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(c) Pester Lloyd / 21 - 2011  POLITIK 23.05.2011

 

Diktator auf Citytrip

Während in Georgien das Volk tobt, lässt sich Saakaschwili in Ungarn hofieren

Der Mann hat Nerven. Während in Georgien seit Tagen Menschenmassen seine Ablösung fordern, eine "Revolution" initiieren wollen und seine Sicherheitskräfte Oppositionelle niederknüppeln, hält der georgische Präsident Michail Saakaschwili Vorträge über den Freiheitskampf gegen Russland - in Budapest. Irgendwie ist es aber auch bezeichnend, dass ausgerechnet Ungarn den Außenseiter aus Tbilisi in die offenen Arme nimmt.

Pál Schmitt und Michail Saakaschwili auf der Terrasse
des präsidialen Amtssitzes im Budaer Burgviertel

Am Montag traf der vom Westen einst zum Revolutionär erhobene Günstling, später durch seine kriegerischen Handlungen und irrationalen Auftritte aber eher zur Last gewordene Saakaschwili in Ungarn zu einem offiziellen Besuch ein. Er traf mit Wirtschafts- und Finanzminister György Matolcsy zusammen, um über den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu sprechen, sprach mit Parlamentssprecher László Kövér angeblich über Demokratie und Parlamentarismus, unterstrich mit Budapests OB István Tarlós die Städtepartnerschaft zwischen Budapest und Tbilissi und sonnte sich mit Präsident Pál Schmitt auf der Terrasse des Sándor Palais. Am Nachmittag gab es ein Treffen mit Ministerpräsident Viktor Orbán, bei dem es vornehmlich um Energiefragen und die “östliche Partnerschaft” der EU gegangen sein soll.

Der georgische Gast mit Premier Orbán am Montagnachmittag in Budapest.
Fotos: Miniszterelnöki Hivatal (2), MTI (1,3), RIA NOVOSTI (4)

In Kútvölgyi, einem grünen Vorort von Budapest, enthüllte man gemeinsam die Statue des mittelalterlichen Dichters Schota Rustaweli (1172-1216), berühmt für seine Nationalepos "Der Recke im Tigerfell" und benannte eine Straße nach ihm. Dabei ließ Saakaschwili eine seiner berüchtigten Ansprachen vom Stapel, bei denen er jedoch nur wie beiläufig auf die massiven Demonstrationen in seiner Heimat einging. Er sprach von "Angriffen fremder Mächte" auf sein Land, Versuche, die Unabhängigkeit Georgiens zu beenden, die aber zum Scheitern verurteilt sein müssen. Er schlug eine waghalsige Brücke von Rustaweli zum ungarischen Dichter Sándor Petöfi, der sich für Ungarn im Kampf gegen Russland aufopferte, ebenso wie das georgische Volk heute gegen die Beherrschung durch Russland kämpft, aber, im Unterschied zu den Ungarn noch nicht ganz am Ziel angekommen ist.

Mihály Szakasvili und László Kövér, Parlamentspräsident

Präsident Pál Schmitt, selbst für jeden noch so abenteuerlichen Ausritt in die Historie zu begeistern, sprach von einer Freundschaft zwischen den Völkern, die durch starke historische und kulturelle Bande gefestigt sei. So hätten beide Länder bereits im Mittelalter "Kontakt" miteinander gehabt, bei den Kreuzzügen sei man gemeinsam marschiert, in Siebenbürgen habe man Seit´an Seit´gegen die Osmanen gekämpft, der Antihabsburgheld Rákóczi suchte das Bündnis mit Georgien, Verwandte von Lajos Kossuth seien nach Georgien emigriert, so Schmitt. Nicht zuletzt hat der Maler Mihály Zichy einige Jahre in Tiflis verbracht. Schon Anfang des Monats kam der Tifliser Bürgermeister Gigi Ugulava nach Budapest um einen Kooperationsvertrag mit Budapest zu schließen, der einen Austausch bei Stadtplanung, Umweltschutz, Bildung, Kultur umfassen soll, konkrete Projekte wurden dabei jedoch noch nicht bekannt.

Wenn Saakaschwili zurück in die Heimat reist, erwarten ihn zornige Bürger, die für den 25. Mai zum "Tag des Zorns", nach Vorbild der Revolten in Arabien aufriefen und klar machten, dass sie keineswegs weichen werden, bis ihre Forderungen nach Neuwahlen, demokratischer Teilhabe und fairen Wahlen sowie gerechter Sendezeit im Staatsfernsehen erfüllt sind. Am Mittwoch will ein Ex-Innenminister Georgiens, der dort per Haftbefehl gesucht wird, den Oppositionellen anschließen. In Batumi haben am Samstag Spezialkräfte des Innenministeriums wieder Demonstranten niedergeknüppelt, am Sonntag kam es zu einigen Zusammenstößen auch in der Hauptstadt, das Gros der Kundgebungen blieb jedoch friedlich.

Demonstrant in Tbilisi “Misha must leave”. Das tat er, aber nur für einen Kurztrip nach Budapest.
Es ist zu fürchten, dass er wiederkehrt.

Was die ungarische Staatsspitze geritten hat, trotz (oder gerade wegen?) der aktuellen Ereignisse in Georgien am sonnigen Besuchsprogramm festzuhalten, bleibt im Nebel der dortigen Diplomatie. Immerhin ist es die Regierungspartei Fidesz, die mit empörter Vehemenz darauf hinweist, wie sehr das Demonstrationsrecht in Ungarn 2006 durch ausgeflippte Polizei und demokratiefeindliche Sozialisten eingeschränkt worden ist. Zu den Knüppeleinlagen und Verhaftungen in Tbilisi kam aber kein Wort.

Die EU ist besonders bei Menschenrechtsverstößen in Georgien und Aserbaidshan derzeit sehr leise, braucht man doch genau diese beiden Länder für den Nabucco - Gastransit zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer, wenn man sowohl Russland als auch Iran umgehen will, was man für grundsätzlich erstrebenswert hält (ein Klick auf die Karte verdeutlicht das strategische Problem). Aserbaidshan ließ man den Eurovision Song Contest gewinnen, bei Georgien muss Ungarn ran, als Strafe für das Mediengesetz vielleicht. Ein Politologe stellte in einem Pressebeitrag heute fest, dass die Orbán-Regierung in Europa eigentlich nur noch Berlusconi als Verbündeten hat. Nun hat es also noch einen außerhalb Europas.

red.
 

 

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