(c) Pester Lloyd / 16 - 2011 WESTBALKAN 20.04.2011
KOMMENTARE
Erweiterungskonferenz
Kroatien und Türkei sprechen wieder in Brüssel vor
Am Dienstag fand in Brüssel eine weitere Beitrittskonferenz zwischen der Europäischen Union und Kroatien statt. Dabei wurden zwei weitere der insgesamt 35
Verhandlungskapiteln abgeschlossen, fünf besonders heikle sind noch offen. Die ungarische Ratspräsidentschaft, die sich besonders für Kroatiens EU-Beitritt stark
macht, ortet "gezielte Verzögerungstaktiken" bei westlichen Ländern und warnt vor einer verpassten Chance für die ganze Gemeinschaft.
Bereits bei einer Pressestunde am 14. April beklagte sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán: „Wir laufen ständig gegen Wände und werden mit dem
Verzögerungstaktiken konfrontiert." Er könne die Lage der Beitrittsverhandlungen mit den Ländern des Westbalkans nicht dramatisieren, weil sie schon "dramatisch" und an
einem "Tiefpunkt" angelangt ist. „Der westliche Balkan ist keine Last, sondern eine Chance; möglicherweise der nächste Wachstumsmotor Europas“ sagte er vor der
versammelten europäischen Presse und erinnerte daran, dass die Überwindung der Krise in vielen Ländern Osteuropas ohne deren EU-Mitgliedschaft viel schwerer gefallen wäre.
Konkret ging es am Dienstag um den Abschluss der Verhandlungskapitel über
Landwirtschaft und Regionalpolitik. „Diese Kapitel sind anders als die anderen”, sagte der ungarische Außenminister János Martonyi dazu. Hier geht es um Politikfelder, die 70 bis
75% des gesamten EU-Haushalts ausmachen, sie „sie sind deshalb Schlüsselthemen aller Beitrittsverhandlungen.” Mit der Vereinbarung über diese beiden Kapitel habe Kroatien
daher einen wichtigen Schritt zum Abschluss der Verhandlungen getan. Der kroatische Außenminister Gordan Jandroković äußerte sich zufrieden darüber, dass es bei beiden
Kapiteln gelungen ist, Kroatiens Interessen anzuerkennen und "in vollem Umfang zu wahren." Eine Bemerkung die sichtlich auf die wachsende EU-feindliche Stimmung im
Lande zielte. Er lockt seine Landsleute mit dem baldigen Zugriff in die Strukturfonds,
"was der gleichmäßigen Entwicklung aller kroatischen Regionen dienen werde."
Auch wenn sich der kroatische Präsident kürzlich offen dazu bekannt hatte, dass der Beitritt im Jahre 2013 ein realistisches und akzeptables Ziel sei, besteht Ungarn darauf,
die formalen Verhandlungen bis Ende Juni also zum Ende seiner Ratspräsidentschaft abzuschließen. Die Zeit dafür ist sehr knapp, immerhin müssen noch fünf weitere Kapitel
bearbeitet werden, bei denen jedes innen- wie europapolitische Fallstricke bereithält: Wettbewerbspolitik, Fischerei, Justiz und Grundrechte, Finanz- und Haushaltsmittel sowie
Sonstiges. Vor allem bei der Wettbewerbspolitik (Stichwort: staatliche Zuschüsse bei der Werftenprivatisierung), noch mehr aber bei der Justiz werden besondere Anstrengungen
erwartet, Kroatien zahlt hier mit, was man bei Rumänien und Bulgarien versäumt hatte. Weiterhin sind zwischen Kroatien und Slowenien immer noch lanwierige Verhandlungen
über die "historischen Fischereirechte" im Gange, immerhin wird verhandelt.
Nach den Abstimmungsgesprächen mit der kroatischen Seite nahmen der ungarische Außenminister Martonyi und
Erweiterungskommissar Füle auch an der 49. Sitzung des Assoziationsrates EU–Türkei teil, der politischen brisantesten Baustelle. Außenminister Ahmet Davutoğlu sieht "zahlreiche
positive Schritte" "bei der zivilen Kontrolle der Sicherheitskräfte als auch der Reform der
Rechtssprechung". Ungarn ist im Unterschied zu einigen westlichen EU-Partnern für eine Vollmitgliedschaft der Türkei "zur rechten Zeit". Auch wenn die Zeit osmanischer
Besatzung in der offiziösen Geschichtsdarstellung als traumatisch interpretiert wird, überwiegen heute die wirtschaftspolitischen Erwägungen, während in westlichen Ländern
wie Deutschland oder Österreich mit der Angst vor den Moslems immer noch politischer Handel getrieben wird.
Kein Europa ohne Balkan - 15. April 2011 Ungarn kämpft gegen die Erweiterungsskeptiker wie gegen Windmühlen http://www.pesterlloyd.net/2011_15/15balkansitzung/15balkansitzung.html
Kroatien findet sich mit EU-Beitritt 2013 ab - 14. April 2011 http://www.pesterlloyd.net/2011_15/15beitrittHR/15beitritthr.html
Abkoppeln für den Anschluss - März 2011 Kroatien bleibt trotz Protesten auf EU-Kurs http://www.pesterlloyd.net/2011_10/10kroatienEUWeg/10kroatieneuweg.html
Schwierige Abnabelung - 8. April 2011 Montenegro auf dem Weg von Serbien nach Europa http://www.pesterlloyd.net/2011_14/14montenegroEU/14montenegroeu.html
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