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(c) Pester Lloyd / 19 - 2011  WESTBALKAN 09.05.2011

 

Zerreissprobe

Die EU droht der Republika Srpska mit Sanktionen

Die Zerreißprobe in Bosnien geht in die nächste Runde, es beginnt nach Pulverdampf zu riechen. Ultimativ soll Teilrepubliks-Präsident Dodik zur Rücknahme eines Referendums gezwungen werden, andernfalls drohen Sanktionen, ein EU-Beauftragter prophezeite ihm sogar das Schicksal Lukaschenkos. Auch der "Hohe Repräsentant" hat auf so ziemlich allen Seiten seine Reputation eingebüßt, seine Interventionen verschlimmern die Lage zwischen den zerstrittenen Interessensgruppen nur noch.

Dodik schreibt an die UN: “Niemand hat die Absicht...”

Der Präsident der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska, Milorad Dodik, hat sich im Bemühen um eine Rechtfertigung für sein Vorgehen in einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gewandt, in dem er erklärt, dass das Referendum über die Beendigung der Zuständigkeit bosnischer Zentralgerichte für seine Teilrepublik nicht im Bestreben stattfinde, sich aus dem Staatsverband herauszulösen und damit auch kein Verstoß gegen das Dayton-Abkommen vorliege. Das Schreiben ist gleichzeitig eine Beschwerde gegen den Hohen Repräsentaten für Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, der angedroht hatte, Dodik notfalls auch zu entmachten, wenn er nicht von der Volksabstimmung lasse. Dodik erklärte, dass diese jedoch ein "legitimes Mittel" sei, um den "Willen des Volkes" zu erkunden. Hinzu komme, dass Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft nicht in der bosnischen Verfassung geregelt sein, mithin Inzkos Vorwurf eines Rechtsbruches falsch ist.

Die Republika Srpska ist neben der bosnischen-kroatischen Föderation und der Sonderverwaltungszone Brcko eines der Kunstprodukte aus dem Abkommen von Dayton. Damals wollte man durch Trennung Frieden schaffen, hat aber die ethnische Säuberung vervollkommnet. Während Anfang des Jahrhunderts noch eine ziemliche Durchmischung vorhanden war, schrumpfte der Anteil der Bosniaken auf Kleinstmaß zurück, ebenso verließen viele serbische Bosnier ihre angestammten Siedlungsgebiete in der Konföderation. Sogar unter den Osmanen war mehr Toleranz. Diese forderten zwar Tribute und politische Unterwerfung, nicht aber die Aufgabe der Religion oder der Heimat. Doch leider hat die junge Generation - der Bosniaken wie der Serben - zumal viele im Aulsand leben leider zu häufig das Geschichtsbild ihrer Eltern übernommen - das war die Generation, die Krieg führte.

Intern drückt sich Dodik deutlicher aus und behauptet, dass bosnische Gerichte bosniakisch dominiert seien und - geschützt durch die internationale Aufsicht -, Serben grundsätzlich benachteiligten, was man nicht länger hinnehmen wolle. Allerdings hängt die Übermacht der Bosniaken (Überbegriff für die muslimischen Bosnier bzw. deren Nachkommen) in den zentralen Institutionen eher mit der mangelnden Mitwirkung der Kroaten und Serben zusammen als mit einer strukturellen Alleinherrschaft der Bosniaken. Zunächst igelten sich vor allem die Serben in ihrer Teilrepublik ein, bemängeln aber nun die fehlenden Einflussmöglichkeiten in den zentralen Institutionen. Dass einige bosniakische Kräfte den Kriegsopferbonus gegenüber der internationalen Gemeinschaft für eigene Interessen ausnutzen, liegt auf der Hand.

 

Nationalismus ist Dodiks politisches Lebenselixier

Wes Geistes Kind Dodik jedoch ist, hat er auch gezeigt, als er sich in Serbien dafür einsetzte, anzustreben, dass der nördliche, vornehmlich serbisch besiedelte Teil des Kosovo "unabhängig" werden soll, was eine fast kriegerisch zu nennende Aufhetzung der Stimmung und - außerhalb großserbischer Denkungsart - eine Einmischung in fremde Angelegenheiten ist. Aus diesen und anderen Äußerungen ist klar ersichtlich, dass Dodik, im Interesse der Machtsicherung nach innen, weiter eine klare separatistische Linie fährt. Je mehr Unruhe und Chaos er schaffen kann, umso besser die Chancen, die RS aus Bosnien loszulösen, so das gefährliche Kalkül, hinter dem aber auch persönliche Interessen stehen und die Einschätzung, dass Dodik außer nationalistischen Parolen dem Land wenig Brauchbares zu bieten hat. Eine Verständigung in Bosnien würde seine politische Unfähigkeit an den Tag bringen.

Die Isolation durch die EU hat die serbischen Verflechtungen verfestigt

Einzig die Besonnenheit des serbischen Mutterlandes mit Präsident Tadic, der eine Anerkennung solcher Referenden ablehnte, auch weil dies die EU-Perspektive seines Landes beenden müsste, verhinderte bisher noch schlimmeres. Bisher. Doch auch hier gibt es eine zweite Seite, denn die "positive Diskriminierung" der bosniakischen bzw. im Kosovo albanischen Bevölkerung im Zuge der Kriegsschuld und des verfestigten, noch aus Kalten Krigeszeiten stammenden Feindbildes der EU und des Westens überhaupt, ermöglichte in nordkosovarischen Provinzen und in der RS erst die paternalistische Politik Serbiens, das dort mit Energielieferungen und Sozialleistungen sogar Care Paketen "aushilft". Hier sollte man auch nicht vergessen, dass die lange Isolationspolitik der EU dazu geführt hat, dass sich auch die wirtschaftlichen Verflechtungen in der Region verfestigt haben. Viele Unternehmer profitieren reichlich von den autarken Lieferketten.

Dodik und Inzko reden fast nur noch über Medien oder Dritte miteinander,
dieses Foto stammt aus früheren Tagen

Der Hohe Repräsentant für Bosnien, der Österreicher Valentin Inzko, scheint jedoch mit der Zuspitzung der Lage vollständig und seit langem überfordert. Er zieht seine Linie unbeirrt durch und verschärfte den Ton im Fernsehsender TV1 in Sarajveo in einer Weise, die weit jedes diplomatischen Regelwerkes ist: Dodik würde die "gesamte internationale Gemeinschaft" angreifen, wenn er am Referendum festhält. Er gibt ihm eine Woche, die Sache zurückzunehmen und "glaubt nicht daran, dass ein solches Referendum abgehalten werden wird." Inzko unterhält sich nur noch über Dritte mit Dodik, das Tischtuch zwischen beiden ist lange schon zerschnitten, beide schnippelten daran zu gleichen Teilen.

EU-Gesandter droht mit Sanktionen wie für Lukaschenko

Noch eine Schippe drauf legte Miroslav Lajcak, der slowakische Chef der von der EU eingesetzten "Externen Aktionsgruppe", die zuständig für Belange auf dem Westbalkan, Russland und die östliche Nachbarschaft ist. Dieser sagte, dass Europa Dodik zwar "nicht wie Alexander Lukaschenko (den dikatorischen Präsidenten Weißrusslands, Anm.) behandeln wolle, man das aber tun werde, wenn" er nicht von dem Referendum lasse. "Maßnahmen, die die EU anwenden könnte, gingen vom Einfrieren von Guthaben des Politikers, dem Stopp von Infrastrukturprojekten" im Wert von etlichen Millionen EUR. Lajcak argumentiert, dass das in der RS geplante Referendum "Angelegenheiten von ganz Bosnien" tangieren würde, wozu eine einzelne Teilrepublik schlicht kein Recht hat. Inzko wiederum glaubt, dass sich die EU bei möglichen Sanktionen gegen die "Führung der RS" einig sei. Das Lajcak mit seinem Lukaschenko-Sager kontraproduktiv agiert, dürfte auf der Hand liegen.

Hoher Repräsentant ist völlig überfordert

Die Unfähigkeit bzw.- Unwilligkeit der kroatischen wie bosniakischen Seite, eine Regierung und ein funktionsfähiges Parlament zu schaffen birgt mittlerweile zudem die Gefahr in sich, dass sich auch die kroatischen Perteien aus der Konföderation verabschieden könnten und nach dem Vorbild der RS eine kroatische Teilrepublik gründen. Zwei größere bosnisch-kroatische Parteien scherten im März aus der Bildung einer gemeinsame Regierung aus und bildeten eine "Kroatische Nationalversammlung", die, sollte sie sich etablieren, die politische Trennung Bosniens nach Ethnien perfekt machen würde. Aufgrund der geographischen Durchmischung in vielen Regionen würde dies zwangsläufig zu erheblichen Spannungen führen, da sich die jeweiligen Minderheiten, also z.B. die Kroaten im bosniakischen Teil und umgekehrt ständig diskriminert sehen müssten.

Die Kritik am Hohen Repräsentanten mehrt sich, lange nicht mehr nur auf serbischer Seite. Dieser hat es zum einen versäumt, konsequent gegen die Abspaltung der kroatischen Parteien aus den Regierungsverhandlungen vorzugehen, zum anderen aber ist er stets kompromisslos auf Dodik losgegangen, was diesen schon aus Überlegungen des Gesichtsverlustes dazu bringen musste, stur auf seinem Rederendum zu bestehen. Ein ultimatives Verbot würde die dann illegale Abhaltung einer solchen Abstimmung fast automatisch zu einer Abstimmung über den Austritt aus der Staatlichkeit machen. Die internationale Gemeinschaft, so die Einschätzung eines Think tanks, sitzt nun ziemlich in der Patsche, weil zum einen die separatistischen Tendenzen schon so weit fortgeschritten sind, dass man nur noch mit dem Holzhammer reagieren könnte. Sanktionen aber würde die Lage noch verfahrener machen.

Mit diesen Akteuren ist kaum Staat zu machen

Wichtig wäre nun, alle Parteien an einen Tisch zu zwingen und einen Rahmen dafür festzulegen, wie die staatliche Einheit wiederhergestellt bzw. bewahrt werden und zukunftsfähig gemacht werden kann. Darin müsste auch der schrittweise Rückzug des UN-Protektorats aus lokaler Politik eine Rolle spielen, die ständig zu Überwerfungen führt, was wiederum erst möglich ist, wenn eine Gewähr besteht, dass die Grundfesten des Staatskonstruktes nicht mehr in Frage gestellt werden.

 

Dies ist mit den bisherigen Akteuren nicht möglich. Ganz offensichtlich ist das jetzige Protektorats-Konstrukt der UN lediglich in der Lage den physischen Frieden mit Hilfe von Truppen und Dekreten aufrecht zu erhalten. Als Übergangslösung für eine Überführung des Landes in eine gemeinschaftliche Zukunft hat sie Breite mal Länge versagt. Eine Übergabe an die EU wird von einigen Experten gefordert, dazu bräuchte aber auch die erstmal einen Plan. Die ungefähre Perspektive einer EU-Mitgliedschaft ist beim jetzigen Zustand der Institutionen in Bosnien zu wenig. Das Fehlen einer realisierbaren Perspektive jedoch schafft ein gefährliches Vakuum.

Mehr zum Thema: Dodiks Privatstaat
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red., ms.

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