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(c) Pester Lloyd / 40 - 2011  POLITIK 03.10.2011

 

Provinzfürsten an der Leine

Ungarische Regierung kauft Komitate auf

Für viele waren es im zentralistisch veranlagten Ungarn ohnehin unnötige Parallelstrukturen, die Komitatsversammlungen, samt ihrer machtlosen Regierungen, Wasserköpfe und etlichen Unterstrukturen. Nun nutzt Premier Orbán die hohen Schulden der Komitate, um ihnen gänzlich den Garaus zu machen und seine direkte Macht zu erhöhen. Ab 1. Januar werden sämtliche Komitats-Institutionen in die Hohheit der Zentralregierung überstellt.

Legislative Vollmachten hatten sie ohnehin kaum, nur viele Ämter und Stempel, die Bürger und Unternehmer zur Weißglut bringen. Jeder, der einen Brief mit dem Megyei etc. (Komitats-) auf dem Kopf bekam, wusste, das bringt nur Ärger und Kosten. Die politischen Direktiven und das Geld kamen seit eh und je aus Budapest, die Umsetzung geschah auf kommunaler Ebene, wieder mit eigenen Strukturen. Wozu also die Komitate, wenn man ohnehin keinen Föderalismus hat? Premier Orbán nutzt die hohen Schulden der "Länder", um ihnen gänzlich den Garaus zu machen und seine direkte Macht zu erhöhen.

Ab 1. Januar werden sämtliche Komitats-Institutionen in die Hohheit der Zentralregierung überstellt, wofür diese die angehäuften Schulden von 180 Mrd. Forint (rund 610 Mio. EUR) "übernimmt". Sämtliche Angestellten der 19 Komitatsverwaltungen sowie alle dort verwalteten Einrichtungen, vornehmlich höhere Bildungseinrichtungen, aber auch Krankenhäuser, Bibliotheken, Theater, Kulturhäuser werden dann ohne Umweg aus dem zentralen Budget bezahlt - oder in Zukunft auch nicht mehr alle. Denn es ist absehbar, dass diese Institutionen nicht nur am Schulden machen gehindert, sondern auch im “nationalen Interesse” sortiert und “motiviert” werden wollen.

Dieser "Kompromiss", wie das Premier Orbán nennt, war "nach sechsmonatigen" Gesprächen auch deshalb möglich, weil alle Komitatsversammlungen längst Fidesz-dominiert sind und ihnen "die Schulden bis zum Hals standen", wie man ganz direkt zugibt. Zwar herrscht bei den betroffenen durchaus ein grundsätzliches Interesse an lokalen Hausmachten, doch soweit geht die Macht der Provinzfürsten nicht, als dass sie einem Orbán widerstehen könnten.

Die Überschreibung der Verbindlichkeiten bei den Banken werde mit diesen noch besprochen, Orbán will verhindern, dass "dem Kreditsystem" weitere Bürden auferlegt werden, die die "Finanzierung der Wirtschaft" gefährden. Es wird also versucht werden, die Schmerzgrenze der Banken für eine kleine Abschreibung bei den Schuldnern anlässlich dieses Schuldnerwechsels auszutesten, denn immerhin "könnte man bei der Vertretung der Schulden aller 19 Komitate zusammen, bessere Konditionen erwirken als jedes Komitat einzeln". Er will also einen Mengenrabatt.

Wer allerdings gehofft haben sollte, mit der Machtübernahme durch den Zentralstaat fallen auch lästige, überflüssige und daher korruptionsanfällige Doppelstrukturen weg - Stichwort: Genehmigungswesen, der muss sich vorerst getäuscht sehen. Es geht in erster Linie darum, die Anhäufung neuer Schulden zu verhindern, erst in einem zweiten Schritt könnten den dann dem Ministerium für Justiz und Öffentliche Verwaltung unterworfenen Strukturen auch Reformen samt Personalabbau blühen. Im Zuge des neuen Wahlrechts, könnte sogar die Komitatsstruktur selbst wackeln, aber ganz so weit ist man noch nicht.

Lajos Szűcs, der Chef der Vereinigung der Komitatsverwaltungen (ein Bundesrat ohne Stimmrecht) sieht noch Gesprächsbedarf "in den Details", aber seiner neuer Chef Orbán, ist, wie immer, schon einen Schritt weiter, die Gesetze werden im Herbst verabschiedet und "einen vor zwanzig Jahren, nach der Wende begangenen Fehler beheben". Was anderswo Aufstände auslösen und an die Grundfesten der Staatsgründung rütteln würde, geht in Ungarn heute Ratz-Fatz. Was nicht funktioniert, wird nicht verbessert, sondern abgeschafft.

Die Schulden der Komitate machen mit ihren 180 Mrd. Forint übrigens nur einen Bruchteil der kommunalen Schulden von 1.200 Mrd. Forint aus, wie aus einem Zahlenwerk der Nationalbank hervorgeht. Es wäre also aus Orbáns Sichtweise heraus durchaus angebracht, auch darüber nachzudenken, die Bürgermeister des Landes direkt der Zentralverwaltung zu unterstellen. Föderalismus, Mitbestimmung, Demokratie, alles Nachwende-Fehler, die korrigiert gehören?

red.

 

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