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(c) Pester Lloyd / 43 - 2011  BILDUNG 29.10.2011

 

Studentischer Rosenkrieg

Für die Freiheit der Bildung: Studentenproteste in Ungarn

Am Donnerstag fand in Budapest der vorläufige Abschluss einer Serie von Protesten ungarischer Studenten gegen die geplanten "Reformen" des Hochschulwesens statt. Vor dem Bildungsministerium in Budapest versammelten sich nach unseren Schätzungen ca. 4.000 bis 5.000 Studenten, die Beteiligung blieb damit deutlich unter den Erwartungen. Zum Schein lässt sich die Regierung auf Gespräche ein, doch in der Hauptsache, der Zentralisierung des Bildungswesens, wird es kein Entgegenkommen geben.

Symbolische Inszenierung – „Rosenkrieg“ bis zum bitteren Ende

Die Demonstration, Höhepunkt und vorläufiger Abschluss einer ganzen Reihe von Protestaktionen der letzten Wochen - wurde höchst symbolisch inszeniert. Die Veranstalter ordneten die Proteste zunächst historisch in die Revolution von 1956 (welche von Studierenden initiiert wurde) und in die lange Tradition der ungarischen Studierendenproteste ein, die Nationalhymne wurde angestimmt. Auch wurden am Anfang der Veranstaltung Rosen verteilt, welche das Hauptmotiv der Demonstration darstellen sollten. Die Blume wurde permanent in Reden, Liedern, auf Plakaten und auch auf den auf zwei Videoleinwänden gelegentlich vorgestellten liebevoll und mit viel Arbeit gefertigten Clips in den Mittelpunkt gestellt.

Die Rose, auf ungarisch „Rózsa“, ist der Vorname der Bildungsstaatsministerin Hoffmann, welche in den letzten Monaten wegen ihrer Hochschulpolitik, aber auch wegen ihrem von vielen Studierenden als arrogant und ignoranten Auftreten den Betroffenen gegenüber, zur persona non grata der Protestbewegung mutierte. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurde die ungarische Hochschulbildung personifiziert: Sie hätte über die Jahrhunderte hinweg frei und autonom leben dürfen, sei am Ende aber durch einen einzigen Stich eines Rosendorns ermordet worden.

Die Veranstaltung endete mit einer 15-minütigen Trauerprozession, in der ein Sarg von einem Fackelzug begleitet durch die Menge getragen wurde. Nach der Grabniederlegung, legten die vor Ort befindlichen Studierendenvertreter und Universitätsdirektoren Kränze nieder um der ungarischen Hochschulbildung zu kondolieren. Am Ende der Trauerrede wurden jedoch wieder optimistische Töne angeschlagen, man glaube an die Auferstehung der ungarischen Hochschulbildung, der „Rosenkrieg“ sei erst zu Ende, wenn das neue nationale Hochschulgesetz gekippt und Hoffmanns Rücktritt feststehe, so die ausgegebene Marschroute.

Ungleiche Bildungschancen und „Kettengesetz“

Im Zentrum der Kritik am neuen nationalen Hochschulgesetz standen zum einen die Erhöhung der Studiengebühren, welche zukünftig Bildung nur noch einer finanzkräftigen Elite zugänglich machen werde bzw. große und langfristige finanzielle Opfer von den Studierenden verlange, die zur Aufnahme von Krediten gezwungen seien. Doch vor allem die Idee Hoffmanns, Studierende an Ungarn ketten zu wollen, indem man von denen, die nach ihrem Abschluss ins Ausland zum arbeiten gingen, eine rückwirkende Kompletterstattung der Ausbildungskosten verlangen werde, löste die größte Empörung bei den Studierenden aus.

In ihrer Kritik an diesem Ansatz wiesen die Redner darauf hin, dass diese Regelung nicht nur nicht mit der europäischen Norm der Mobilitätsfreiheit kompatibel und daher rechtlich fragwürdig und auch in ihrem grunsätzlichen freiheitsfeindlichen Ansatz inakzeptabel sei, sondern auch keineswegs das grundlegende Problem des akademischen „brain drain“ löse. „Was wir zu Hause brauchen, sind Möglichkeiten und nicht Gesetze die uns anketten“, sagte Dávid Nagy, Landes-Vorsitzender der ungarischen Studierendenvertretungen HÖOK. Auf Plakaten stand geschrieben „Wir wollen ein Karrieremodell, nicht die Verpflichtung zu Hause bleiben zu müssen“.

Internationale Unterstützung erhielten die Demonstranten nicht nur durch zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus anderen europäischen Länder, die über die Videoleinwand eingespielt wurden, sondern auch vom Vorsitzenden der Europäischen Studentenunion, Allan Pall, der persönlich anwesend war. Dieser teilte den Demonstranten in seiner Rede mit, dass die Studentenunion bereits Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen das neue Gesetzt eingelegt habe.

Guter Cop, böser Cop

Am Vortag fanden bereits, wie angekündigt, erste Verhandlungen zwischen HÖOK-Vertretern und dem Justiz- und Verwaltungsminister Tibor Navracsis statt, bei welchen man sich nach Angaben Nagys bereits in einigen wesentlichen Punkten angenähert hätte. Ohnehin scheint Aufgabenteilung zwischen dem letzte Woche in den Prozess intervenierenden Navracsis und der bei den Studierenden diskreditieren Hoffmann einer „guter Cop, böser Cop“-Logik zu Folgen.

Navracsis hatte auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass die ungarischen Hochschulen wettbewerbsfähiger gemacht und mehr Möglichkeiten zum Lernen und Arbeiten geschaffen werden müssten. Weiter führte er aus, dass, falls die Rektoren ihr Einverständnis dazu gäben, über eine stärke Beteiligung der Studierenden in solchen Bereichen nachgedacht werde könne, welche die Studien- und Prüfungsordnungen und auch die Stipendiensysteme beträfen. Auch über ein studentenfreundlicheren staatlichen Bildungskredit werde momentan beraten. Allerdings sind dies alles nur Brotkrümel, denn die Zentralisisierung des Bildungswesens und seine staatliche, also auch parteiliche Funktionalisierung ist längst beschlossene Sache und des Pudels Kern. (hier mehr dazu)

Rózsa Hoffmann hingegen wies die Rücktrittsforderungen der Studierenden in gewohnt besonnener und deeskalierender Art und Weise von sich. Für einen Rücktritt gäbe es keinen Grund und die Entscheidung darüber läge ohnehin beim Ministerpräsidenten, welcher ihr sein volles Vertrauen ausgesprochen habe. Die Demonstrationen seien gegen die Regierung und nicht gegen sie gerichtet gewesen, die Erhöhung der Studiengebühren sei im Kabinett bereits beschlossene Sache.

Die Teilnehmer der Demo vom Donnerstag, so Hoffmann, würden die Änderungen ohnehin noch nicht betreffen, diese werden nur auf zukünftige Generationen angewendet werden. Es gäbe ca. 400.000 Studierende, davon seien einige mit Bussen zur Demo angekarrt worden, die Demonstrierenden würde daher nur einen insignifikanten Anteil der Studierendenschaft vertreten. Es fehlte eigentlich nur noch der Satz von den "von professionellen Angstmachern irregeleiteten Leuten", wie Orbán-Sprecher Szijjártó die Demonstranten am Nationalfeiertag nannte.

Christian-Zsolt Varga

 

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