(c) Pester Lloyd / 31 - 2011
POLITIK 01.08.2011
Who the fuck is...
Ungarn und eine Kritik aus Amerika
Wieder wagte ein Ausländer Zweifel an der Herrlichkeit der neuen ungarischen Epoche und seiner Protagonisten zu äußern. Mittlerweile sind die Repliken auf solche
auswärtigen Einlassungen von einer bemerkenswert verachtenden Routine geprägt, in Budapest bringt das niemanden mehr aus der Ruhe. Zumal die Herkunft des
Kritikers ihn schon selber richtet: er ist ein Demokrat.
Der stellvertretende Staatssekretär im
US-Außenministerium von Hillary Clinton, Thomas O. Melia (Foto), nicht ganz nebenbei eine gefragte Kapazität auf dem Gebiet von Menschenrechten und Demokratieentwicklung, hat einige
Kritik an der ungarischen Regierung geübt, speziell die Anwendung der Zweidrittelmehrheit als "Einparteinherrschaft" sowie die Verfassung erkannte er als Instrumente,
mit der Fidesz-KDNP demokratische Kontrollmechanismen ausschalte, seine Macht zementiere und künftige Regierungen davon abhalte auf kommende Herausforderungen effektiv zu reagieren.
Melia, Chef der Abteilung für Demokratie, Menschenrechte und internationales
Arbeitsrecht im US State Departement, fasste letzte Woche vor dem Parlamenstkomitee des Repräsentantenhauses für Europa und Eurasien diese Punkte zusammen, die zuvor
schon in europäischen Institutionen besprochen worden waren, auch das Medien- und Kirchengesetz wurden dabei kritisch erwähnt, u.a. auch, dass an Schlüsselstellen
parteitreue Kader platziert worden sind.
Melia meinte, es wäre im Interesse von Demokratie und sozialem Frieden, wenn der
Gesetzgeber "integrierender" agieren würde und die Betroffenen bei der Gesetzesschaffung einbeziehen würde. Außerdem sollte es weniger Kardinalsgesetze
geben, um künftige Regierungen handlungsfähig zu halten. Das Kirchengesetz kritisierte er als Hemmnis für die Religionsfreiheit, denn darin würden 14 Religionsgemeinschaften
privilegiert, während alle anderen einen Registrierungs- und somit Bewertungsprozess durchlaufen müssten. Melia sprach neben den Fakten auch von den negativen
Auswirkungen auf eine "freiheitlichen Atmosphäre" im Lande.
Die Reaktionen des offiziellen Ungarn waren die gleichen, wie sie es seit Anbeginn der
"neuen Ära" sind. Kritik an der Regierung ist ein "Angriff auf das Volk", Brüssel ist das
"neue Moskau", der Rest sind Kampagnen frustrierter Sozis und verwöhnter Auslandsungarn. Kritische Berichte werden von den willfährigen Medien so widergegeben,
dass die Kritik sich in Luft auflöst. Diesmal hieß es von Orbán-Sprecher Szijjartó, dass "niemand in der Position ist, die ungarische Regierung zu kritisieren, die ihr Mandat von
den Wählern hat, um das Land wieder aufzubauen."
Zoltán Kovács, der für die "Regierungskommunikation" zuständige Staatssekretär
ergänzte, dass "Melias Anmerkungen" nur durch "Mangel an Information und böse Absichten" zustande kommen konnten. Wie könne er von einer Einparteien-Regierung
sprechen, wo doch das Fidesz in einer Allianz mit der KDNP agiere. Desweiteren sei die
Verfassung "perfekt auf Linie mit europäischen Normen", sogar die "Venedig-Kommission"
habe festgestellt, dass die Verfassung "ein Grundgesetz ist, dass eine demokratische Ordnung, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte ermöglicht." (hier steht, was die
Venedig-Kommission tatsächlich feststellte). Die Europäische Kommission habe zudem "nach ein paar kleineren Anpassungen" das Mediengesetz als "im Einklang mit
europäischem Recht" akzeptiert, das neue Kirchenrecht hingegen sei sowieso außerhalb jeder Kritik, denn jeder könne seiner Religion frei nachkommen, man fördere lediglich
die "historischen Kirchen" Ungarns bei ihrer karitativen Arbeit.
Orbán-Sprecher Szijjártó wiederum setzte dem Lobgesang die Krone auf, in dem er
behauptete, dass "die neue Verfassung aus der umfangreichsten nationalen Konsultation, die in Ungarn jemals stattgefunden hat", hervorgegangen sei. "Demokratischer und
transparenter" kann man ein Grundgesetz nicht schaffen. Auf den wirklichen Punkt brachte die ungarische Haltung gegenüber ausländischer Kritik indes der
Fidesz-EU-Abgeordnete Tamás Deutsch, der in der ersten Orbán-Regierung den Jugend- und Sportminister darstellte. Ausgerechnet er, von den eigenen Leuten in die politische
Bedeutungslosigkei wegdelegiert, twitterte öffentlich: "Who the fuck ist Thomas Melia..." - Er ist ein Demokrat, was im offiziellen Ungarn heute offenbar ein Schimpfwort ist,
dabei war Melia einer der Politiker der den Jungdemokraten um Orbán 1989 auf dem Weg zur Demokratie zur Seite stand, tatkräftiger als mancher seiner heutigen Verbündeten.
red.
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