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(c) Pester Lloyd / 17 - 2011  WESTBALKAN 28.04.2011

 

Trialterale Geisteraustreibung

Spannendes Präsidententreffen: Serbien, Türkei, Bosnien

Zu einem bemerkenswerten Gipfeltreffen zwischen Serbien, Bosnien und der Türkei kam es Anfang der Woche in in dem historisch stark belasteten serbischen Örtchen Karadjordjevo. Historische Wunden wurden geleckt, man will gegen Vorurteile und für gemeinsame Perspektiven eintreten. Serbien legte ein Bekenntnis zur Einheit Bosniens ab, die Türkei versprach, auf neu-osmanische Anwandlungen zu verzichten. Doch der offenen Baustellen sind gar viele...

Mit den Präsidenten der Türkei, Abdullah Gül, dem serbischen Präsidenten Boris Tadic sowie dem bosnischen Präsidententrio (Nebojsa Radmanovic für die bosnischen Serben, Bakir Izetbegovic für die Bosniaken und Zeljko Komsic für die kroatischen Bosnier) trafen sich wichtige regionale Akteure, um über die Zukunft des Balkans in politischer, ethnischer und interreligiöser Hinsicht zu sprechen. Bereits vor einem Jahr fand dieser "Mini-Balkan-Gipfel" in Istanbul statt, damals gab es jedoch Ärger, weil die Türken es verabsäumt hatten, alle drei "Teilpräsidenten" Bosnien einzuladen und nur der "moslemische" kam, was diesen bei seiner Rückkehr in einige Erklärungsnot brachte, da man von ihm erwartet hatte, den Türken das komplizierte Staatsgebilde so zu erklären, dass auch die beiden anderen Teilpräsidenten eingeladen werden.

Böse Geister der Vergangenheit in Karadjordjevo

Auch hat der Ort Karadjordjevo (unweit von Novi Sad in der Vojvodina) einen dunklen Ruf bei den Bosniern, haben hier nämlich der damalige kroatische Präsident Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic "das Schicksal Bosnien-Herzegowinas" entschieden und die Aufteilung ausgemacht. Kroatien stellte sich erst später auf die Seite Bosniens. Der bosnisch-kroatische Vertreter äußerte daher auch die Hoffnung, dass dieses Gipfeltreffen "endgültig die bösen Geister und Vampire der Vergangenheit" vertreiben möge. Sein bosniakischer Kollege ergänzte, dass "diejenigen, die hier damals die Aufteilung Bosnien betrieben haben, genauso tot sind wie ihr Projekt."

Tadic: Niemand hat die Absicht Bosnien zu teilen...

Die fünf Präsidenten der drei Länder (wobei Bosnien als UN-Protektorat seiner eigentlichen Staatlichkeit noch harrt) waren sich darin einig, dass die "Vorurteile", die auf allen Seiten "wegen der komplizierten Geschichte" gemeinsam überwunden werden müssen", andernfalls "sieht die Zukunft schwierig aus", fasste es der serbische Gastgeber Tadic zusammen. Er betonte zugleich, dass Serbien niemals einer Teilung von Bosnien-Herzegowina zustimmen werde, zumindest werde man niemals derartige Referenden, z.B. in der serbischen Teilprovinz anerkennen. Die "Integrität des Landes" dürfe nicht in Frage gestellt werden, das Dayton-Abkommen werde von seiner Seite vollständig akzeptiert. Allerdings, so Tadic, erwarte er sich diese Einstellung auch "wenn es um das Kosovo" geht.

International hatte die Ankündigung, in der bosnischen Republika Srpska könnte auf Ansinnen von serbischen Nationalisten ein Referenderum zur Abtrennung der Teilrepublik stattfinden, für Aufsehen und Besorgnis gesorgt. Die haarsträubenden Entwicklungen in Bosnien sind auch Ergebnis der zögerlichen Schritte der internationalen Gemeinschaft bei der Überführung Bosniens in eine geregelte Souveränität. Dadurch haben sich die ethnisch-orientierten Machtzentren immer weiter zementiert.

Genau um diese Belange und Befindlichkeiten ging es bei dem Treffen, wobei viele lokale Details hinter verschlossenen Türen besprochen worden sind, eben auch mit Rücksicht auf die innenpolitischen Sensibilitäten. Hier versuchte vor allem die bosniakische Seite über den "kurzen Dienstweg" Probleme mit den bosnischen Serben über Belgrad zu lösen. Auch die Friktionen zwischen Bosniaken und slawischen Muslimen in der Sandschak gehörten dazu, die Türkei bot sich hier als Vermittler an, "durch Gespräche und Investitionen" ließ Gül wissen.

Kriegsverbrechen: die Jugend übernimmt jetzt das Kommando bei der Aufarbeitung

Auch die wieder aufflammenden Streits über die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Balkankriege war ein Thema des Treffens. Serbien bekannte sich ein weiteres Mal zur vollständigen Kooperation mit den Haag. Bosnien verlangt Garantien über die anständige Behandlung seiner Staatsbürger, die sich in serbischer U-Haft befinden. Derzeit kursieren wieder viele Listen mit auf den verschiedenen Seiten gesuchte mutmaßlichen Kriegsverbrechern, wobei die Politiker dabei wie bei einem Kuhhandel agieren, nach dem Motto: streichst Du einen, streich ich auch einen. Vor allem die Jugend hat von diesen Instrumentalisierungen die Nase voll, Jugendgruppen und NGO´s machen seit dieser Woche mit einer Großaktion Druck auf ihre Politiker, sich endlich zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Zeit bereit zu finden. Dazu mehr in diesem Beitrag.

Notwendige Richtigstellung: die Türkei strebt keine "neo-ottomanische" Politik an

Auch und gerade gegenüber dem türkischen Gast betonte Tadic den Willen zur EU-Integration seine Landes "so bald als möglich". Gül betonte, dass der Balkan durchaus "nicht am Rande Europas" gelegen, sondern "eher sein Herz" ist. Es sei von Vorteil für die ganze Region sich unter dem "Schirm von NATO und EU" zu entwickeln. Die Türkei hat vor allem wirtschaftliche Interessen auf dem Balkan und über die moslemischen Bevölkerungsgruppen auch einen emotionalen Zugang und sieht sich dort durchaus in der Tradition des Osmanischen Reiches, das jahrhundertelang auf dem Balkan - mit einer sehr gemischten Bilanz - regierte.

Allerdings machte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu am Rande eines Treffens mit seinem serbischen Amtskollegen Vuk Jeremić klar, dass man zwar "strategische Partnerschaften", aber keine "neo-ottomanische" Politik anstrebe. Diese Klarstellung war auch nötig, denn 2009 hatte sich Davutoglu dazu verstiegen, in Sarajevo auszurufen, dass die "osmanische Geschichte auf dem Balkan eine Erfolgsgeschichte war, die wiederholt werden solle." Es gibt - z.B. im Unterschied zu anderen Kolonisierungsgeschichten eine ganze Reihe positiver Aspekte der osmanischen Herrschaftszeit - aber ebenso genügend Grausamkeiten, die eine Wiederholung genauso wenig wünschwenswert machen wie beispielsweise die von einigen Kreisen in Europa sehr wohl gewünschte Auferstehung des zu Unrecht verklärten Habsburgerreiches.

 

Nächstes Jahr in Bosnien

Nach dem Treffen in Karadjordjevo, das mit einer gemeinsamen Erklärung beendet wurde, hat man angekündigt, dass Bosnien-Herzegowina der Gastgeber des Dreiergipfeltreffens im nächsten Jahr sein wird, man also quasi ins Auge des Orkans ziehen wird. Allgemein wurde das Treffen positiv bewertet, man wünscht aber, dass der Ton und der Geist dieser Gespräche das ganze Jahr lang anhalten sollte...

red.

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