(c) Pester Lloyd / 41 - 2011 WIRTSCHAFT 12.10.2011
Trickser und Versteher
Wirtschaftsnachrichten aus Ungarn
Ungarn 2012 immernoch im Überlebensmodus - Banken verteidigen Zinserhöhungen - Volksbank wegen Trickserei verurteilt - Regierung lockert Kartellverbot für
“verschiedene Vorgänge" - Staatsbahn muss sich Geld am freien Markt suchen - MVM übernimmt modernisiertes Schmuddel-Kraftwerk - Debrecen kann endlich neue
Straßenbahnen kaufen - Miskolc renoviert Freibäder
Ganz alte und neue Straßenbahn in Debrecen, Meldung dazu am Ende
Fidesz-Chef sieht Land auch 2012 im Überlebensmodus
Fidesz-Fraktionschef Lázár, ja, täglich grüßt das Murmeltier, stellte am Mittwochmorgen
in einer Radiosendung klar, dass die Kreditablöse "bei weitem nicht die letzte Hilfsmaßnahme für Fremdwährungsschuldner" bleiben wird, immerhin machten die
gesamten, so riskanten Fremdwährungskredite allein bei Privaten rund 20% des BIP aus.
Lázár betonte, dass die Banken nicht glauben sollen, sie könnten noch einmal
"unverantwortliche Kredite" ausgeben und dann "eine Million Leute an der Straße liegen
lassen". Überhaupt sei das nächste Jahr auch staatlicherseit nur darauf ausgerichtet, "zu überleben". Gelingt das, werden die Menschen auch messbare Ergebnisse sehen. Er sagte
nicht, was passiert, wenn es nicht gelingt. 2012 wäre somit das vierte Jahr in Folge, in denen die Menschen auf das kommende als das Aufschwung bringende vertröstet werden.
Ungarische Banker haben die heftig kritisierte Anhebung der Zinsen für Forintkredite als
"markttechnisch" fundiert verteidigt. Vertreter der Regierungspartei hatten ihnen vorgeworfen, sich die Kosten für die Forex-Kreditablöse zum gesetzlichen Vorzugskurs auf
diese Weise von den Kunden wiederholen zu wollen und eine dahingehende Ermittlung der Finanzaufsicht gefordert. Fidesz-Fraktionschef Lázár vermutet illegale Absprachen.
Volksbank wegen Trickserei bzw. Politikverständnis verurteilt
Die ungarische Tochter der österreichischen Volksbank (noch, der Verkauf der
Osteuropabeteiligungen an eine russische, halbstaatliche Bank ist fast fix) ist von der
staatlichen Finanzaufsicht PSZÁF mit einer Geldbuße von 50 Mio. Forint (ca. 170.000 EUR) belegt worden, weil sie versuchte ihre Kunden auszutricksen. Auf dem Formular, das
notwendig wird, um die von der Regierung ermöglichte vorzeitige Rückzahlung von Fremdwährungskrediten, auf einen Schlag, zu bevorzugten Wechselkursen und zu Lasten
der Banken, in Anspruch zu nehmen, nahm die Bank ihren Kunden das Versprechen ab, die Differenz zwischen dem bevorzugten und dem tatsächlichen Kurs selbst zu bezahlen, sollte
das Verfassungsgericht gegen das Gesetz urteilen.
Die Finanzaufsicht hält diese Praxis für "unlauter" und verbot deren weitere Anwendung,
auch bereits abgelieferte Formulare von Kunden müssen umgehend geändert werden. Hinter dem "Trick" der Volksbank steht die demokratiepolitisch bittere Erkenntnis, dass
Urteile des Verfassungsgerichtes im heutigen Ungarn nicht zwangsläufig zur Korrektur oder Verwerfung der beanstandeten Gesetze führen. Passt der Regierung der
Richterspruch nicht, wird entweder das Gericht in seiner Kompetenz eingeschränkt oder das gleiche Gesetz nochmals, formal leicht verändert, verabschiedet.
Regierung lockert Kartellverbot für verschiedene "Vorgänge"
Die ungarische Regierung hat, wohl aus "praktischen Überlegungen heraus" fünf
Marktaktivitäten vom Verbot der Kartellbildung ausgenommen. Wie uns das Amtsblatt wissen lässt, zählen dazu: gemeinsame Ausschreibungen und Liefergemeinschaften, wenn
die beteiligten Akteure in Summe weniger als 20% Marktanteil haben; die Zusammenarbeit und Absprache von Versicherungsgesellschaften zum Zwecke der Erstellung von
Datenbanken zur "Kalkulation von zukünftigen Schäden"; der Verkauf (also auch die Preisabsprache) von Autoteilen und -dienstleistungen, solange die "involvierten"
Unternehmen nicht mehr als 13 Mrd. Forint Umsatz im Jahr generieren (ca. 44 Mio. EUR) (in dieser "Branche" gab es vor einiger Zeit ein sich über Jahre hinziehendes, gigantisches
Kartellverfahren, offenbar sollen hier einige "Spezialfirmen" in Zukunft geschützt
werden.), gemeinsame Ausschreibungen von Einzelhändlern, wenn keines der beteiligten Unternehmen unter (!) 50 Mio EUR im Jahr umsetzt und auch ausgenommen von
kartellrechtlichen Nachstellungen werden Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, "wenn die beteiligten Unternehmen gleichen Zugang zu den Ergebnissen der Forschung erhalten."
Staatsbahnen müssen sich Geld am freien Markt suchen
Nach der Ankündigung der Regierung, die Entschuldung der Staatsbahn MÁV wegen der
angespannten Budgetlage doch noch nicht in diesem Jahr vornehmen und damit eine umfassende Sanierung einleiten zu können, sucht sich die Bahn nun anderweitig Mittel für
"Restrukturierungsmaßnahmen". So hat das MÁV-Management einen Kredittender über annähernd 50 Mio. EUR ausgeschrieben. In Wirklichkeit geht es um eine Überbrückung bis
im kommenden Jahr die nächsten Staatshilfen fließen, die anfallenden Zinszahlungen bringen die Bahn mittlerweile schon in Liquiditätsprobleme. Die angehäuften Schulden
belaufen sich auf über 300 Milliarden Forint, über 1 Mrd. EUR. Ein weiterer Kredit wird daher teuer ausfallen, Geldgeber außerhalb der Finanzwirtschaft könnten schon die Lust verloren haben, seit die Regierung einen umfassenden Privatisierungsstopp verhängt
hatte.
MVM übernimmt modernisiertes Schmuddel-Kraftwerk
Der staatseigene Energiekonzern MVM hat die übrigen 49,5%-Anteile am Kraftwerk
Bakonyi Villamos MűvekTermelő der Euroinvest, einer Gesellschaft des Regionaloligarchen Sándor Demján, übernommen. Beide gründeten einst dieses Joint venture, um den Bau
zweier moderner 58MW Gasturbinenkraftwerke zu ermöglichen. Das Unternehmen nahm dazu u.a. einen Kredit über rund 63 Mio. EUR auf. Das Kraftwerk Bakonyi ist übrigens
auch jenes, das dem Aluminiumwerk MAL die Energie liefert, bei deren Produktion Tonnen von Flugasche anfallen, die früher u.a. zum Bau des gebrochenen
Rotschlammbeckens verwendet wurde, die Reste türmen sich in der Gegend. Diese Flugasche ist über den Grenzwerten radioaktiv und mutmaßlich auch in öffentlichen
Gebäuden verbaut. Mehr zu diesem “schmutzigen Geheimnis” in diesem Beitrag.
Debrecen kann endlich neue Straßenbahnen kaufen
Nach fünf gescheiterten Versuchen, hat sich nach einer sechsten Ausschreibung offenbar
die passende Konstellation für den Kauf neuer Straßenbahnen für die Stadt Debrecen gefunden. Jedenfalls unterschrieb der Stadtrat der zweitgrößten Stadt Ungarns am
Dienstag den Vertrag, den das spanische Unternehmen CAF mit der Lieferung von 18 Garnituren zu insgesamt 38 Mio. EUR beauftragt. Auch bei dieser letzten Ausschreibungen
musste der Stadtrat zunächst zwei Schiedssprüche zu den Vorbehalten unterlegener Bieter abwarten. 91% der Kosten für die Anschaffung werden übrigens von der EU (darin ein
kleinerer Teil Staatsgeld) übernommen.
Miskolc renoviert Freibäder
Die Verwaltung der Stadt Miskolc will "bald" 900 Mio. Forint (3,1 Mio. EUR) in die Hand
nehmen, um endlich die Freibäder der Stadt zu renovieren. Auch hier brauchte es erst den Schiedsspruch des Aufsichtsamtes über Öffentliche Beschaffung gegen die Verlierer von
Ausschreibungen, um eine Vertragsunterzeichnung möglich zu machen. Dadurch könnte es nun passieren, dass die Renovierungen erst mitten in der kommenden Badesaison enden.
Ausgeführt werden die Arbeiten von der Firma Hajdúép.
Ungarn bei EU-Mittelabschöpfung im Schnitt >>> 10% weniger Touristen im August >>> Infos für Ausländer zur Volkszählung 2011 >>>
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