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(c) Pester Lloyd / 42 - 2011  POLITIK 18.10.2011

 

Das Heulen der Alphamännchen

Kommunalreform in Ungarn: "Erzfeind" IWF berät Regierung

Nach den Komitaten, nun Städte und Gemeinden. Die Zentralsisierung des ohnehin zentralistischen Ungarn geht weiter. Um die lokalen Alpha-Wölfe an die Leine zu legen, hat die Regierung Orbán sogar die Hilfe des "Erzfeindes" IWF angerufen. Die Bürgermeister, meistens selbst Fidesz-Leute, sind schockiert und fürchten um ihre "Errungenschaften". Was wird herauskommen, wenn IWF-Manager Tipps zum Dorfmanagement erteilen? Man braucht sich nur ihre "Leistung" beim neuen Arbeitsrecht zu besehen, um das Schlimmste zu befürchten.

 

"Die Regierung hat den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe beim Umbau der Kommunalverwaltung gebeten.", dabei liegt der Gesetzentwurf für die Kommunalreform längst vor und offiziell will Ungarn kein neues Geld vom IWF - Worum geht es dann?

“Sterbende Dörfer” fürchten die Bürgermeister und sich selbst zur Staffage degradiert

Kürzlich übernahm die ungarische Regierung die tief in rot gemalten Konten sämtlicher Komitate und mit den Schulden von ca. 180 Mrd. Forint (rund 620 Mio. EUR) auch gleich alle Institutionen der ungarischen "Bundesländer". Diese sind nun ihre Schulden los, aber auch gänzlich ihre "Macht", woran es nur wenig zu bedauern gäbe, wenn der Übernehmende mehr Vertrauen erwecken würde. Nun arbeitet seit einigen Tagen eine IWF-Delegation mit den Verantwortlichen des Justizministeriums an einer Kommunalreform, wobei jetzt auch die unterste Ebene, jene der Kommunen an die Reihe kommt.

Bürgermeister warnen vor Dorfsterben und haben Angst vor Entmachtung

Dabei ensteht die absurde Konstellation, dass sich die ungarische Regierung ausgerechnet den Feind, denn als solchen hat man den IWF gebrandmarkt und sogar schon aus dem Land geworfen, ins Bett holt, um die eigenen Parteisoldaten zu bearbeiten. Denn die meisten Bürgermeister sind Fidesz-Leute. György Gemesi, Chef des Interessenverbandes der Kommunalverwaltungen MOSZ, fürchtet auf einer Konferenz vor 400 Kollegen nicht nur eine "Entmachtung der Bürgermeister", sondern generell ein allgemeines "Dorfsterben", durch strukturelle Zusammenlegungen über die Köpfe der Bürger hinweg, die Gemeinden würden dann endgültig am Tropf des Zentralstaates hängen. "Sie zerschlagen die Provinz", beklagt sich einer der Bürgermeister und fordert zu einer Petition auf, die die Regierung zur "Korrektur" des Gesetzentwurfes auffordert.

Ferenc Dietz, Chef einer anderen Vereinigung von Bürgermeistern (TOOSZ) und Fidesz-Bürgermeister des schmucken und realtiv gut dastehenden Szentendre vor den Toren Budapests, betont dagegen die Vorteile der Reform. Sie enthalte eine "gerechtere Aufteilung" der Kosten für die Dienste am Bürger. Er erinnerte daran, dass die Schulden der Komitate geradezu ein Klacks gegen die (seine Zahlen) 1.500 Mrd., also rund 5 Mrd. EUR seien, mit denen die Kommunen in der Kreide stehen, zumeist auch noch in Schweizer Franken. Dietz glaubt, zumindest sagt er das, dass die vorgesehene "gemischte Administration" aus staatlichen und kommunalen Befugnissen "mehr Effizienz" in die Amtsstuben bringen könnte.

Ungewählte Gouverneuere wie in Russland oder Rückkehr der Báns?

Die Regierung hat dafür schon Vorarbeiten geleistet und einige Dutzend "Regierungsbüros", sogenannte “One-Stopp-Offices” in die Provinz gesetzt, die den Leuten Behördengänge nach Budapest ersparen sollen. Diese sind freilich flexibel erweiterbar, was Dienste wie Macht angeht. Die MOSZ will das nicht akzeptieren, sie wird die Regierung mit Fragen und Vorschlägen beschicken, "der jetzige Stand des Gesetzes sei für niemanden zu akzeptieren", so ihr Chef Gemesi, der damit zeigt, dass der "Lokalpatriotismus" doch größer zu sein scheint als die "nationale Kooperation", zumindest, wenn die persönlichen Interessen und Reviere der örtlichen Alphawölfe Gefahr laufen von Ortsfremden markiert zu werden.

Der strukturelle Sanierungsbedarf des Kommunalwesens ist unbestritten, Korruption, Vetternwirtschaft und regionale Mafiastrukturen schossen mehr als zwanzig Jahre ungehindert ins Kraut (einige “Familien” reichen noch weiter zurück), die Zeche liegt nun auf dem Tisch. Die totale Zentralisierung ist aber genau der falsche Weg, um dies zu ändern. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass sich die Regierung das Koma eines Patienten zu Nutze macht, um still und heimlich die Geräte abzuschalten.

Malt man das Szenario der Fidesz-Bürgermeister zu Ende, wird irgendwann in jeder Stadt und in jedem Dorf ein von der Regierung entsandter, ungewählter Gouverneur (der sicher einen phantasievollen Titel: Vojvode oder noch besser, Bán, erhält) mit einer kleinen Kasse sitzen und die Interessen aus Budapest wahrnehmen. Die Bürgermeister dürfen bei ihm dann projektgebunden vorsprechen und sich seiner Huld versichern, wenn die gewünschten Maßnahmen von "nationalem Interesse" sind.

Niemand hat die Absicht, einen Kredit aufzunehmen...

Doch wozu der IWF? Wären für "best practice"-Beispiele aus der Welt der kommunalen Selbstverwaltung nicht vollkommen andere Ansprechpartner und Berater angesagt, z.B. Putin oder Wen Jiabao? Oder geht es bei der IWF-Beratung am Ende doch nur ums Geld, einen Überbrückungskredit vielleicht? Wie die Regierungsseite mehrmals (vielleicht ein paar mal zuviel) laut ausführte, geht es bei den Gesprächen "keineswegs" um die getarnte Aushandlung einer neuen Notkreditvereinbarung. Dazu hatten angelsächsische Ratinagenturen geraten, nur für alle Fälle. Die Regierung ist sich sicher, "wir brauchen keine neue IWF-Hilfe", letzte Woche berieten sich übrigens chinesische und ungarische Budgetspezialisten, sicher nicht über die letzte Reisernte. Die Palette der Koalitionen und “strategischen Partner” hat sich bis über frühere Schmerzgrenzen geweitet, das gemeinsame Ziel "Machterhalt" schweisst alte Feinde zusammen.

Erbsen im Glas

Nicht ganz uninteresssant ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass das "IWF Ungarn bereits hinsichtlich des neuen Arbeitsrechtes beraten hat", wie ein IWF-Mann stolz berichtet. Möglich also, dass es nicht nur Orbán und sein Ständestaat waren, welche die Krise nutzten, um ungarische Arbeitnehmer unter der Losung "wettbewerbsfähigstes Land Mitteleuropas bis 2014" direkt ins 19. Jahrhundert zurück zu regieren und aus den vermeintlichen Bürgern endlich wieder das zu machen, was sie im praktischen längst - und längst nicht nur hier sind: Untertanen. Die Leiterin der IWF-Delegation ist übrigens die 38jährige Ukrainerin Irina Ivaschenko, in deren Heimat die "flexible" Behandlung von Arbeitnehmerrechten schon längst greift, notfalls entlohnt man die dortigen Arbeiter mit einer Palette Erbsen im Glas, wenn das Geld nicht reicht, warum soll das nicht auch in Ungarn funktionieren?!

red. / ms.

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