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(c) Pester Lloyd / 17 - 2011  FEUILLETON 29.04.2011

 

Kippe aus, hoch die Tassen!

Das strenge Rauchverbot in Ungarn und dessen flüssige Kehrseite

In dieser Woche beschloss das Parlament ein umfassendes Rauchverbot im öffentlichen Raum. Dabei zeigen sich die Gesetzgeber gnadenlos konsequent. Die EU dürfte es freuen, Ungarn ist hinsichtlich dieses Kardinalthemas vom Schmuddelkind zum Musterland aufgesteigen. Doch wo die Ernsthaftigkeit groß, ist der Aberwitz nicht weit: dass wir Magyaren dafür saufen wie die Bürstenbinder und das steuerfrei, scheint niemanden zu stören, im Gegenteil, es ist seit kurzem eine patriotische Pflicht.

Der deutsche Schriftsteller Franz Fühmann beschrieb in seiner Reiseerzählung, "22 Tage oder die Hälfte meines Lebens", dass er an rauchenden Frauen am Straßenrand erkannte, dass er in Ungarn angekommen war. Es stimmt, hier wird überall gepafft, ohne Rücksicht auf den Mitmenschen, der letzte Zug steigt sogar oft noch mit in den Bus ein, Aschenbecher gehören auf jeden Restauranttisch und niemand hat Hemmungen einem den Rauch auch am frühen Morgen schon mitten ins Gesicht zu blasen. Rauchte der Chef, rauchte der Betrieb, Nichtraucher wurden mitgeräuchert. Hier musste etwas geschehen. Ein Nichtraucherschutzgesetz für Ungarn war dringend notwendig, sogar die meisten Raucher verstehen das.

5 Meter Sicherheitsabstand

Wie alle neuen Gesetze im heutigen Ungarn, war auch dieses durch die überwältigende Merhrheit unserer glorreichen Regierungsfraktion von Fidesz-KDNP abgesichert, 271 Abgeordnete stimmten dafür, somit acht mehr als die Fraktionsstärke ausmacht, es gab 37 Nein-Stimmen und 14 Enthaltungen, rund 50 Abgeordnete, alles Kommunisten, waren bei der Abstimmung gar nicht anwesend, womöglich gerade eine rauchen. Damit gilt ab 2012 ein striktes Rauchverbot in Restaurants, Theatern, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmittel, an Haltestellen sowie auf Spielplätzen. Unter freiem Himmel wird man rauchen dürfen, wenn man einen Mindestabstand von 5 Metern zu rauchfreien Einrichtungen einhält. Nach einer Einführungsphase wird ab dem 1. April auch eine Bußgeldregelung für allfällige Verstöße in Kraft gesetzt.

Zimmer 13

Selbst die Gesetzgeber werden vom neuen Rauchverbot nicht befreit. Das berühmte Zimmer Nr. 13 im ungarischen Parlament (Foto rechts), sozusagen das nationale Tabakskollegium, das erst 2007 durch einen einschlägigen Sponsor großzügig renoviert worden war, dürfte seine Funktion verlieren, das kündigte jedenfalls der besonders eifrige Rauchverbieter Tamás Heintz vom Fidesz an. Man könnte es in einen Buß- und Betraum umwandeln. Péter Harrach, von der sonst eher zu leichten Übertreibungen neigenden Partei KDNP, ein Anhängsel des Fidesz, sagte noch kürzlich, dass "jede fanatische Lösung des Problems wenigstens so schädlich ist, wie Rauchen selbst...". Es ist denkbar, dass er für derartige Ketzerei bald zur Rechenschaft gezogen werden wird.

Erster Meileinstein zur Erhöhung der “Volksgesundheit”

Während Ärzte von wichtigen Maßnahmen im Kampf gegen durch Rauchen verursachte bzw. beförderte Krankheiten sprachen, brauchte es ein Abgeordneter des Fidesz wieder eine Nummer größer. Er sprach von "einem ersten Meileinstein auf dem Weg zur Erhöhung der Volksgesundheit.", dem weitere Maßnahmen folgen werden, auf die wir jetzt schon gespannt sein dürfen. Ungarn schließt mit dem Gesetz, spät, aber doch zum europäischen Mainstream auf, der auf der Überzeugung fußt, dass nur drakonische Gesetze ausreichenden Schutz für Nichtraucher sichern könnten.

Lebenserwartung acht Jahre unter EU-Schnitt

Die Fakten sind brutal: Ungarn hat nach wie vor eine der niedrigsten Lebenserwartungen in der EU, Männer werden im Schnitt nur gut 70 Jahre alt, acht Jahre weniger als der EU-Schnitt und nur ein paar Monate mehr als Schlusslicht Estland mit 69,7 Jahren (Eurostat 2009). 3 Millionen Raucher, etwa 35% der erwachsenen Bevölkerung rauchen, 30.000 sterben direkt daran, so lauten die offiziellen Zahlen. Herz- und Kreislauferkrankungen sind überdurchschnittlich präsent, wofür aber bei weitem nicht nur das Rauchen, sondern auch zu fettes Essen, zu wenig Bewegung und Alkohlmissbrauch wesentliche Ursachen sind. Immerhin, auch eine "Hamburger-Steuer" auf ungesunde Nahrungsmittel steht zur Debatte, obwohl die Motivation des Staates hier eher auf die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen gerichtet scheint, immerhin verliert die Staatskasse ein paar Zig-Millionen Euro Tabaksteuern, glaubt man den Prognosen von Lobbyisten, die behaupten, dass mit der Einführung obigen Gesetzes die Ungarn en masse das Rauchen einstellen.

Angstreflexe der Kneipenwirte und der Tabakbauern

Das Gesetz ruft freilich die Gastwirte auf den Plan, die, ebenso reflexartig und kompromisslos wie Pharmalobby und Ärzte auf ihre Position, auf drohende Arbeitsplatz- und Umsatzverluste hinweisen, die für viele Wirte existenzbedrohend sein könnten. Eher abwegig erscheint indes der Protest der Tabakproduzenten, sie fürchten um die Existenz für bis zu 25.000 Menschen, die vom Tabakanbau leben, wobei viele davon für andere Berufe unterqualifiziert seien. Für die Maisernte braucht man wohl einen Master?! Dabei wird durch ein Rauchverbot nicht automatisch so viel weniger geraucht, dass ganze Landstriche verarmen müssten, zumal der Export von Tabak nach wie vor nicht verboten worden ist.

Ein Gesetz ohne Schlupflöcher wäre geradezu unungarisch

Etwas irritierend ist es für den Bürger jedoch, dass die Regierung, die sich von Brüssel, das hier nur noch "Új Moszkva" genannt wird, "nichts sagen lassen wird", so rigoros die EU-Leitlinien umgesetzt hat. Keine Kompromisse, kein nationaler Sonderweg, keine gulaschbürokratische Aufweichung z.B. mit gekennzeichneten und baulich abgetrennten Raucherbereichen wie z.B. in Österreich oder der Möglichkeit der Selbstdeklaration bei besitzergeführten Kneipen und Bars (wie in einigen deutschen Bundesländern), sondern ein rigoroses und ausnahmsloses Rauchverbot. Nicht einmal Raucherinseln auf Bahnhöfen werden noch erlaubt sein, keine Nischen, keine Schlupflöcher, kein Ausweg. Ein zutiefst unungarisches Gesetz, könnte man meinen.

Steuerfreier Privat-Fusel aus Garagendestillen im Großhandelsmaßstab

Doch die Mär vom Staat als Beschützer der ungarischen Volksgesundheit hat, so ist es in Ungarn seit jeher Tradition, wenn der Staat besonders ernsthaft wird, eine Kehrseite voller Aberwitz. Nach dem beliebten und bewährten Motto "Schnaps und Spiele" hatte unsere revolutionäre Volksregierung vor einem Jahr mit großem Tamtam die Besteuerung auf privat gebrannten Fusel rückgängig gemacht und dies mit dem "Recht des ungarischen Landmannes" auf "seinen Pálinka"-Schnaps, das "ungarische Eau de vie" begründet, das ihm von den vaterlandslosen Sozis zuvor genommen worden war. Kommunisten rauchen, Patrioten trinken!

Diese volkserheiternde Maßnahme war dem Regierungschef so wichtig, dass sie sogar zu einem der 28 Punkte des Sofortprogramms bei Regierungsantritt gemacht wurde. Die Menge, die dabei als "persönlicher Bedarf" definiert worden war, hat Großhandelsausmaße. Bis zu 50 Liter 86%iger Pálinka, also Schnaps aus der Destillation von Obst oder bis zu 400 Liter 50%iger Fusel pro Haushalt sind seit letztem Jahr steuerfrei und zwar "solange sie für den Eigenbedarf dienen und nicht verkauft werden.", was bedeutet, dass man geradezu gezwungen ist, das Zeug bis zur Neige zu trinken, wenn man es nicht umkommen lassen will. Kein Wunder, dass bei vielen ungarischen Familienvätern und auch -müttern das Schnäpschen das ist, was in Italien der Espresso.

Das Volk im Dauerschwipps halten?

Hier muss die "Volksgesundheit" freilich hinter den in der Verfassung verankerten Nationalstolz zurücktreten, was nutzt schließlich ein gesunder Volkskörper, wenn die Volksseele gebrochen darnierderliegt. Es wird schon seinen Grund haben, das Volk vorsichtshalber in einem leichten Dauerschwipps zu halten, der kluge Mann baut vor, heißt es doch im Sprichwort, keine Frage, dass unsere Volksvertreter nur aus klugen Männern bestehen.

Mag die Rigorosität des Gesetzes für Ungarn insgesamt überraschen, zur Attitüde der Regierung passt sie indes, die wenig von Maß und Toleranz hält. Zulange irrte das ungarische Volk ziellos umher, es wollte an die Hand genommen werden, nun liegt es an der kurzen Leine. Zwar ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, doch wünschte man sich einen derartigen kompromisslosen Einsatz für die Betroffenen auch auf anderen aktuellen Politikfeldern. Immerhin wird die EU, die den Nichtraucherschutz zu einem singulären Kardinalthema erhoben hat, was die Hersteller von Rauchentwöhnungs-Pharmaka sicher zu schätzen wissen, mit Ungarn sehr zufrieden sein.

 

Bürgerrechte, das lehrte uns die EU-Kommission ja erst kürzlich, bleiben nationale Angelegenheit, Rauchen oder Nichtrauchen ist aber ein Thema für die kontinentale Zentrale, die sich ganz sicher ist, dass Bürger, Kommunen oder die Zivilgesellschaft das selbst nicht regeln können. Die Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden, da sind sich Brüssel und Budapest plötzlich einig und beide auch irgendwie nah an Moskau...

Ádám K., Stefano S., red.
 

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