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(c) Pester Lloyd / 18 - 2011  WIRTSCHAFT 06.05.2011

 

Jahrmarktwirtschaft

Defizit und Wirtschaftspolitik in Ungarn fahren Achterbahn

Nachdem das Defizit des ungarischen Staatshaushaltes im März bereits 144% des Jahresziels erreichte, wurde es im April wieder auf 97% gedrückt. Die waghalsige Achterbahnfahrt wird auch in den nächsten Monaten so weitergehen, was keine guten Signale aussendet. Zuviel wird angekündigt, zu wenig konkretes geschieht bisher noch. Für die nachhaltige Reformierung der Ökonomie und des Haushalts braucht es Zeit, die sich die so mutige wie übermütige Regierung selbst nicht geben will.

Das Finanzministerium kündigte für das Halbjahr ein Defizit von 176,1% des Jahresziels an, um dann im Dezember punktgenau bei 100%, sprich 2,9% des BIP zu landen, das man "sicher erreichen werde", wie der große Ausrufer, Nationalwirtschaftsminister Matolcsy nicht müde wird zu verkünden. Eigentlich könnte Ungarn in diesem Jahr sogar einen Budgetüberschuss erzielen, immerhin fallen dem Staat umgerechnet um die 8-10 Milliarden EUR, ergo ca. 8% des BIP zusätzlich in den Schoß durch die "Umbuchung" der privaten Rentenbeiträge, wahrscheinlich werden diese "Geschenke" aber über zwei Jahre gestreckt, denn für 2012 hat man noch ein erntes planerisches Problem.

Warten auf den großen Geldregen

Günstigerweise hat die Regierung im ersten Quartal einen Krisennotfonds über 250 Mrd. gebildet, um zukünftige Budgeterschütterungen besser abfedern zu können. Das erhöhte Defizit erklärt dies aber noch nicht, denn die Gelder dafür wurden über Ausgabenstopps und sogar Spenden lukriert. Nach den Zahlen des Statistischen Zentralamtes leiden vor allem die Posten Mehrwertsteuer und Einkommenssteuer an massivem Schwund. Letzterer wegen der neuen Flat tax von 16%, die jedoch nicht automatisch die Zahl und die Ehrlichkeit der Steuerzahlenden bzw. -pflichtigen erhöht, ersterer wegen des weiter schwächelnden Konsums, schließlich sind die Realeinkommen übers Jahr gerechnet noch nicht gestiegen, schon gar nicht für die unteren Einkommensschichten.

 

Für den April jedenfalls konnte der Finanzminister Matolcsy einen Budgetüberschuss von 76 Mrd. Forint erzaubern, womit man für das Gesamtjahr Januar bis April nun ein Defizit von 666,2 Mrd. Forint ausweist (2,5 Mrd. EUR). Die verschwenderischen Genossen der Vorgängerregierung kamen im gleichen Zeitraum 2010 mit 637 Mrd. Defizit aus. Die "außerbudgetären" Fonds der Regierung wiesen ein Plus von 101,1 Mrd. Forint aus, während die Sozialversicherung allein im April wieder 31 Mrd. mehr ausgab als sie einnehmen konnte. Positiv ist, dass diese Regierung im April 191 Mrd. Forint weniger ausgab als ihre Vorgänger vor einem Jahr (Wahlmonat), allein die Zinsausgaben lagen im April um fast 25 Mrd. niedriger als im April 2010. Und wo weniger Zinsen gezahlt werden, gibt es weniger Schulden. Immer ein gutes Zeichen.

Niedrigere Steuersätze machen leider nicht automatisch die Menschen ehrlicher

Das extreme Auf und Ab des Defizits ist für Laien wie Experten indes überhaupt kein gutes Zeichen, denn es besagt nichts weiter, als dass sich der Haushalt nicht über lineare Zahlungseingänge (also Steuern aus Einkommen, Verbrauch und Geschäftstätigkeit) finanziert, sondern durch eine sprunghafte Feuerlöschpolitik, also über Einmal- und Mehrfacheffekte, wie Krisensondersteuern, plötzliche Ausgabenstopps und in diesem Jahr besonders über die verstaatlichten Rentenbeiträge. Mit diesen Maßnahmen will man durchkommen, bis die "große Steuerreform greift", also über eine breitere Steuerbeteiligung letztlich mehr Einnahmen bei kleinerem Steuersatz einbringt (ein liberaler Dauerwunschtraum) sowie bis die Wirtschaft endlich so anspringt, wie das die Pläne der Regierungspartei vorsehen.

Die Heilige Krone war wichtiger als der schnöde Forint

Leider hält sich die Wirtschaftslage, in Verkennung der nationalen Dimension, nicht immer so patriotisch an die Pläne der Regierung. Einige Indikatoren weisen zwar nach oben, doch vor allem der zentrale Bereich, der Arbeitsmarkt, hinkt den Vorstellungen der Regierenden besonders weit hinterher. Die Reformansätze hier kommen erst jetzt langsam in Fahrt und beziehen sich noch vor allem auf die finanzielle Knebelung von Arbeitslosen, die das länger als 3 Monate sind, wo die hunderttausenden angekündigten Jobs so schnell herkommen sollen, steht in den Sternen. Das Fidesz und hier vor allem Wirtschafts- und Finanzminister Matolcsy, der wöchentlich wie ein Jahrmarktsausrufer eine großartige Ankündigung nach der anderen absetzt, dass Ökonomen weltweit schwindelig wird, haben sich selbst stark unter Druck gesetzt ("1 Mio. neue Arbeitsplätze binnen 10 Jahren", dauerhaftes Wirtschaftswachstum von 5% ab 2014), vor allem aber auch viel Zeit vertändelt. Es gab zwar massenhaft neue Gesetze, aber die meisten drehten sich dabei um ideologische Grundsatz- und Machtsicherungsfragen als um praktische Wirtschaftspolitik. Die Heilige Krone war mnachmal wichtiger als der schnöde Forint.

Es gibt kein Zurück mehr - gut so

 

Allerdings ist die Reformbedürftigkeit der ungarischen Ökonomie durch die strukturelle Misswirtschaft der vergangenen Jahre derart groß, dass eine Blitzgesundung schlicht unmöglich ist. Die Pläne der Regierung sind ambitioniert und in vielen Bereichen sehr mutig und durchaus auch langfristig angelegt (Széchenyi-Plan, Széll Kálmán-Plan). Allerdings hätte eine Umkehrung der Prioritäten, also erst die strukturellen Reformen (Arbeit, Soziales, Gesundheit, Bildung, öffentlicher Dienst, Bürokratieabbau, Refomeriung Staatsbetriebe etc., Mittelstandsförderung) und dann die große Steuerreform, mehr budgetäre Ruhe, eventuell aber auch eine verlängerte Abhängigkeit von EU- bzw. IWF-Hilfen gebracht. Doch die "große Steuerreform" war zunächst ein politisches Projekt. Das Risiko eines katastrophalen Scheiterns, das leider im Bereich des Möglichen liegt, ist der Preis dafür. Ein Zurück gibt es nun nicht mehr, aber das ist letztlich auch gut so, denn zuvor war das Scheitern kein Risiko sondern reine Gewissheit und nur eine Frage der Zeit.

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red., ms.

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