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(c) Pester Lloyd / 14 - 2011  WESTBALKAN 08.04.2011

KOMMENTARE

Schwierige Abnabelung

Montenegro auf dem Weg von Serbien nach Europa

Die EU-Ambitionen des kleinen, malerisch gelegenen Adriastaates sind auf einem guten Weg, sagte der EU-Kommissar für Erweiterung, Stefan Füle, kürzlich bei einem Besuch in Podgorica, um dann sogleich aufzuzählen, dass dem kleinen Land noch ein riesiger Berg Arbeit bevorsteht, um allein den Kandidatenstatus zu erlangen. Abseits dieser perspektivischen Debatte hat Montenegro aber derzeit ganz handfeste Probleme. Ein serbisches Ausfuhrstopp lässt den Weizenmarkt zusammenbrechen und führt dem Land seine gefährliche Abhängigkeit vor Augen.

Der Premier Montenegros, Igor Luksic und EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle
in dieser Woche in Brüssel

Das Land, das seit genau fünf Jahren eine unabhängige Republik ist, könne, so die Einschätzung des EU-Kommissars, sogar eine Vorbildwirkung entfalten. Bei Gesprächen mit Ministerpräsident Igor Luksic bestätigte der Kommissar, dass es keine "Erweiterungssperre" in der EU gäbe. Wenn der Aspirant hart arbeitet und die Bedinungen erfüllt werden, stehe dem Beitritt nichts im Wege. Für Montenegro bedeutet das zunächst die Erfüllung der sieben Top-Prioritäten hinsichtlich Demokratie, Wirtschaftsumfeld, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, die überhaupt erst die offiziellen Beitrittsverhandlungen mit dem Kandidatenstatus ermöglichen. Dabei werde die EU das Land aber so gut es nur geht unterstützen, im November empfahl die Kommission bereits grundsätzlich Montenegro den Kandidatenstatus zu geben, knüpfte dies jedoch noch an eine Reihe von Bedingungen.

EU-Bericht: “noch nicht mal eine Marktwirtschaft”

Füle bezeichnete es als ein positives (wohl in der Region auch besonders seltenes) Signal, dass er auf Oppositionspolitiker getroffen sei, die - im Hinblick auf die EU-Ziele - "konstruktiv mit der Regierung kooperieren". Premier Luksic verwies dabei auf zwei wichtige Gesetzespakete, die mit Oppositionsunterstützung ihren Weg fanden, darunter das Gesetz über den Schutz der Menschenrechte sowie ein Gesetz über Verleumdung und Beleidigung, das so entschärft wurde, dass es nicht mehr als Mittel für Pressezensur oder gegen Oppositionelle eingesetzt werden kann.

Füle begrüßte diese Legislatur, sagte, aber, dass gerade im Rechtswesen noch eine Menge Arbeit wartet, so seien z.B. die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten der Regierung noch sehr eingeschränkt und die Kommission ist bis heute nicht davon überzeugt, dass es sich beim montenegrinischen Wirtschaftssystem um "eine funktionierende Marktwirtschaft" handelt. Wörtlich hieß es im letzten Kommissions-Report, dass "die Hauptbedenken hinsichtlich der Politisierung der Justiz und Versäumnisse bei den Exekutivorganen" gibt. Vor allem der Kampf gegen "organisierte Kriminalität und Korruption" wird nicht konsequent genug geführt, auch die "Effizienz und Verantwortlichkeit" der Judikative wird bezweifelt, liest es sich in dem Bericht, der allerdings über die EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien genauso klänge.

90% des Mehls und sogar Wasser in Flaschen kommt aus Serbien

Abseits der, überweigend von den Politikern geführten Debatte über die EU-Perspektive, hat Montenegro derzeit ganz praktische Sorgen, wird man doch vom ehemaligen "Mutterland" Serbien momentan ziemlich im Stich gelassen. Serbien hat ein Ausfuhrstopp für Weizen und Mehl verhängt, um den einheimischen Preisanstieg und die damit gleichzeitig steigende Unzufriedenheit der ärmeren Schichten, also der Mehrheit, einzudämmen. Seit Monaten steht die europafreundliche serbische Regierung unter enormen innenpolitischen Druck, wöchentlich gibt es große Demonstrationen.

Montenegro hat viel Potential im Tourismus. Europa muss beschämt feststellen, dass man die Vielfalt und Schönheit dieses mit Bergen, Wäldern, Traumbuchten, Sand- und Steilküsten, pittoresken Orten gesegneten Landes einfach vergessen haben. Russische und serbische Investoren nicht, sie sind voll im Geschäft.

Andererseits gibt es in Serbien starke Kräfte, die genau den Status quo mit Montenegro beim Handel aufrecht erhalten wollen und die daher zwangsläufig antieuropäisch sind, weil ihnen ein wirklich freier Markt die Geschäftsgrundlage entziehen müsste. Für Montenegro bedeutet das aber, dass das Land 90% seines Weizen- bzw. Mehlbedarfs nun aus anderen Quellen decken muss, ein Markt der einen Wert von rund 35 Mio EUR repräsentiert. Bei der Weltmarktlage dürfte das eine ziemlich teure Aktion werden, was wiederum die sozialen Spannungen in Montenegro erhöhen könnte. Diese Problem besteht in ähnlicher Weise überigens auch im Kosovo.

Die Lieferketten werden mit Tricks, Dumping und mafiösem Druck beherrscht

Andererseits öffnet die Situation Politikern endlich die Augen für die gefährliche Abhängigkeit von serbischen Lebensmittelimporten. Diese decken nicht nur bei Getreide den größten Teil des Bedarfs in Montenegro, sondern auch bei Milch, anderen Grundnahrungsmitteln und sogar bei Sodawasser und das, obwohl Montenegro selbst über Fabirken zu dessen Produktion verfügt. Durch Preisdumping und mafiösen Druck, gelang es aber den serbischen Strukturen bisher immer wieder, die Lieferketten zu beherrschen und einheimische Hersteller an den Rand zu drängen.

 

Das Landwirtschaftsministerium will - so heißt es offiziell - nun Maßnahmen dagegen einleiten und die "einheimischen Erzeuger vor Dumpingpreisen und anderen unlauteren Wettbewerbsmaßnahmen, aus welchem Staat sie auch immer kommen mögen," schützen. Das CEFTA Freihandelsabkommen werde dabei eingehalten, wenn sich auch die Handelspartnerseite daran halte, so der Minister Tarzan Milosevic. Er rief dazu auf, die Eigenproduktion zu stärken. Es könne doch nicht sein, dass man fast das gesamte Fleisch, Milch und sogar Mineralwasser aus Serbien beziehen müsste. Allein für "Wasser in Flaschen" wendet "unsere kleine Nation jedes Jahr 30 Mio. EUR auf."

Auch auf einem anderen Gebiet vollzieht sich womöglich eine weiter Abkopplung von Serbien, so wurden Verhandlungen über eine Art automatisierte doppelte Staatsbürgerschaft zwischen beiden Ländern, die die engen beiderseitigen ethnischen und historischen Bindungen bekräftigen und die nationalistischen Kräfte Serbiens ein wenig besänftigen sollten, auf Eis gelegt und zwar auf unbestimmte Zeit. Das könnte ein Zeichen sein, dass die Zeiten nationalistischer Symbolpolitik allmählich dem Sinn fürs Nützliche weichen. Immerhin.

red.

Präsident von Montenegro auf Besuch in Ungarn
 

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