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(c) Pester Lloyd / 08 - 2011  POLITIK 25.02.2011

 

Bedingt einsatzwillig

Libyen und die "europäische Verteidigungspolitik"

Am Freitag treffen sich in Budapest die Verteidigungsminister der EU zu einem informellen Treffen, bei dem die Ereignisse in Libyen im Mittelpunkt stehen. Der ungarische Verteidigungsminister, Casba Hende, sagte in einem Interview im Vorfeld, dass man ein "Gleichgewicht zwischen demokratischem Übergang und Stabilität finden" wolle, angesichts der Nachrichten aus Libyen klingt das höhnisch. Die EU stellt klar: der Schutz der Festung Europa steht über dem Lebensrecht von Menschen, - aus technischen wie politischen Gründen.

“Fortress Europe” von TWA Cartoons
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Die EU als Callcenter für die Zeltverteilung...

In der Realtität, das zeigen die Äußerungen des Gastgebers der Tagung deutlich, sind auch die Verteidigungsminister Gefangene der Strukturen, die die EU bei sicherheitspolitischen Fragen so schwer mit einer Stimme sprechen lässt. In Wirklichkeit können die versammelten Minister ohnehin nur technisch die Evakuierung von EU-Bürgern unterstützen und sich die heikle Frage stellen, ob die mögliche Flüchtlingswelle bald militärische Maßnahmen erfodern könnte, d.h. am Ende nichts weiter, dass die Marine ausläuft, um Flüchtlingsboote schon auf dem Mittelmeer aufzubringen und an die Herkunftsküsten zurückzuschicken, was ein wahrlich hässliches Szenario wäre.

Bereits am Mittwoch hatte der ungarische Außenminister Martonyi den EU-Zivilschutz-Mechanismus ausgelöst, eine Art Signalrakete, die in Brüssel ein paar Krisenstäbe aktiviert. Ziel soll es sein, den logistischen Bedarf von EU-Mitgliedern bei der Evakuierung von Staatsbürgern aus Libyen schnell zu decken. Da die EU jedoch weder eigene Zivilschutzeinheiten, noch eine Armee hat, fungiert Brüssel dabei maximal als Callcenter. Sollten die "angedrohten" Flüchtlingswellen tatsächlich nach Europa schwappen, würden von dort auch die Errichtung von Notlagern koordinert werden können.

Ein Problem der Polizei und des Katastrophenschutzes - noch...

Die Verteidigungsminister werden bei ihren Beratungen im Schloss Gödöllö (Ex-Dr. Guttenberg wird durch einen Staatssekretär vertreten) bei Budapest mit warmen Worten feststellen, wie handlungsunfähig sie sind. Zum einen, weil bis heute bei außenpolitischen Krisenfällen die ganze EU an ihrer Struktur scheitert, zum anderen, weil aus europäischer Sicht eher die Innenminister und der Katastrophenschutz gefragt sind, die Armee kann und soll da nur technische Hilfestellungen leisten.

Da Italien wegen "des afrikanischen Flüchtlingsstroms" den Notstand ausgerufen hat, wird man auf der Sitzung des Rates für Justiz und Inneres in Brüssel diskutieren, welche konkreten Hilfen man dem Land gewähren kann, so Sándor Pintér, der als ungarischer Innenminister derzeit eine Art Sprecher der Runde ist. Was will Italien konkret? Geld. Die EU soll "finanzielle Hilfe aus den Ressourcen des Europäischen Flüchtlingsfonds und des Außengrenzenfonds bereitstellen", heißt es, will sich also den Wahlkampf für die italienische Rechte auch noch aus EU-Mitteln finanzieren lassen. Zudem könnten "gemeinsame Aktionen" mit Frontex, der Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU durchgeführt werden.

Sind chaotische Flüchtlingsbilder vielleicht sogar erwünscht?

Das Signal ist klar, eine verstärkte Kooperation bei der Flüchtlingsproblematik könnte "falsche Signale" hinsichtlich der Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit der EU bei Flüchtlingen aus Afrika aussenden. Deutschland und Österreich machten das besonders deutlich, in dem sie behaupteten, Italien könne das im Prinzip schon noch selbst schaffen. Vielleicht sind chaotische Bilder von Flüchtlingslagern auf Lampedusa sogar erwünscht? Immerhin hat sich das tendentiell xenophobe Österreich, mit den Stimmen der Konservativen wie der Sozialdemokraten, gerade eine "Fremdenrechtsreform" verpasst, die unter dem Begriff "Mitwirkungspflicht von Asylwerbern" Internierungslager errichtet, im grauslichsten k+k-Deutsch heißen sie "Anhaltezentren mit Anwesenheitspflicht". Italien ist also nicht das einzige Land, das mit der Not von Flüchtlingen Innenpolitik betreibt.

Csaba Hende, der ungarische Verteidigungsminister und Gastgeber des Ministertreffens, sagte, dass "die Europäische Union den demokratischen Wandel in der arabischen Welt" natürlich unterstützt, "die dortigen Ereignisse werfen aber auch Sicherheitsfragen auf." Hende kommt zu der messerscharfen Einschätzung, dass "die genauen Konturen aber vorerst nur schwer bestimmbar" sind. Er meint weiter, dass "die bisher aufgetretenen Sicherheitsprobleme, so zum Beispiel der steigende Migrationsdruck, mehrheitlich nicht oder nicht in erster Linie von militärischer Art" sind. Trotz der positiven politischen Veränderungen ist zugleich Fakt, "dass einzelne treibende Kräfte der Volksbewegungen, wie der Mangel an sozialer Sicherheit oder die ungleiche Aufteilung der Kontrolle über die wirtschaftlichen Güter der einzelnen Staaten, auf solche schwerwiegenden strukturellen Probleme aufmerksam machen, die nur langfristig bewältigt werden können", sagte Hende in einem "Interview" für die offizielle Webseite der Ratspräsidentschaft.

Der ungarische Verteidigungsminister Csaba Hende bei seinem Interview,
das er der offiziellen Seite der EU-Präsidentschaft,
also eigentlich sich selbst, gegeben hatte.

Schutz der EU-Außengrenze ist wichtiger als der Schutz
des Lebens "fremder Völker"

Interessante Sätze, voll Hilflosigkeit und ideologischer Doppeldeutigkeit folgen: "Wenn wir das (Stabilität und gerechter verteilter Wohlstand, Anm.) erreichen, werden die Menschen ihr Wohlergehen in ihrer eigenen Heimat finden, und dies wird die Auswanderung verringern und dem Raumgewinn der radikalen Gruppen Einhalt gebieten. So könnten wir darauf vertrauen, dass die Sicherheitsherausforderungen nicht die Stufe erreichen, bei der die EU im Interesse der Stabilität der Mittelmeerregion zu energischeren, massiveren Mitteln greifen müsste." Hende spezifizierte jedoch nicht, worin diese massiveren Mittel bestehen könnten und man sollte insgesamt froh sein, dass unsere Verteidigungsminister in derart zivile Entscheidungsstrukturen "eingebunden" sind, dass sie hoffentlich nie selbst in die Lage kommen werden, politische Entscheidungen zu treffen, die über ihre eigenen militärische Handlungen bestimmen.

Déjà-vu Bosnien

Schon am Freitag stellte er fest, dass "Libyen ein souveräner Staat sei", daher sei ein "militärisches Eingreifen" nicht möglich. Dass dieser souveräne Staat Massaker an der eigenen Bevölkerung begeht, spielt dabei keine Rolle. Ohnehin steht der Schutz der Festung Europa über dem Lebensrecht von Menschen, das haben uns verschiedentliche Statements der letzten Tage gezeigt. Das war auch vor 15 Jahren nicht anders, damals in Bosnien, dem eigentlichen Hauptthema des Treffens in Budapest, dort soll es sich nämlich um die militärischen Auswirkungen eines Abzugsszenarios aus Bosnien drehen. Die Frage: was passiert mit der Sicherheit und wie beeinflusst ein Abzug der EUFOR-Truppen die zukünftige "Integration" des Landes. Auf gut Deutsch: gehen die ethnischen Minderheiten ohne internationale Militärpräsenz wieder aufeinander los? Auch hier steht die Europäische Union vor einem Schlachtfeld, das es sich durch einstige Untätigkeit selbst bereitet hat.

red. / M.S.

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