(c) Pester Lloyd / 20 - 2011
POLITIK 16.05.2011
Unerwünschte Nebenwirkungen
Die ungarische Pharmabranche droht dem Staat
Folgt man den Argumenten der Pharmalobby, hängt das Wohl der ungarischen Volksgesundheit direkt an den Gewinnmargen der Medikamentenhersteller. Die
schäumende Wut des Verbandes der Gesundheitswirtsschaft zeigt, dass man mit den Sparplänen die richtigen getroffen hat. Deren Vorwurf, dass eine nachhaltige
Gesundheitsreform noch aussteht, stimmt, ist aber im Lichte der Interessenslage Heuchelei.
Die Ungarische Vereinigung der Gesundheitswirtschaft hat Verlautbarungen der Regierung
scharf widersprochen, wonach die Kürzungen bei den Staatszuschüssen für Medikamente keine oder kaum Auswirkungen für die Patienten und auf das Gesundheitssystem haben
sollten. Im Gegenteil, die Kürzung der Medikamentenzuschüsse um ein Drittel, bzw. 120 Milliarden Forint (fast 450 Mio. EUR) ab 2012 und der Einbehalt von 30 Mrd. (120 Mio.
EUR) für dieses Jahr wird eine "riesige Benachteilgung für die Menschen" nach sich ziehen.
In der Aufzählung fehlt noch das Marketing, dann stimmts..., Werbetafel von Gedeon Richter
Die Regierung sei bei ihren Planungen von Anfang an von der falschen Annahme
ausgegangen, dass der Medikamentenkonsum in Ungarn "exzessiv" sei. Im Gegenteil, so die Lobbyvereinigung, sie betrage lediglich 55% des OECD-Schnitts. Allerdings muss man
hier gleich den "Experten" widersprechen, diese Statstik bezieht sich nämlich auf die für Medikamente aufgewandten Summen. Da viele Medikamente jedoch deutlich billiger als im
Westen sind, ist der Konsum durchaus höher, außerdem wird durch einige “Sondergeschäfte” die Statsitik verfälscht. (wir berichteten hier über die eigenartigen Reexport-Machenschaften dubioser Händler u.a. mit Deutschland.)
Doch die Pharma-Vereinigung legt noch eine Schippe drauf: die Regierung gefährdet mit
ihren harten Schnitten nicht nur die heimische Pharmabranche (vor allem Richter und Egis sowie die verzweigte Großhandelsszene), sondern auch "die Gesundheit der Bevölkerung".
Außerdem bedeute dieser Geldentzug auch geringere Steuereinnahmen, womit der Spareffekt für das Budget sich wieder reduziere. Man sehe zudem nicht ein, warum allein
die Pharmabranche 15% der jährlich geplanten zusätzlichen Einsparungen im Staatshaushalt erbringen solle. Der Staat hatte zudem noch eine Reihe von zusätzlichen
Maßnahmen angekündigt, um Geld aus der Branche zu ziehen, so wurden die "Zulassungsgebühren" für Pharmavertreter stark angehoben und die Zwangsabgabe auf
staatlich subventionierte Medikamente von 12 auf 18% angehoben.
Interessanterweise räumten die Lobbyisten ein, dass es im 340 Mrd. Forint starken
Arzneibudget durchaus einen "Spielraum" von bis zu 50 Mrd. Forint gibt, der "leicht mobilisiert werden kann", eine Äußerung, die sich wie ein Gegenangebot der Industrie
anhört und beweist, dass es jahrelange eine Überzahlung zu Lasten von Patienten und Staatshaushalt gegeben haben muss.
Am liebsten XXL: Pharmareferenten bei der Arbeit...
Bleibt die Regierung bei ihren Sparzielen, sieht das regelrecht erpresserische Szenario der
Pharmbranche so aus: jede dritte Apotheke wird schließen, was bedeutet, dass "den Patienten der Zugang" zu notwendigen Medikamenten und Behandlungen erschwert wird; die Szene der
Großhändler wird sich so verkleinern, dass Patienten länger auf Präparate werden warten müssen; die erzeugerseitigen Rabatte für Krankenhäuser würden
reduziert, was sie in eine noch schwierigere wirtschaftliche Position brächte, die Qualität der Gesundheitsversorgung müsste sich so automatisch verschlechtern; Ärzte hätten
wegen des gestiegenen wirtschaftlichen Drucks weniger Zeit für berufliche Fortbildung, die Auswanderung von Ärzten würde beschleunigt, die Wartezeiten für Patienten müssten
sich verlängern, kurz, Wohl und Wehe des ungarischen Gesundheitswesens hängen schlicht an den Umsätzen der Pharmabranche, daher solle die Regierung ihre Pläne zurückziehen
und in eine komplexere und "nachhaltige Gesundheitsreform" einbinden.
Diese steht tatsächlich aus, denn die Abwanderung von Ärzten und anderem Gesundheitspersonal wird nicht
aufgehoben, wenn die nicht bald mehr verdienen und bessere Arbeitsbedingungen erhalten. Die Einsparungen aus dem Medikamentenfonds sind dafür allerdings nicht
vorgesehen, sondern sollen das allgemeine Sparziel des Staatshaushaltes unterstützen. Ob die Pharmalobby bei der Ausarbeitung einer Reform nach dieser Meldung jedoch ein
Ansprechpartner für die Regierung sein wird, darf mit Recht und zu Recht verneint werden.
red.
Minimalinvasiv - 12. April 2011
Auch die Pharmabranche in Ungarn soll Krisensteuern zahlen
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