(c) Pester Lloyd / 24 - 2011
POLITIK 16.06.2011
In den Kerker mit ihnen...
Willkürjustiz: Regierung in Ungarn überschreitet wieder rote Linie
Als Teil des "Krieges gegen Korruption" bezeichnete das Fidesz ihre jetzt dem Parlament
gemachten Vorschläge zur "Beschleunigung und Effektivierung" von Strafverfahren. Die Rechte von Verteidigern und Verhafteten werden auf das Niveau von Bananrepubliken
abgesenkt, einer politisch motivierten Willkürjustiz werden die Tore weit geöffnet. Wer das Ziel dieser Aktionen ist, wird offen ausgesprochen: der politische Gegner.
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Als Teil des "Krieges gegen Korruption" bezeichnete der Fidesz-Abgeordnete und gleichzeitig
Bürgermeister von Székesfehérvár, András Cser-Palkovics, die jetzt dem Parlament gemachten
Vorschläge zur "Beschleunigung und Effektivierung" von Strafverfahren. Dazu bedarf es neuer,
effektiverer Instrumente, erklärte der Politiker auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Er ärgert sich darüber, dass sich die "hunderten Milliarden-Betrüger hinter Prozessen verstecken,
die fünf, acht oder sogar zehn Jahre dauern." Was bis dahin logisch und vernünftig klingt, jeder
Betroffene kennt die quälend langen Prozeduren an ungarischen Gerichten, enthält im Detail jedoch einige Maßnahmen, die Ungarn an den Rand der Bananrepublik bringen, so sieht es nicht
nur die politische Opposition und das Helsinki Komitee für Menschenrechte, so sehen es auch sozialistischer Ideen unverdächtige Rechtsgelehrte des Landes, darunter ehemalige
Verfassungsrichter.
Dávid Dorosz, Vizechef der LMP zeigt auf, dass die geplanten Maßnahmen, wie die
Verlängerung der vorläufigen Verhaftung von 72 auf 120 Stunden (5 Tage!) bis die Vorführung vor einen Richter, sodann die Anordnung von U-Haft oder Freilassung zu erfolgen
hat, gegen den Geist der Verfassung und die Menschenrechte verstoßen. Auch könne es nicht sein, dass die Regierungspartei in einem Gesetz ernsthaft festschreiben wolle, Anwälten den
Kontakt zu verhafteten Mandanten 48 Stunden lang zu verwehren. Außerdem könnten Richter bzw. Staatsanwalt Beweise oder Verdachtsmomente, die zur Verhaftung geführt
haben, gegenüber Verhafteten und deren Anwälten nach Gutdünken zurückhalten, aus "prozesstaktischen Gründen", wie es heißt. Alle drei Maßnahmen bewegen sich klar außerhalb
der Regeln von Rechtsstaaten und öffnen der Willkür Tür und Tor.
Die Vorschläge wurden unterstützt und ausgearbeitet vom
Justizminister der ersten Orbán-Regierung, István Balsai (Foto), der vom Fidesz gerade als einer der neuen Kandidaten für das aufgestockte und zu verjüngende
Verfassungsgericht vorgeschlagen und damit so gut wie
gewählt wurde. Man kann sich in etwa ausmalen, wie Klagen beschieden werden, wenn das Verfassungsgericht einmal bereinigt sein wird. Sowohl er als auch
Cser-Palkovics relativierten, dass die Anwendung der obigen Regeln nur "herausragende Straftaten", darunter Missbrauch öffentlicher Gelder,
Korruption im Amt etc. betrifft. (Mord, Sexualdelikte etc. nannten sie nicht) Gerichte sollen weiterreichende Vollmachten bei der Bearbeitung bekommen, so könnten sie z.B. selbst die
Fälle neu gewichten und reihen, um "öffentliches Interesse" sichtbar zu machen und solche Fälle schneller abzuurteilen. Bedenklich hier: nicht die Richter, sondern
die Staatsanwälte sollen dann festlegen können, welche Fälle wann behandelt werden. Der ungarische Oberstaatsanwalt ist ein Freund und alter Kampfgefährte von Premier Orbán.
Die Protagonisten der Gesetzesänderung ließen in ihren Statements auch keinen Zweifel daran, wer das Ziel ihrer
Aktion ist und wen sie bald öffentlichkeitswirksam 120 Stunden in vorläufigem Gewahrsam schwitzen sehen wollen: Die "herausragenden Fälle", bei denen die
Prozessverschärfung in Anwendung gelangen könnten, sind der "Missbrauch öffentlicher Ämter, speziell durch Bürgermeister, lokale oder nationale Abgeordnete sowie
Regierungsmitglieder, Insolvenzverschleppung und andere Wirtschaftsverbrechen, wie - zum Beispiel - das umstrittene Casino-Projekt im westungarischen Sukoró." so
Cser-Palkovics (Foto), der dieses Beispiel nicht so zufällig wählte.
In diesem Fall nämlich wird bald Ex-Premier Gyurcsány vor Gericht gestellt werden, das Verfahren zur Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität läuft bereits. Ihm werden
Amtsmissbrauch und Falschaussage vorgeworfen, - bei aller denkbaren Gesamtschuld Gyurcsánys für die Misere Ungarns, handelt es sich dabei jedoch um einen rein politischen Prozess, zudem
ist die Vorverurteilung durch die Anmerkung Cser-Palkovics` selbst eine Straftat, zumindest in Rechtsstaaten, in Ungarn ist Präjudizierung politisches Grundhanderk. Auch gegen
Demonstranten, derer es wöchentlich mehr in Ungarn gibt, lässt sich ein solches Gesetz einsetzen, auf diese Weise kann man Unerbetene problemlos fast eine Woche aus dem Verkehr ziehen.
Die Tendenzen dieser Polit- oder Siegerjustiz sind nicht neu, spätestens seit der Einführung eines persönlichen Sonderermittlers, wörtlich "Abrechnungsbeauftragten" des
Ministerpräsidenten als judikative Parallellstruktur mit eigenen Regeln und Befugnissen und ohne
Rücksicht auf Verfahrensrecht und Unschuldsvermutungen, sind Zweifel an der rechtsstaatlichen Gesinnung dieser Regierung angebracht gewesen, nun, mit der in der Verfassung
festgeschriebenen Entmachtung und Entwürdigung des Verfassungsgerichtes, sind sie bestätigt.
Dass das Fidesz-KDNP mit zweierlei Maß misst, konnte man auch an Beispielen an den eigenen Reihen erkennen, bei denen gesetzeswidrige Spesendoppelabrechnungen "intern" abgehandelt wurden.
Das ungarische Helsinki Komitee, eine in der Schweiz angesiedelte Menschenrechtsorganisation
spricht davon, dass die Pläne eindeutig den Menschenrechten und europäischen Regeln zuwiderlaufen. Es sei erschreckend, dass Politiker ohne Absprache mit Experten solche
Vorschläge ins Parlament einbringen, ohne sie auch nur auf ihre Konformität mit international anerkannten Grundrechten zu prüfen, wenn ihnen schon selbst das Rechts- bzw.
Unrechtsempfinden abgeht. Vor allem die Möglichkeit der Verweigerung zum Zugang von Beweismitteln und Unterlagen der Anklage für die Verteidiger und die "Isolation" von
Verhafteten von Rechtsberatung wird als "Verletzung internationaler Verpflichtungen", mithin als einer Demokratie und einem Rechtsstaat als unwürdig bezeichnet.
red.
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