(c) Pester Lloyd / 35 - 2011
POLITIK 02.09.2011
Bildung, selbsttragend
Orbán wird in Ungarn Steuern erhöhen, Reformen verschieben und die Bildung selbst in die Hand nehmen
Tabak-, Alkohol- und Glücksspielsteuern sollen das Budgetziel dieses Jahres retten, auch dürfte die Umsetzung der Steuerreform (Superbrutto) verschoben werden.
Erste Aussichten auf die Bildungsreform gab Orbán auch, die sich in Zukunft selbst tragen soll. Wie, sagte er noch nicht, war er doch wie immer sehr eloquent, aber
genauso unverbindlich. Die Schließung einiger Einrichtungen ist aber fix.
Der ungarische Regierungschef nutzt den Spätsommer für eine Reihe medialer Auftritte. Nach einem langen Radiogespräch beim Staatsfunk am Dienstag, konkretisierte er am Donnerstag in einem Beitrag des ungarischen Privatsenders TV2 (ProSieben-Sat1-Gruppe)
seine Vorstellungen, wie er das durch den ausbleibenden Aufschwung entstandende zusätzliche Budgetloch von ca. 100 Mrd. Forint (ca. 370 Mio. EUR) zu schließen gedenkt.
"Ein oder zwei Steuern werden angehoben werden", denn "die öffentlichen Ausgaben
können nicht weiter eingeschränkt werden", wir haben hier schon "eine kritische Grenze" erreicht, so der Regierungschef. Er wird wohl die Steuern auf Glücksspiel, Alkohol und
Tabak anheben, sagte er beiläufig. Das neue Budgetloch ist durch Überschätzung des Wachstumspotentials und die voreilige Einführung der Flat tax enstanden.
Außerdem müsste man einige für dieses Jahr geplante, entlastende Steuermaßnahmen
"womöglich auf die Jahre 2012 oder 2013 verschieben", Details daszu gibt es nach der Kabinettssitzung am kommenden Mittwoch. "Staatliche Arbeitsprogramme, Zuzahlungen
für neue Arbeitsplätze beim Mittelstand und das Schutzprogramm gegen den Massenausfall von Hypothekenkrediten werden nicht in Frage gestellt", so Orbán. Zu den neuen
"Kardianalsgesetzen", die im Herbst anstehen, sagte er nur so viel, dass das Gesundheits-, das Renten-, das Bildungssystem sowie die Kommunalverwaltungen zukünftig
"selbsttragend" arbeiten müssten. Hier darf man sich also auf interessante Konstellationen einrichten.
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Orbán beklagte, dass es heute zu wenige Universitätsstudenten in Ungarn gibt (seine
Bildungsstaatssekretärin findet, im Gegenteil, es seien viel zu viele), die zudem oft noch das Falsche lernen (hier sind sie sich wieder einig). "Die Bildung muss auf Linie mit den
Anforderungen des Arbeitsmarktes gebracht werden und das in einer Art, dass kein Absolvent verlockt wird, das Land zu verlassen." (Hier wird bereits seit einiger Zeit laut
über vertragliche Bindungen und auch monetäre Sanktionen nachgedacht). Während seine
Bildungsministerin schon recht forsch über die Schließung einer Reihe von Hochschulen gesprochen hat ("nicht mehr haltbar"), drückte sich Orbán so aus, dass man selbst keine
Einrichtungen schließen werde, jedoch diese auswählen wird, die man weiterbetreiben möchte, die anderen würden dann in die Privatwirtschaft entlassen, was bei den
Dinosauriern einer Schließung gleichkäme.
Orbáns Statements versuchten einen Brückenschlag zwischen den radikalen, teils kuriosen
Ansichten der Staatssekretärin Rózsa Hoffman und jenen des Fidesz-Bildungsprechers Zoltán Pokorni, die sich desöfteren auch öffentlich in die Haare gerieten. Hoffmann bot sogar schon ihren Rücktritt an, bekam aber von Orbán das Vertrauen ausgesprochen.
Offenbar will der Regierungschef dieses Konfliktpotential nun entschärfen, in dem er sich der Sache selbst annimmt. Während Pokorni ein konservatives, bildungsbürgerliches, aber
international vergleichbares Modell vertritt, verfolgt Hoffmann einen rein ständischen Ansatz, der die höhere Bildung nur einer kleinen Kaste zugesteht. Sie will das
Schulabgangsalter senken, zu viele Studenten hält sie für unnötigen Luxus, zumal in "produktionsfernen Studienrichtungen". Besonders spaßig und "praxisnah" war ihr
Vorschlag, Englisch nicht mehr als erste Fremdsprache an den Schulen zu unterrichten, da sich die Ungarn damit ohnehin schwer tun. Sie sollten lieber erst eine romanische Sprache
lernen, latein sowieso. Hoffmann ist ehemalige Französisch- und Russischlehrerin, ihre Englischkentnisse werden als rudimentär beschrieben. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen
in Ungarn sprechen überhaupt keine Fremdsprache, der schlechteste Wert in ganz Europa.
Orbán betonte in dem Fernsehinterview auch kurz die außenpolitische Agenda und
wiederholte, dass Ungarn "neue starke Partner" im Osten finden muss, "z.B bei den arabischen Ländern, sowie Israel, China, Indien und Russland." Staaten, die starkes
Wachstum und sinkende Verschuldung aufweisen, so wie es auch Ungarn wolle. Demnächst reist Orbán mit einer Wirtschaftsdelegation nach Saudi-Arabien.
red., Fotos: TV2
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