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(c) Pester Lloyd / 29 - 2011  WIRTSCHAFT 18.07.2011

 

VEB Strom und Gas

Ungarn will zum Big Player in der Energiewirtschaft werden

Der staatliche Stromkonzern MVM will das Gasgeschäft von E.ON in Ungarn übernehmen. Die Orbán-Regierung setzt so ihre Ankündigung um, der Staat möge in strategisch wichtigen Branchen der "Nationalwirtschaft" in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen. Nach dem Kauf von fast einem Viertel der Aktien des Mineralölkonzerns MOL, will man mit MVM auch "in die Region" expandieren. Aber was soll das bringen? Im Kampf um mehr "nationale" Unabhängigkeit könnte sich die Regierung teuer verzetteln.

Wer dreht am Gashahn? Selbst wenn der Gashandel von E.ON an MVM geht,
letztlich sitzen immer noch die Russen am längeren Hebel.

Nach verlässlichen Meldungen aus verschiedenen Quellen, verhandeln die MVM-Manager mit dem deutschen E.ON- Konzern nurmehr über Feinheiten hinsichtlich einer Übernahme des größten einheimischen Gashändlers E.ON Földgáz Trade, samt dessen Importverträge sowie der E.ON Földgáz Storage, die die größten Erdgaslager des Landes betreibt. Hauptstreitpunkt bei der geplanten Übernahme der Gassparte von E.ON ist - wie stets - der Preis. Angeblich bot MVM zuletzt 800 Mio. EUR, während die Deutschen wenigstens 1,2 Mrd. EUR sehen wollen, so wird man sich wohl bei rund 1 Mrd. treffen. E.ON bliebe dann immernoch einer der wichtigsten Stromanbieter des Landes, gerade erst hat man in Gönyü das modernste Gas- und Dampfkraftwerk des Landes, eine 400 Mio. EUR-Investition, eingeweiht.

Der Eigentümer wechselt, das Quasi-Monopol bleibt

Doch ins ungarische Gasgeschäft fanden die Deutschen nie so recht hinein, sie hatten Gashandel- und -lagerung erst 2006 von der MOL übernommen, damals stand dahinter die Überlegung, dass der deutsche Großkonzern bei der Aushandlung von langsfristigen Preisspannen im Erdgasbereich durch seine Einkaufspower gegenüber Russland, vor allem Gasprom, bessere Konditionen herausholen könnte. Diese Rechnung ging nur kurz auf, die Gaslieferkrise Anfang 2009, danach die sinkende Nachfrage im Zuge der Wirtschaftskrise sowie die Energiepreismoratorien und die Festpreise der Orbán-Regierung, brachten E.ON mit seinem Gasgeschäft letztlich ebenso Verluste ein wie zuvor der MOL. E.ON erhielt über die Beteiligung allerdings Zugang zu riesigen russischen Gasvorkommen, an denen die MOL herumbohrte, diese könnten nun über die MVM wieder an die MOL gelangen.

Mit ihren presidiktatorischen Maßnahmen hat die Regierung E.ON letztlich sturmreif geschossen, ein Verkauf scheint den Konzernstratgegen das kleinere Übel, ist aber letztlich auch ein Abgesang an ein langfristiges Engagement in Ungarn, offenbar rechnet in der Konzernzentrale niemand mit einer baldigen Rückkehr der Orbán-Regierung zum Mainstream, der die Kunden den Energiekonzernen relativ bereitwillig ausliefert. Das Kapital zieht also weiter, während sich Orbán in seiner Pose als Befreiungstheologe feiern lässt. Letztlich ändert sich zwar der Eigentümer, doch nicht das Quasi-Monopol, daher sollte der Aufschrei der Apostel des Neoliberalismus auch ausbleiben, immerhin konnte man in Europa im Energisektor noch nie von einem freien Markt sprechen.

 

Großkombinat aus MVM und MOL?

Doch wird die Rechnung für Ungarn, für die ungarischen Menschen aufgehen? MVM (Magyar Villamos Művek Zrt.) ist Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken, Stromnetzen, Umspannwerken sowie des einzigen ungarischen Atomkraftwerkes in Paks, das schon heute 42% des verbrauchten Stromes erzeugt und in großem Maßstab ausgebaut werden und letztlich über die Hälfte des Strombedarfs des Landes decken soll. Ausgerechnet der Atomausstieg der Deutschen beflügelte die Ungarn nochmals bei ihren Erweiterungsplänen in Paks, spekuliert man doch darauf, möglicherweise entstehende Lieferlücken durch Stromexporte zu Bargeld machen zu können. Auf welch wackeligen Füßen in punkto Sicherhheit das AKW Paks aber steht, verschweigt man der Öffentlichkeit lieber.

Fidesz-Franktionschef János Lázár sagte vorige Woche, dass man mit MVM einen "wettbewerbsfähigen Mitspieler in Staatshand im Energiesektor aufbauen" will. Dabei sieht er nicht nur "großes Potential auf nationalem Gebiet" sondern "auch in der Region". "Da ist eine Menge Geld zu machen, eine ganze Menge", so der Fraktionschef der Regierungspartei, der für seine markigen Sprüche landesweit bekannt und berüchtigt ist.

MVM ist seit Jahren einer der wenigen Staatsbetriebe der nominell Gewinne abwirft, wenn man einmal die nicht kalkulierbaren Folgekosten für das AKW Paks außer acht lässt. Auch die Minderheitsbeteiligung bei MOL, man hatte ein 21,2%-Paket der russischen Surgutneftegas für knapp 1,9 Mrd. EUR abgekauft sowie weitere rund 2,5% über das beschlagnahmte Vermögen der privaten Rentenversicherungen erlangt, hat strategischen Charakter. (siehe diesen Beitrag). Über Personalien im Vorstand und im Aufsichtsrat (z.B. Zentralbankaufsichtrat Járai) hat der Staat längst die Kontrolle über die strategischen Entscheidungen bei der MOL. Schon die sonst so konzernfreundliche Vorgängerregierung hatte durch eine eigene Lex MOL gegenüber der österreichischen OMV klargestellt, dass man MOL nicht hergeben mag. Seit der MOL-Beteiligung wird darüber spekuliert, dass Ungarn die MVM und MOL zu einem gigantischen Energie"kombinat" vereinen könnte, um so eine Rolle als Big Player auf dem regionalen Energiemarkt zu spielen.

MOL ist mit seinem maßgeblichen Einfluss in Kroatien (INA), in der Slowakei und ein wenig auch in Italien recht gut positioniert, findet Lázár. Die MVM solle als "Vehikel" dienen, um diesen Einfluss auszubauen. Dabei werde der Staat MVM unterstützen, sagte auch der Minister für Nationale Entwicklung, Tamás Fellegi, dessen Budget indes hauptsächlich aus EU-Geldern besteht, wo man die staatliche Protektion von Unternehmen mit Argusaugen beobachtet. Schon der Notrückkauf der Malév (durch die Vorgängerregierung) wurde ja quasi als wettbewerbsverzerrende Subvention gebrandmarkt, weil ohne den Staatsankauf das Unternehmen schlicht Pleite gegangen wäre. Schon motzen verschiedene Investmentbanken und andere Analysten herum, die Kaufwut der ungarischen Regierung könnte deren Plan zur Haushaltssanierung gefährden. Wie die EU reagiert, wenn der ungarische Staat Mittel locker macht um Konkurrenten auf dem Energiemarkt aufzukaufen, kann man sich ausmalen.

Selbstbestimmung mit hohem Preis

Aus eigener Kraft kann die MVM das nämlich kaum, denn der Kauf der E.ON-Anteile würde die Kapitaldecke des Unternehmens angreifen, die bescheidenen, aber stetig fließenden Renditen für den Staatshaushalt würden zunächst ausbleiben, Verluste der Gassparte - die bei der amtlichen Preispolitik und der lahmen Konjunktur unvermeidlich sind - würden sogar weitere Verluste befürchten lassen. Gewinne macht die neue MVM-Gassparte also vor allem, wenn der Staat eine Erhöhung der Gaspreise zuließe, was den Befreiungstheologen vom Fidesz politisch teuer zu stehen käme, - ein Teufelskreis. Die MOL indes braucht ihr Geld vor allem, um die Nord-Süd-Gaspipelines zu diversifizieren, das Flüssiggasgeschäft auszubauen und die Energiesicherheit mit Nabucco und South Stream zu erhöhen (wenn alles gut geht).

Die Verquickung von staatlichen und betriebswirtschaftlichen Interessen führen, das ist jetzt schon erkennbar, zwangsläufig zu Konflikten, die durch die Mitsprache solcher "Experten" wie Lázár und Co. nicht unbedingt geringer werden, so sehr eine höhere Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in der Art und Weise der Energieversorgung den Ungarn auch zu wünschen ist. Durch die steigende Abhängigkeit von der Atomkraft und die stiefmütterliche Behandlung alternativer Energieerzeugung, wird der Sinn einer solchen Unabhängigkeit sowieso in Frage gestellt. Das Energiekonzept des Landes steht, was seine Zukunftsfähigkeit angeht, ohenhin auf dem Kopf und der Preis dafür wird in jedem Falle ein hoher sein.

Dass sich die Regierung im komplexen Spannungsfeld zwischen real-existierender Marktwirtschaft und angestrebter Rückeroberung des Primats der Politik durch seine ideologiebefrachtete Manifestation der eigenen Macht mitunter mächtig verzettelt (hier dazu ein ausführlicher Beitrag), zeigen nicht zuletzt die Irrwitzigkeiten im neuen Arbeitsrecht und das lange Aufsichwartenlassen geeigneter Mittelstandsförderung, die uns ja seit über einem Jahr als Non-plus-Ultra der Gesundung des Landes verkauft wird. Dieser Regierung allerdings den voreiligen Rat zu erteilen, sie möge von Markt und Wirtschaft weitestgehend die Finger lassen, weil die es sich am besten selber richten, wie es vor allem der Westen so gern belehrend tut, hätte nur dann einen Sinn, wenn die "freie" Marktwirtschaft in Ungarn für die Mehrheit wenigstens annähernd so funktioniert hätte wie dort. Hat sie aber nicht.

red. / h.m.

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