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(c) Pester Lloyd / 10 - 2011  WESTBALKAN 10.03.2011

 

Tauziehen um Onkel Jovo

Ex-General Divjak und das instrumentalisierte Erbe des Bosnienkrieges

Der ehemalige bosnische General serbischer Herkunft Jovan Divjak, der am 3. März in Folge eines von Serbien ausgesstellten internationalen Haftbefehls, der von Interpol übernomme wurde, auf dem Wiener Flughafen festgenommen worden war, ist gestern für eine Kaution über 500.000 Euro wieder aus der Auslieferungshaft entlassen worden und "flüchtete" sich in die Botschaft seines Landes. Nun bemüht sich Bosnien, den Serben bei der Auslieferung zuvor zu kommen.

Ein Sprecher des zuständigen österreichischen Gerichtshofes erklärte, Divjak werde das Land nicht verlassen können und müsse seinen Pass den Behörden übergeben. Das zuständige Gericht werde „mindestens einen Monat“ benötigen, um über ein mögliches Überführen Divjaks nach Serbien zu entscheiden, der dort aufgrund von Kriegsverbrechen im Bosnienkrieg angezeigt ist. Dazu müssten von der serbischen Seite sowohl die Beweise für die Anschuldigungen vorgelegt werden, so wie begutachtet werden, ob dem Angeklagten ein faires Verfahren gewährleistet ist.

Wiener Gericht will ernsthaft prüfen,
Außenminister hält Auslieferung für "undenkbar"

Am Montag hatte der österreichische Außenminister Michael Spindelegger bereits erklärt, es sei „undenkbar“ für sein Land, den Verdächtigen auszuliefern. Medienberichten aus Wien zufolge traf am Dienstag Bundespräsident Heinz Fischer mit dem bosnisch-herzegowinischen Präsidentenduo zusammen, um die Lage zu beraten. Nach dem Treffen erklärte Fischer, dass es einen guten und konstruktiven Dialog gegeben habe und er die österreichische Rechtslage erläutert habe.
Einer der bosnischen Offiziellen, Sven Alkalaj, kündigten an, einige Tage in Wien zu bleiben und betonte sein Vertrauen in Österreichs Rechtswesen. Seiner Ansicht zufolge sei Divjaks Festnahme politisch motiviert gewesen. Bosnien fordert nun seinerseits die Auslieferung des Generals und hat auf diplomatischem Wege den offiziellen Antrag dazu gestellt. Man will so die Überstellung an Serbien verhindern. Außerdem soll sich Divjak mittlerweile in der bosnischen Botschaft in Wien aufhalten, was eine erneute Festnahme fast unmöglich macht.

Demonstrationen in Wien und Sarajevo

Divjak hatte sich 1992 als General der Serbischen Armee der bosnischen Armee angeschlossen, nachdem er seit 1981 in der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) gedient hatte. Serbien wirft ihm vor, im Mai 1992 in den Angriff auf einen Konvoi der JNA verwickelt gewesen zu sein, der Sarajevo friedlich gemäß eines Abkommens mit der bosnischen Verwaltung verlassen hatte. Dabei waren 42 Zivilisten und Soldaten getötet und 73 verwundet worden. Am Sonntag hatten etwa 800 Menschen (Polizeiangabe) auf der Ringstraße in Wien gegen die Festnahme Divjaks demonstriert. Divjak engagiert sich seit 1994 in mehreren gemeinnützigen Organisationen in Bosnien-Herzegowina, wo er als Volksheld, "Onkel Jovo" und "Befreier Sarajevos" gefeiert wird. Dort gingen nach seiner Festnahme tausende Menschen auf die Straße.

Wie du mir, so ich dir...

Die "Aufarbeitung" des Bosnien- wie des Jugoslawienkrieges ist für die Beziehungen zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien eine große Bürde, da sie meist politisch instrumentalisiert wird, nach dem Motto "wie du mir, so ich dir". Kroatien und Serbien haben sich gegenseitig wegen der Kriegsschuld verklagt, es kursieren Listen von gesuchten, die wie Handelsware getauscht werden. Fakt ist, dass Kriegsverbrechen nicht nur von serbischer Seite begangen worden sind. Die Aufarbeitung der Greuel wird aber kaum erfolgreich sein, wenn die jeweiligen Opfer zu Richter werden, eine übereinstimmende Einigung, z.B. auf eine einheitliche Zuständigkeit des internationalen Gerichtshofes in Den Haag, könnte hier hilfreich sein, gilt aber in allen betroffenen Ländern als innenpolitisch kaum durchsetzbar, da die "Veteranen" ein politisch einflussreicher Faktor sind.

Dass sich auch die EU-Staaten, wie das hölzerne Agieren Wiens zeigte, noch nicht auf einen einheitlichen Umgang mit derlei Vorwürfen und Haftbefehlen einigen konnten, beweist, dass die Gemeinschaft recht mut- und hilflos vor der verfahrenen Situation auf dem Balkan steht.

Simon Rahdes / red.

 

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