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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  POLITIK 07.09.2011

 

Orbáns Lügenrede

WikiLeaks "enthüllt" die Verkommenheit der Politik in Ungarn

Die neue Serie von Telegrammen US-amerikanischer Diplomaten, die über die Internet-Plattform WikiLeaks an die Öffentlichkeit gelangten, bringen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in eine peinliche Situation und rücken ihn näher an seinen Vorgänger als ihm lieb sein dürfte. Alles nur Lug, Trug und Größenwahn in der ungarischen Politik? Für diese Fesstellung hätte es WikiLeaks nicht mehr gebraucht. Auch ein neuer interner Spitzelskandal bewegt bzw. amüsiert die Öffentlichkeit.

Blamiert. Orbán stammelt sich aus seiner Lügenwelt. Die WikiLeaks-Dokumente rücken ihn moralisch immer näher an seinen unmoarlischen Vorgänger.

In einer der Depeschen aus der Zeit des Wahlkampfes von 2006 äußert sich Orbán gegenüber EU-Diplomaten recht unmissverständlich: "Achten Sie nicht darauf, was ich sage um gewählt zu werden." - was nicht weit von dem berühmt gewordenen "Wir haben die Menschen systematisch belogen, um die Wahl zu gewinnen" seines Vorgängers Ferenc Gyurcsány ist, dessen "Lügenrede von Őszöd" den Anfang des politischen Niedergangs der MSZP markierte und auch die tiefe, feindselige Spaltung des Landes mit allen radikalen und gewalttätigen Begleiterscheinungen verschärfte.

Die US-Diplomaten formulierten 2006 simpel, dass Orbán Wahlversprechen mache, die nicht mit den Plänen seiner Partei übereinstimmen. US-Botschafterin April Foley berichtete später, Orbán habe ihr angetragen "zu ignorieren, was ich so von mir gebe." Er werde den Ungarn halt erklären, dass er die Nation wieder groß mache. Ein weiteres Telegramm zitiert Orbán mit den Worten: "Wenn man eine Gelegenheit bekommt, seinen politischen Gegner zu vernichten, soll man nicht darüber nachdenken, sondern es tun."

Orbán freilich interpretiert diese Bloßstellungen auf seine Weise und sagte, er würde auch heute ausländischen Diplomaten empfehlen, seinen Worten nicht zu glauben, "sondern nur, auf meine Taten zu achten, die sind es, die zählen", so Orbán am Dienstagabend nach einer Kabinettsklausur vor Medienvertretern. Die Wahl 2006 hatten er und sein Fidesz übrigens recht deutlich verloren. Orbán-Sprecher Péter Szijjártó - berühmt für seine letztgültigen Einordnungen - meinte, dass es sich bei den Telegrammen "nur um ein weiteres Kapitel der US-Unterhaltungsindustrie handelt, auf das man nicht weiter eingehen werde." Schon im Vorjahr hatten US-Telegramme über den "unnützen Einsatz" der Ungarn in Afghanistan die politische Führung brüskiert.

Die Aufregung und / oder Befriedigung bei der Opposition über diese Enthüllung ist entsprechend. Die Sozialisten forderten umgehend eine "Entschuldigung für die Lügen" und die " vorsetzliche Irreführung der Wähler" (die Gyurcsány übrigens bis heute schuldig blieb) und fragten, welchen seiner Äußerungen man nun denn noch trauen könnte, was z.B. an dem Versprechen dran sei, eine Million neue Arbeitsplätze binnen zehn Jahren zu schaffen oder ob dies auch nur eine Lüge war, um gewählt zu werden? Die grün-liberale LMP spricht von einem schlimmen Verlust an Glaubwürdigkeit, Orbán habe zwei Gesichter. Ein Jobbik-Vertreter wies darauf hin, dass nun auch die Nationalkonservativen ihre "Lügenrede" haben, so wie die von Guyrcsány, Jobbik war sich schon immer klar darüber, dass die beiden Parteien nur zwei Seiten derselben Medaille seien und Jobbik somit die einzige echte Vertretung des Volkes.

Die aktuellsten Telegramme bei WikiLeaks zeichnen insgesamt ein Bild der Erbärmlichkeit der ungarischen Eliten, bzw. bestätigen diese, denn darüber herrschte bereits vorher weitgehende Einigkeit in der Bevölkerung. Geprägt ist das Innenleben des Landes von Größenwahn (so brüstete sich MOL-Chef Hernádi gegenüber US-Diplomaten damit, dass ohne ihn im Lande energiepolitisch gar nichts laufe), von Heuchelei (Orbán bekämpfte in seiner Oppositionszeit offiziell die Beteiligung Ungarns am russischen South-Stream-Projekt, um es intern doch weiterzubetreiben), Dilletantismus auf allen Seiten und innerparteilichen Intrigen sowie übler Nachrede Jeder gegen Jeden.

Hinsichtlich der später verbotenen "Ungarischen Garde", kabelte ein US-Diplomat schlicht nach Washington, dass eine "wachsende Horde gefährlicher Ungarn auf dem Vormarsch" sei. Nach Orbáns Wahlniederlage spekulierten die Amerikaner, ob eventuell Tibor Navracsics (heute Justizminister), Mihály Varga (heute Berater von Orbán) oder Lajos Kosa (Bürgermeister von Debrecen) neue Spitzenkandidaten an Orbáns Stelle werden könnte. Man zeigte sich 2008 verwundert, dass sich die großen Parteien derart kompromisslos bekämpften, während das Land immer weiter dem wirtschaftlichen Abgrund näherte. Nun, diese Erfahrung konnten die USA 2011 ja nachholen.

Weitere Indiskretionen stammen von der Heimatfront: Ovi und Schnauzbart. So lauteten die Decknamen für Premier Orbán und Parlamentspräsident Kövér in den Geheimakten eines früheren, hochrangigen Mitarbeiters des Inlandsgeheimdienstes. Sándor Laborc, früher einmal Chef des Nationalen Sicherheitsrates, hat sich offensichtlich unrechtmäßig private Dossiers über die beiden damaligen Oppositionspolitiker angelegt, was auf politischen Missbrauch des Amtes hinweist.

Jedenfalls übergab der Militärstaatsanwalt die Sache nun an den Verfassungsschutz, Hauptbeweismittel ist ein Laptop, der nach Abgang von Laborc im Amt verblieben war. Gegen den Ex-Geheimdienstler und zwei seiner früheren Kollegen, ebenfalls Amtsleiter, laufen noch andere Verfahren wegen Missbrauch ihrer Position für gewerbliche oder politische Zwecke sowie "Hochverrats". Die Inhalte der Dossiers bleiben unter Verschluss, leider. Das Unterhaltungspotential wäre sicher beträchtlich. Zu den anhängigen Fällen der ehemaligen Geheimdienstler, die von der Opposition als politisch motiviert bezeichnet werden, hier mehr: http://www.pesterlloyd.net/2011_27/27spionage/27spionage.html

red.

 

 


 

 

 

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