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(c) Pester Lloyd / 15 - 2011  WIRTSCHAFT 12.04.2011

KOMMENTARE

Minimalinvasiv

Auch die Pharmabranche in Ungarn soll Krisensteuern zahlen

Die Pharmabranche in Ungarn ist die nächste, die zur Gesundung der Wirtschaft per Sonderabgaben hinzugezogen wird. Insgesamt sollen dadurch dem Staat jährlich rund 100 Mio EUR mehr zur Verfügung stehen. Die Maßnahmen sind erstaunlich sanft ausgefallen. Das Grundproblem Gesundheit ist nicht Teil des Pakets, auch das Großhandelssystem lässt man weitgehend ungeschoren. Wir haben außerdem noch einen Insidertipp.

Zunächst war nur von einer radikalen Kürzung der staatlichen Zuschüsse auf Medikamente die Rede. Da man aber Sorge hatte, dass diese Maßnahme zu einseitig die Patienten belasten könnte, hat man nun einen ganzen Maßnahmenkatalog geschnürt, der ab Juli in Kraft treten soll. Der Gesamteffekt für das Budget beträgt, laut Berechnungen regierungsnaher Medien, ca. 26 Mrd. Forint (knapp 100 Mio EUR). Konkret bedeutet das eine Anhebung der Abgaben auf von den Krankenkassen subventionierte Medikamente. Die Pharmaproduzenten mussten von diesen Umsätzen bisher 12% in den staatlichen Gesundheitsfonds einzahlen, ab Juli sollen dies 18% sein, was ca. 4 Mrd. Forint (15 Mio EUR) mehr bringen kann. Weiterhin wird die Kopfpauschale auf Pharmareferenten erhöht. Wer im Auftrag der Pillendreher über Land zieht, derzeit sind das ca. 2.600 Personen, muss nun jährlich 10 Mio. Forint, also ca. 38.000 EUR bezahlen, was ca. 1 Mrd. Forint zusätzlich einbringen soll.

Weitere gesetzliche Änderungen betreffen auch die Apotheken selbst. So sollen künftig nur noch ausgebildete Pharmazeuten das Recht auf Eröffnung einer solchen haben, der liberalisierte Verkauf von nicht verschreibungspflichtigen Medikamten z.B. in Drogerien und Tankstellen steht auf dem Prüfstand. Fix ist, dass das Kopfgeld für Pharmareferenten angehoben wird, möglich, dass die Verkaufsstratgien daher eher noch aggressiver werden?

Staatliche Zuschüsse für cholesterinsenkende Medikamente sollen grundsätzlich überdacht werden, bisher werden die meisten Präparate von der Kasse übernommen, Experten schätzen das in vielen Fällen als medizinisch zweifelhafte Ersatzlösung ein, die durch andere Maßnahmen ersetzt werden kann. Allein hier könnten um die 5 Mrd. Forint eingespart werden (ca. 18,8 Mio. EUR), auch andere Therapien, vor allem kombinierte Therapien werden neu bewertet.

Etwas wackelig muten Formulierungen an, wonach die Preise von Generika an internationale Referenzpreise angepasst werden sollen und staatliche Zuzahlungen für Medikamente "erfolgsabhängig" gestaltet werden. Beide Maßnahmen gemeinsam werden mit einem Plus von 2 Mrd. Forint bewertet. Außerdem wird sich die Regierung zukünftig die Preisregulierung per Dekret für einzelne Medikamente oder Medikamentengruppen vorbehalten, sollte das Sparziel nicht erreicht werden.

Der Dachverband der Ungarischen Pharmabranche Magyosz erklärte sich "zur Zahlung einer Krisensteuer bereit, wenn der Staat dafür sorgt, dass das Geld zurück in das Gesundheitswesen fließt, am besten in die Gehälter von Doktoren und Schwestern", was, mit Verlaub und eingedenk der teils katastrophlaen Gehaltssituation, doch sehr offensichtlich danach klingt, als sollte nun der Staat die bisherigen “Provisionen” übernehmen. Nach ersten Berechnungen betragen die Gesamtbelastungen der o.g. Maßnahmen rund 5% der Pharma-Umsätze.

Schonung für Richter und Egis?

Wie aus den Maßnahmen erkenntlich, handelt es sich nur um eine relativ sanfte Umverteilung innerhalb eines gleichbleibenden Systems. Die Frage wird sein, wie stark der Staat von dem sich genommenen Recht auf Eingriff in die Preise Gebrauch machen wird. Unverständlich ist indes, warum der Staat nicht die Gelegenheit beim Schopfe packt und das gesamte Großhandelssystem angreift, der eigentliche Preistreiber und -bestimmer im Pharmamarkt. In anderen strategischen und volkswichtigen Branchen, wie beispielsweise der Energie und der Wasserwirtschaft ist man bei Eingriffen in althergebrachte Strukturen ja auch nicht so zimperlich gewesen. Hier wäre eine Menge Geld zu holen, zumal die Pharmabranche im Volk nicht eben mehr Mitleid erheischen kann als die Banken und die "Multis". Allerdings hat Ungarn mit Richter Gedeon und Egis zwei auf Expansion befindliche, börsennotierte Flagschiffhersteller, die auch starke Exporteure (vor allem nach Russland und GUS) und Arbeitgeber sind.

Wo bleibt die "nationale" Gesundheitskampagne?

Potential hätte auch eine Gesundheitskampagne, unseretwegen eine "nationale". Bekanntermaßen hat Ungarn mit die höchste Rate an Herzinfarkten und Herz-Kreislauferkrankungen, daraus resultierende eine vergleichsweise sehr niedrige Lebenserwartung und mit die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Medikamente, kassen- und patientenseitig. Ernährung, Bewegung, Gesundheit (inkl. Medikamenten- und Alkoholmissbrauch) sind Themen, in denen Aufklärung und konkrete Projekte viel mehr bringen können als lächerliche 5% der Pharmaumsätze. Auch eine "Hamburger"-Steuer auf ungesunde Lebensmittel wird kaum die abschrecken, die es sollte.

Wenn man bedenkt, welches Kaufkraft-, Wachstums-, Spar- und Lebenserwartungspotential in der Gesundheit (der echten, nicht der medikamentös vorgetäuschten) steckt, wundert man sich, dass die in anderen Bereichen stets so um die Volksgesundheit besorgte Regierung hier nicht radikaler vorgeht. Auch eine generelle Reform des Gesundheitswesens, seiner Strukturen, steht noch aus.

Deutsche Kassen sparen Millionen durch Reexport aus Ungarn

Noch ein Insider-Tipp für die klamme ungarische Staatskasse: Sie sollte sich zoll- oder steuermäßig in das lohnende Geschäft des Reexports von Medikamenten einschalten. Wie uns aus berufener Quelle mitgeteilt wurde, werden von schlauen "Unternehmern" massenweise aus Deutschland importierte Medikamente bei ungarischen Apotheken aufgekauft und nach Deutschland zurückverkauft. Hintergrund: deutsche Hersteller verkaufen ihre Präparate in Osteuropa - nach einem internen Preisindex - oft deutlich billiger als in Deutschland, so dass sich der Auf- und Wiederverkauf lohnt. Die deutschen Krankenkassen machen dieses Spielchen mit, weil sie auf diese Weise Kosten sparen können.

 

Die Hersteller sind darüber freilich erbost, dass sie ihre überhöhten Preise in Deutschland nicht mehr zur Gänze durchsetzen können und verweisen lamoryant darauf, dass die aufgekauften Medikamente ja den ungarischen Patienten fehlen würden. Kürzlich trat ein Lobbyist mit der Bitte an diese Zeitung heran, uns doch publizistisch für "die Menschen in Ungarn einzusetzen". Unser Vorschlag: die betroffenen Hersteller senken einfach die Preise für den gesamten EU-Binnenmarkt einheitlich auf ungarisches, noch besser rumänisches Niveau, denn auch hier machen sie schon Gewinne und schon kommt das Karrussell zum Stillstand. Bis zu dieser Einsicht könnte der klamme ungarische Staat ja das Reexport-Geschäft übernehmen oder sich direkt von den deutschen Krankenkassen eine Provision auszahlen lassen.

Sondersteuern zur Bewältigung der Krise müssen bisher schon die Banken und Finanzinstitute zahlen, die daurch weitgehend in die Verlustzone getrieben wurden, desweiteren der Handel (ab einem bestimmten Mindestumsatz) sowie Unternehmen der Telekom- und Energiebranche. Mehr dazu.

red.
 

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