopf des Innenministers und will eine weiter Gehaltskürzung, diesmal um 10% nicht hinnehmen.

Drei Viertel der Summe soll an die Ärzte gehen, die zu Anfang des Jahres in einer konzertierten Aktion: “Danke, wir gehen...” (hier unser Beitrag dazu) zu Tausenden ihre Jobs in staatlichen Krankenhäusern kündigten. Insgesamt machten sich damit fast ein Viertel aller Krankenhausärzte davon, nicht wenige arbeiten nun im Ausland. Das vierte Viertel ist für die Lohnaufbesserung von Pflegepersonal und anderen Mitarbeitern in Krankenhäusern gedacht. Die Ankündigung des Ministers, der den verzweifelten Protest der Ärzte zuerst unterschätzt, später zum Teil zynisch kommentiert habe, könnte jedoch zur Konfliktlösung zu spät kommen. Denn die führenden Gewerkschaften, LOK sowie die Ärztekammer hatten bereits die Verhandlungen mit der Regierung für gescheitert erklärt und drohen für Ende Februar mit einer weiteren Kündigungswelle, die das tschechische Gesundheitswesen dann tatsächlich allmählich an seine Grenzen führen könnte. Im Gegensatz zu den Ärzten hat sich die Vereinigung der Krankenpfleger CAS mit dem Geldzuschuss einverstanden erklärt.

Die Gelder, die Heger (Foto) freimachen will, kommen zum Teil direkt von den Patienten. Sein Gesetzentwurf, den er als Gesundheitsreform verkaufen will, der aber weithin nur als Notoperation verspottet wird, sieht die Anhebung des täglichen Krankenhausgebühr für Patienten, also einer Zuzahlung außerhalb der Versicherung, von 60 auf 100 Kronen vor (4,20 EUR), was den Häusern "mehr finanziellen Spielraum für Gehaltszahlungen" geben soll. Die Forderungen der Ärzte nach einer 50%igen Anhebung des Grundlohnes von 8.000 auf 12.000 Kronen pro Monat (500 EUR), steht nicht in dem Entwurf. Heger lehnte diese "Forderung, die den Charakter eines Ultimatums" habe, ab. Vor 2013 sei dieses Niveau kaum zu erreichen. Heger hat das Problem, dass er vom Budget, das hart auf Sparen geschnitten werden musste, keine Zuwendungen erwarten kann, er also innerhalb des Systems Gelder freimachen muss.

Nach Angaben der Ärztekammer beträgt das Durchschnittseinkommen eines tschechischen Krankenhaus-Arztes, inklusive Sonderdienste und Überstunden im Moment 50.000 Kronen brutto im Monat (knapp über 2.000 EUR), was - auch eingedenk der sonstigen Arbeitsbedingungen - nicht genügt, die Ärzte in Tschechien zu halten. Heger stimmte aber zu, dass letztlich nur die Erhöhung des Grundlohnes dauerhaft zu einer Lösung des Problems führt.

Heute sprang ihm sein Parteikollege Minister Schwarzenberg bei: "Ich unterstütze den Minister sehr. Es ist nicht möglich, noch mehr Zugeständnisse an die Ärzte zu machen. Die Bürger der Tschechischen Republik wollen das nicht." Er dankte den Krankenschwestern für ihre Kooperation und auch den Ärzten, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind und ankündigten, sich aus der "Kampagne" zurückzuziehen. Der Rückzug von bisher 3.800 Ärzten ist mittlerweile sogar ein Fall für den Nationalen Sicherheitsrat geworden. Noch vor kurzem hatte Heger gesagt, dass die Versorgung nicht gefährdet sei, was viel zum Unmut der Ärzte beitrug.

Während diese Kampfzone also noch nicht befriedet ist, droht der Regierung schon neues Ungemach, diesmal ist es die Polizei, die angesichts von geplanten Sparmaßnahmen auf die Barrikaden geht.

Die tschechische Polizeigewerkschaft forderte unumwunden den Rücktritt des Innenministers Radek John, weil er deren Vertrauen verloren habe. Er sei unfähig gewesen, ausreichende Budgetmittel für die wichtige Arbeit der Exekutivbeamten sicherzustellen, was sowohl die Gehälter als auch die Gelder für den operativen Dienst betrifft. Das sagte Milan Stepanek, Chef der Unabhängigen Polizeigewerkschaft. In der Petition, die er an alle Polizisten des Landes geschickt hat, fordert er außerdem eine Rücknahme der 10%igen Gehaltskürzung, die einem Polizisten im Schnitt Einbußen von rund 120 EUR pro Monat aufbürdet. Schon im letzten Jahr habe man durch die Streichung von Überstundenzahlungen und Prämien für Sonderdienste empfindliche Kürzungen hinnehmen müssen. In manchen Fällen seien die Einkommen somit um über 200 EUR und somit rund 20% geringer als vor zwei Jahren.

Man konnte durch Verhandlungen mit der Regierung immerhin erreichen, dass die Abfindungszahlungen beim Ausscheiden aus dem Beruf, also jene Gelder, die über Jahre angespart wurden, nicht angerührt werden und dass es keine Entlassungen gegeben wird. Doch mit einem Budget von 53 Milliarden Kronen (2,2 Mrd. EUR), das 7 Milliarden Kronen unter dem des Vorjahres liegt, kann das Innenministerium nicht auskommen. Die Zahlungen an die Polizei hätten sich, so Stepanek, binnen eines Jahres von 33,5 auf 28,6 Mrd. EUR verringert. Bereits im letzten Herbst gab es in Tschechien große Proteste von Polizisten, an Demos nahmen bis zu 40.000 Menschen teil. Ähnliches könnte dem Land jetzt wieder bevorstehen.

red.

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