(c) Pester Lloyd / 10 - 2011 GESELLSCHAFT
07.03.2011
Brot und (Fußball-)Spiele
Ungarn will massiv in den Fußball investieren
Während in Ungarn derzeit verständlicherweise jeder Forint mehrmals umgedreht werden muss, bevor er ausgegeben werden kann, jongliert der Chef des
Fußballverbandes mit astronomischen Zahlen, die in den kommenden Zehn Jahren in den Fußball und seine Infrastruktur investiert werden sollen. Man will die Stadien
massiv ausbauen, internationale Turniere ausrichten und an alte, glorreiche Zeiten anschließen. Doch dazu muss man erst einmal mehr Zuschauer in die Stadien locken...
Premier Orbán vor wenigen Tagen, beim “Coaching” der U17 in seinen Amtsräumen, Foto: MEH
Budapest wird Gastgeber des alljährlichen Kongresses der Internationalen Föderation des
Verbandsfußballs FIFA 2012 sein, teilte das Exekutivkommitee am Donnerstag in Budapest mit. Der Kongress wird am 24. und 25. Mai stattfinden, etwa 1.200 Vertreter aus 208
Ländern werden dafür in Budapest erwartet. Ungarn plant zudem auch für internationale Spiele Gastgeber zu werden, vor allem für Jugendturniere. Zwischen 2015 und 2020 wird
Ungarn nach Angaben des ungarischen Fußballverbandes (MLSz) versuchen, die Organisationsrechte für die U21-Europameisterschaft zu erhalten. Die Bewerbung 2007 als
einer der Austragungsorte für die reguläre Europameisterschaft der Männer 2012 war gescheitert.
Chef des Fußballverbandes und Oligarch Sándor Csányi, UEFA-Häuptling Michel Platini und Premier Viktor Orbán
Ungarn, vor fünfzig Jahren eine stolze und gefürchtete Fußballnation, bewegt sich seit Jahrzehnten am unteren Rand
des internationalen Mittelmaßes, von einigen erfreulichen Lichtblicken bei den Jugendmannschaften abgesehen. Eine große Initiative des Fußballverbandes soll nun den Sport im Lande attraktiver
machen und so auch wieder internationale Erfolge bringen. Verbandschef Sándor Csányi, gleichzeitig Chef der größten Bank Ungarns, OTP und
Lebensmitteloligarch (Salami, Joghurt etc.) und auch Orbán-Intimus stellte die Zahl von sagenhaften 238 Milliarden Forint (über 900 Mio EUR) in den Raum, die bis 2020 in den
ungarischen Fußball investiert werden sollen. 106 Mrd. davon sollen, in Form von staatlicher Förderung, in die Renovierung, Weiterentwicklung und Betreibung der Stadien fließen.
Gleichzeitig sollen sich die Zuschauerzahlen bei inländischen Meisterschafts- und
Qualifikationsspielen bis 2020 verzehnfachen, Ziel ist es, jedes Jahr zwei ungarische Clubs die Teilnahme an internationalen Turnieren erreichen zu sehen. Dazu braucht auch der
Verband eine breitere Einnahmenbasis, im letzten Jahr betrugen die Umsätze des MLSz lediglich rund 4,7 Mio EUR, bis 2017 will man bei wenigstens 11 Mio. EUR angekommen
sein. Die Einnahmezuwächse sollen aus Kartenverkäufen, vor allem aber aus stark steigenden Lizenzgebühren zur Übertragung von Spielen im Fernsehen (im In- wie Ausland)
genertiert werden. Derzeit liegen diese bei 5 Mio EUR, sie sollen dann mindestens 8.1 Mio. bringen.
Nicht gerade einladend, der Anblick des Puskás Ferenc-Stadions in Budapest
Die durchschnittliche Zahl der Stadionbesucher während der Meisterschaftsspiele betrug im letzten
Jahr traurige 2.800, der MLSz will diese Zahl schon in der kommenden Saison auf 3.000 steigern. Für Spiele der Nationalmannschaft soll sich der Wert von 8.000 auf 25.000 erhöhen. Zudem
plant der MLSz eine Vergrößerung der Zahl eingetragener Fußballspieler von 85.000 auf 160.000.
Dass derart massiv in den Fußball
investiert wird, mag zwar angesichts der angespannten Budgetlage und den Kürzungen in fast allen Etats erstaunen, kommt
aber insofern nicht ganz überraschend, da sich der Fußball schon immer als nationales Identifikations- und Prestigeobprojekt eignete und tatsächlich einiges Potential in Ungarn
brach liegt. Premier Orbán war und ist ein begeisterter Hobbyfußballer, der Staatspräsident Pál Schmitt, ein Degenfechtolympiasieger, will den Breiten- wie
Leistungssport auch in die Verfassung verankern lassen.
Inwieweit die von Verbandspräsident Csányi genannten Zahlen schon belastbar sind und aus
welchen Quellen sie u.U. abgezweigt werden müssen, wurde noch nicht bekannt. Im Zuge der Erreichung der Sparziele, aber auch aus Gründen neuer ideologischer
Schwerpunktsetzungen wurden viele kulturelle Projekte gekürzt (Museum der Schönen Künste, Filmförderung) oder gestrichen (Neubau Erkel-Theater, Finanzierung der freien
Theaterszene). Fußball wird aber offenbar zum Staatsziel erhoben und - zentral gesteuert - entsprechend gefördert.
Simon Rahdes / red.
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Mehr zum Stand des ungarischen Fußballs im Vergleich mit Deutschland http://www.pesterlloyd.net/2010_21/21testspiel/21testspiel.html
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