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(c) Pester Lloyd / 14 - 2011  GESELLSCHAFT 04.04.2011

KOMMENTARE

Die Leere von Kolontár

Ungelöst: Sechs Monate nach der Giftschlammkatastrophe in Ungarn

Vor einem halben Jahr brach über die Region von Kolontár und Devecser die verheerende Giftschlammflut herein, die zehn Menschen das Leben kostete, etliche verletzte, Häuser, Boden und Landschaft versehrte und die Natur vernichtete. Grund war ein schlampiger Umgang des Aluminiumwerkes MAL Zrt. mit seinen hochalkalischen Rotschlammabfällen. So unlöslich wie die Giftstoffe im Boden, so ungelöst sind 6 Monate später noch viele Fragen, der Staat zog gänzlich falsche Schlüsse aus dem Desaster.

Das traurige Jubiläum nahmen Regierungsvertreter zu einem weiteren Anlass, den Betroffenen "vollständige Kompensation" ihrer Schäden "bis Ende Juni" zu versprechen, so György Bakondi, der Regierungsbeauftragte für den Fall. Ähnliches hörte man schon mit den Stichtagen Weihnachten und Ende März. Die meisten Familien, deren Haus und Hof seit dem 4. Oktober 2010 unbewohnbar geworden sind, haben bisher lediglich almosenartige Soforthilfen, Abschlalgszahlungen und außerstaatliche Spenden erhalten, strukturelle Hilfe bleibt ihnen bisher verwehrt, auch und vor allem, da bis heute kein juristisch belastbares Urteil zur Schuldfrage vorliegt.

Die MAL-Manager, samt und sonders aus dem Dunstkreis der dunkelgrauen Privatisierung (ein deutscher Manager hatte sich nach der Katastrophe Hals über Kopf abgesetzt) sprachen von Anfang an von einer Naturkatastrophe und bemühten sogar Gutachter, die von "unvermeidbar" und "natürlichen Ursachen" sprachen. MAL-Chef Zoltán Bakonyi (auf dem Foto nach seiner Verhaftung) sprach sogar von einem "denkbaren Terroranschlag".

Die Regierung Orbán wollte die Sache zackig managen, mehrfach war der Premier vor Ort, in Gummistiefeln (siehe Foto) und mit markigen Worten, das kennt man ja. Man ließ den Geschäftsführer der MAL verhaften, musste ihn wieder gehen lassen. Man richtete mehrsprachige Webseiten ein, verwehrte aber Journalisten und NGO´s zunehmend den Zutritt zum Areal. Die Schuldigen waren schnell definiert: Privatisierungsgewinnler aus dem Dunstkreis der Sozialisten mit ihre skrupellosen Helfer in der Bürokratie.

Der Staat sprach durch die halbe Zwangsverstaatlichung mit einer Lex MAL, die auch eine Präzedenz für künftiges Vorgehen schuf, ein schnelles Urteil, an den Gerichten vorbei. Doch brachte er sich damit in ein Dilemma: da staatliche Inspektoren (wenn auch unter sozialistischer Regierung) die Becken genehmigt hatten, müsste bei einer juristischen Aufarbeitung zumindest eine Teilschuld den Staat treffen. Seitdem liegt ein Prozess auf Eis, das Gericht braucht, so die offizielle Version, noch mehr Expertisen.

Ab da wurde die Sache allmählich peinlich, eignete sich kaum noch für politischen Gewinn und prompt die Kommunikation mit der Öffentlichkeit heruntergefahren. Es kam heraus, dass manche Opfer Monate nach den Ereignissen gerade ein paar hundert Euro Hilfen erhalten hatten und nur durch private Spenden - am Staatsfonds vorbei - durchkamen. Es folgten weiterhin endlose Diskussionen, Gutachten und Streitereien zwischen Bewohnern, Opfern und Versicherungen und den Vertretern des Staates über die Schätzung der Schäden, z.B. die Bewertung von mutmaßlichem landwirtschaftlichen Ertrag und dem Kleingewerbe sowie des Wertes der Häuser.

Mittlerweile sind in Kolontár straßenweise Häuser abgerissen worden, auf einem etwas entfernten Grundstück hat der Staat ein "Musterhaus" errichtet, das den zur Umsiedlung gezwungenen Einwohnern einen Eindruck über ihr zukünftiges Zuhause geben kann, knapp einhundert Gebäude wurden seit Oktober neu errichtet, sagt der Staat, meistens machten das die Bewohner selbst, mit einiger Unterstützung mit Baumaterialien und ein paar Hilfskräften, immerhin. Doch die Orte gleichen noch immer einem Kriegsschauplatz, in Kolontár gähnt die Leere.

Der unmittelbare materielle Gesamtschaden der Katastrophe wird mit knapp 40 Mio. EUR angegeben, viel davon geht auf die Kontaminierung der Erde zurück, die komplett abgetragen werden muss, bei 100 ha habe man das bereits geschafft, ungefähr ein Viertel der betroffenen Fläche. Viele Einwohner haben die Gegend für immer verlassen. Wie groß die tatsächliche Belastung für Böden und Ökosysteme - und damit die Langzeitwirkung - ist, kann man nicht sagten, "da verlässliche Daten noch ausständig sind." wie Greenpeace bemängelt. "Von den meisten Feldern wurde der Schlamm notdürftig entfernt oder eingeackert. Eine endgültige Beurteilung der Auswirkungen auf die Landwirtschaft ist erst dann möglich, wenn im Herbst die Ernte in den Labors analysiert werden kann".

Seit Ende Februar ist die MAL, aus deren schlecht gebauten, aber genehmigten Becken sich der Todessschlamm ergoss, wieder in voller Produktion, zunächst für die nächsten zwei Jahre unter Staatsaufsicht. Greenpeace bemängelte noch bis vor kurzem, dass Rotschlammabwässer direkt in einen Flusslauf geleitet worden sind, Staatsaufseher Bakondi meint aber, man habe nun eine "neue Trockungstechnologie" für den Giftschlamm entwickelt, so dass eine neuerliche Überfüllung von Becken nicht geschehen wird. Herwig Schuster von Greenpeace widerspricht ihm und bemängelt "das unverantwortliche Versäumnis", denn "diese Maßnahme hätte bereits vor Jahren umgesetzt werden können, die Technologie dafür ist schon lange vorhanden."

 

Und die Lehre aus der Geschichte? Das Werk sollte nicht geschlossen werden, da es 6.000 Arbeitsplätze in der Region schafft, meint Staatsverwalter Bakondi. Von strengeren Umweltauflagen wird wenig gesprochen, legislativ gar nicht, hier genügt es offenbar, zukünftig den staatlichen Zugriff auf den Sünder zu sichern, Prävention hält man offenbar für nicht durchführbar. Der Regierungskommissar macht auf ein Gesetz aufmerksam, das zukünftig dafür sorgt, "dass 0,1% der Umsätze von Unternehmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, in einen Notfallfonds gezahlt werden". Das heißt, der Staat hat vor der Schlamperei seiner Bürokratie und der Skrupellosigkeit seiner Unternehmer kapituliert, bei der nächsten "Umweltkatastrophe" aber ist dann wenigstens das Geld vorhanden, um die Schäden auszugleichen...

Der Pester Lloyd hat das Geschehen seit dem 4. Oktober permanent verfolgt
hier findet sich die
Chronologie dazu.

red.
 

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