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(c) Pester Lloyd / 18 - 2011  GESELLSCHAFT 05.05.2011

 

Der Massenmörder und seine Erben

In Ungarn beginnt der Prozess gegen Sándor Képíró

Am Donnerstag beginnt in Ungarn der Prozess gegen den 96jährigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher und Massenmörder Sándor Képíró, der für den Tod Tausender Serben, Roma, Juden bei einem Massaker in der Vojvodina 1942 verantwortlich sein soll. Der Prozess bekommteine politische Dimension, rührt er doch am allgemein gepflegten Opfermythos des Landes, der auch die eigene Nazizeit mit einschließt. Zudem verteidigt mit einer Stiftung der Parlamentspartei Jobbik genau jene Kraft den "ungarischen Gendarmen", die dessen Erbe antreten will...

Heute Morgen begann der Prozess im Budapester Hauptstadtgericht. Der Andrang der Medien war groß, auch viele Besucher kamen. Eine Frau im Saal rief “Ihr seid die Mörder, die Mörder eines 97jährigen Alten”. Andere Besucher klebten sich demonstrativ Judensterne auf die Kleidung, was sich der Richter verbat.

Der Ankgeklagte verklagt seinen Jäger

Am Tag vor dem Prozessbeginn gegen Képíró hatte ein Budapester Gericht jedoch zunächst eine Klage gegen dessen hartnäckigsten Verfolger zu behandeln. Efraim Zuroff, heute Chef des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, wurde von Képíró bzw. seinem Anwalt, einem Abgeordneten der Partei Jobbik, wegen "übler Nachrede" verklagt, weil der ihn einen "Kriegsverbrecher" nannte. Das Gericht folgte zwar der Auffassung, dass Zuroff damit dem Gebot der Unschuldsvermutung bis zu einem rechtskräftigen Urteil zuwiderhandelte, dies jedoch in der "guten Absicht" tat, "die ungarischen Behörden zur Ermittlung bei einem derart schwerwiegenden Fall" zu bewegen. Das Gericht stellte das allgemeine Interesse und die Schwere des Verdachts über das individuelle Recht auf Schutz der Persönlichkeit. Die Jobbik-Stiftung "Nemzeti Jogvédő Alapítvány" brüstet sich mit ihrer Verteidigung der Ehre Képíros auf ihrer Homepage: http://www.njsz.hu/

Sándor Képíró vor wenigen Jahren im Pawlatschenhof
seiner Budapester Wohnung im “jüdischen Viertel”...

Mehrmals verurteilt, immer entkommen

Hinzu kommt, dass Képíró bereits von einem ungarischen Gericht, noch vor 1944, wegen seiner Rolle bei den Massakern von Novi Sad 1942 zunächst zu zweimal zehn, dann einmal vierzehn Jahren verurteilt worden war. Die Strafe trat Képíró nie an, er stand nur kurzzeitig unter Hausarrest, die deutschen Besatzer ermöglichten ihm die Flucht über Österreich nach Argentinien. Képíró soll zuvor noch bei der Deportation der ungarischen Juden ab 1944 in die Vernichtungslager hilfreich beteiligt gewesen sein. 1946 erging ein weiteres Urteil gegen ihn, doch dazu sollen nicht einmal mehr Prozessakten vorhanden sein, in Jugoslawien wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt, der jetzt beginnende Prozess ist somit der vierte gegen ihn, offiziell Anklage wurde im Februar erhoben. Insofern ist die Behauptung “Massenmörder” auch keine Verleumdung mehr.

Er wohnte im jüdischen Viertel, sein Name stand im Telefonbuch

1996 kehrte der Gendarmerieoffizier a.D. unbehelligt nach Budapest zurück, erst zehn Jahre später, 2006, störte die Aktion "letzte Chance" des Wiesenthal-Centers seinen Ruhestand in der Heimat, Zuroffs Leute spürten ihn auf, er stand auf der Liste der meistgesuchten Kriegsverbrecher auf Platz 3. Sie überführten ihn einer trägen Gerichtsbarkeit. Képíro fühlte sich in Ungarn so sicher, dass er mit seinem echten Namen sogar im Telefonbuch zu finden war, zuletzt lebte er in einer Wohnung im "jüdischen Viertel", nahe der Großen Synagoge.

Képíró gibt mitten in Budapest ein Straßeninterview für den Staatskanal Duna TV Ende der Neunziger

Zwar gab es einen kleinen medialen Aufschrei, aber die rechtliche Aufarbeitung ließ auf sich warten, aus formellen Gründen, wie es hieß. Képíro gab dem Staatsfernsehen und Zeitungen Interviews und gab den einfachen Rentner, "ich habe nichts zu bereuen, ich habe nur Befehle ausgeführt". Für eine U-Haft fand man keine Anhaltspunkte. Auch Serbien hatte 2008 zunächst ein Verfahren eröffnet, den Fall aber dann doch den Ungarn überlassen, da man es mit der Aufarbeitung auch der eigenen Kriegsverbrechen nicht so intensiv anging, wollte man sich keine politische Blöße geben.

Képíró wird von der Anklagevertretung konkret der Mord an 4 Personen sowie Beihilfe beim Mord an 32 weiteren Menschen vorgeworfen, die er im Rahmen eines tagelangen Massakers ungarischer Gendarmerieeinheiten (kasernierte Polizeikräfte) in Novi Sad im Norden von Serbien verübt haben soll.

Und bei “seiner” Truppe in Novi Sad in den Vierzigern,
dazwischen liegen 50 Jahre Urlaub in Argentinien..

Gleichzeitig stehen bei dem Befehlsgeber Beihilfe zum Mord in über tausend Fällen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen im Raum, aber nicht in der Anklageschrift, da die Staatsanwaltschaft durch die Reduktion auf belegbare Einzelfälle einen langen Prozess vermeiden und zu einem schnellen eindeutigen Urteil kommen will, das lebenslange Haft bedeuten soll. Die Behandlung der Einzelfälle soll zudem das Problem umschiffen, dass eine Verurteilung bereits vorliegt und zwar aus einer Zeit, in der ungarische Gerichte noch "unabhängig" in einem eigenständigen Staat agierten. Die Anklage wird auch einen Sonderermittler aus Serbien als Zeugen laden, den Sonderstaatsanwalt Vladimir Vukcevic.

Deutsche und ungarische Einheiten nach “getaner Arbeit” in Novi Sad.

Wochenlange Mordaktionen in der Vojvodina, an Serben und Ungarn

Die Vojvodina, ungarisch kontrollierter Teil des Habsburgerreiches, war seit den Verträgen von Trianon Teil Serbiens, ab 1929 des Königreichs Jugoslawiens und wurde 1941 durch eine gemeinsame Aktion der Deutschen Wehrmacht mit der Ungarischen Armee zurückerobert, im Rahmen der "Wiener Schiedssprüche" geschah ähnliches zuvor mit "Oberungarn" (Slowakei) und Siebenbürgen (Rumänien). Offizielle ungarische Zahlen sprechen bei dem Massaker vom Januar 1942, also noch weit vor der Besetzung Ungarns durch die deutschen Faschisten, von 1.200 Opfern, fast alles Zivilisten. Darunter finden sich Serben ebenso wie ungarische Juden und Roma, in der Vojvodina stellten die ethnischen Ungarn in vielen Gegenden, vor allem auch um die regionale Hauptstadt Novi Sad, die Bevölkerungsmehrheit, es war also auch ein Massaker an der eigenen Bevölkerung, das unter dem Namen "Razzia" in die Geschichtsbücher einging.

Leichen im Fluss, Aufnahme in der Nähe von Novi Sad 1942, wenige Tage nach dem Massaker

Oberkommandierender der Aktion war General Ferenc Feketehalmy-Czeydner, der nach dem Krieg von den Amerikanern zunächst an Ungarn ausgeliefert wurde, die ihn wiederum nach Jugoslawien schickten, wo er 1946 gehängt wurde. Neuere Forschungen nennen mittlerweile Zahlen von über 4.000 Opfern, einige Historiker nennen sogar 12.000 Tote bei den wochenlangen "Säuberungen" durch ungarische Truppen, Pfeilkreuzlerverbände und Polizeieinheiten in und um Novi Sad, die Stadt Becej und im angrenzenden Bezirk Šajkacka.

Ein Jobbik-Jurist kümmert sich um die Verteidigung

Die Verteidigung wird von der sogenannten "Nationalen Rechtsstiftung" übernommen, womit der Fall auch eine aktuelle politische Dimension bekommt. Leiter dieser Stiftung ist der Parlamentsabgeordnete der neofaschistischen Partei Jobbik, der Jurist Tamás Nagy-Gaudi. Jobbik und generell die extreme Rechte, die - wie auch die Nationalkonservativen - beflissen am ungarischen Opfermythos stricken, zeigen im Zusammenhang mit dem jetzigen Prozess auf die Verbrechen, die die Partisanen Titos an ethnischen Ungarn in der Vojvodina und bis hinein nach Südungarn begangen haben und die bis heute nicht geahndet worden sind. Hingegen wird versucht, die ungarische "Ordnungsmacht" als anständig darzustellen, wie man das auch aus anderen Ländern kennt.

Aufmarsch von “Gendarmerie” in Gyöngyöspata vor wenigen Wochen, im Hintergrund Jobbik-Fahnen und Árpád-Flaggen, wie sie auch die Pfeilkreuzler benutzten.

Ungarische Anständigkeit gegen jugoslawischen Partisanenterror

Mittlerweile werden auch die Soldaten der 2. Ungarischen Armee, die 1943 am Don von den Deutschen im Stich gelassen und vollständig aufgerieben worden sind, in Ungarn wieder als "Helden" verehrt, übrigens auch schon von der sozialistischen Vorgängerregierung. "Ungarns erster Nazi", Gömbös, erhielt die Ehrenbürgerwürde wiedererkannt. Die Horthy-Zeit wird verklärt (Jobbik hielt schon entsprechende Gedenkmärsche ab) als eine Ära, in der Ungarn versuchte, seine Souvernität zu bewahren und sich aus den Kämpfen der Großmächte herauszuhalten (Schaukelpolitik). Indes gedieh unter Admiral Horthy der ungarische Faschismus mit Judengesetzen (dem ersten in Europa), der Unterdrückung Andersdenkender und der Entstehung der Pfeilkreuzlerbewegung, die später ein Terrorregime errichtete. Horthy selbst schloss mit Hitler einen Pakt, er war sein Verbündeter und dachte, so könne er Frieden für sein Land bewahren und gleichzeitig die verlorenen Gebiete zurückerlangen.

Denkmal für die Opfer des Massakers in Novi Sad

Natürlich "nur Befehlsempfänger", ein braver Gendarm

Képíró selbst bzw. sein Anwalt plädierten von Anfang an auf "nicht schuldig" und betonen, dass der Angeklagte niemals "auch nur in der Nähe der Tötungen" gewesen sei. Zudem sei er nur ein einfacher Befehlsempfänger gewesen. Es wird auch erwartet, dass es eine Gutachterschlacht über Prozess- und Hafttauglichkeit geben wird. Die bestehenden Urteile aus der Horthy-Zeit werden ignoriert. Es gibt indes (immer weniger) Zeugen, die Képíró als beflissenen Hauptmann einer jener gefürchteten Gendarmerieeinheiten erkennen wollen, die in den aus den rückeroberten "Trianongebieten", aber auch im Kernland die willigsten Vollstrecker nazistischer Rassenpolitik waren.

Die Partei Jobbik hat es zu einem ihrer zentralen politischen Ziele erklärt, eine "flächendeckende Gendarmerie", vornehmlich zum Schutz "der Ungarn gegen Zigeunerkriminalität" im heutigen Ungarn wieder aufzubauen. Der Képíró-Prozess stört die heutigen Rechtsextremisten scheinbar nur wenig bei der historischen Gespenstervertreibung, Jobbik sichert sich schließlich durch die Übernahme der Verteidigung genügend mediale Aufmerksamkeit, um wankende Geschichtsbilder wieder gerade rücken zu können. Zeitgleich findet in Budapest ein Prozess gegen vier Männer statt, die beschuldigt sind, 2008/2009 etliche Anschläge gegen Roma durchgeführt zu haben, aus rassistischen Motiven, wie sie teilweise mittlerweile selbst zugaben. Sechs Tote, etliche Verletzte haben die Mordattacken gefordert, darunter ein Kleinkind, die teilweise in Orten stattfanden, in denen direkt vorher die “Ungarische Garde” marschierte.

 

Der Fall Képíro ist, zusammen mit dem des Weißrussen Demjanjuk, der gerade in München vor Gericht steht und jenem des Ungarn Károly Zentai, der sich in Australien immer noch erfolgreich seiner Auslieferung widersetzt, einer der letzten großen Fälle, in denen individuelle Schuld für im Zweiten Weltkrieg systematisch begangene Verbrechen behandelt werden kann. Die sich daraus ergebenden Strafen für die Täter haben nurmehr symbolischen Wert, da die über 90jährigen Männer bald kaum noch haftfähig sein werden und ohnehin am Ende ihres Lebens angekommen sind. Die Verfahren zeigen, dass Verbrechen dieser Art nicht ungesühnt bleiben sollen, wiewohl sie es oft genug blieben, denn abertausende Verbrecher aus diesem Krieg kamen ungeschoren davon, wie die meisten Verbrecher aus den meisten Kriegen, damals wie heute.

M.S.

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