MOBILE VERSION

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 45 - 2011  POLITIK 07.11.2011

 

Eskapaden und Irrwege

Ungarns "neue Partner" in der Welt und die Verachtung der Menschlichkeit

Russland, China, Saudi-Arabien, Iran: die ungarische Regierung ist bei ihrer Suche nach neuen "strategischen Partnern" als Ausweg aus Schuldenfalle und der angestrebten Verringerung der Abhängigkeit vom Euroraum nicht wählerisch. Menschenrechte und demokratische Grundnormen bei den neuen Freunden sind da nicht wichtig, im Gegenteil, man erfreut sich beiderseitig an der Effizienz der Autokratie. Wer zahlt, schafft an, koste es, was es wolle. Europa schweigt dazu. Ein Grund grundsätzlich zu werden.

Auch wenn Premier Orbán "den Kommunismus" schon einmal als "das größte Verbrechen des 20. Jahrhundert" klassifizierte, so als hätte es Holocaust und Nazismus nicht gegeben ("kein einziger führender Nazi war Ungar"), freute sich gestern die staatliche Wirtschaftsförderungsagentur HITA über die erfolgreiche Teilnahme von 25 ungarischen Unternehmen auf der größten Messe auf Kuba. Zwar konnte man nur Geschäfte in der Höhe von rund 1 Mio. EUR abschließen, aber das sind immerhin 1 Mio. mehr als zuvor und man hat wieder einen Fuß in der Tür des einstigen Bruderlandes, in dem immer noch ein paar hundert Oppositionelle wegen einer eigenen Meinung im Knast schmoren. Doch Kuba ist nur eine kleine, fast humoristisch amutende Fußnote im Streben nach neuen Horizonten:

Malév süßsauer?

Im Juni schmiss sich Orbán vor den Chinesen geradezu in den Dreck, als er anlässlich des Besuchs von Premier Hu Jintao in Budapest "den Hut vor den Leistungen" des Landes zog und seine "größte Bewunderung" ausdrückte, womit er natürlich das atemberaubende Wachstum, nicht die staatlichen Exekutionen, willkürlichen Verhaftungen, Korruption der Funktionäre, Billigstlöhne und Verelendung der Wanderarbeiter und Bauern gemeint haben kann. Ungarn hofft, noch vor anderen Bewerbern aus der EU, in China Staatsanleihen losschlagen zu können, zu gesonderten Bedingungen. Dafür bietet man den Chinesen "günstigste Investitionsbedingungen".

Man wirbt mit umstandslosen Genehmigungen, billigen Löhnen, Grundstücksgeschenken und neuerdings auch mit einem Arbeitsrecht, bei dem sich die Chinesen richtig heimisch fühlen können. Verläuft alles nach Plan, wird China Ungarn als sein Einfallstor, "Logistikhub" und Zentrallager für die EU "benutzen", ein rein chinesischer Cargoflughafen im Westen des Landes ist schon eröffnet. Doch es geht um noch mehr, den Chinesen, clever wie sie nunmal sind, traut man auch die Restrukturierung der ganzen Armada lahmender Staatsbetriebe zu. Eine Chemiefirma wurde (samt patentierter Technologien) schon erworben, der chinesische Staatsfonds hat ein Büro in Budapest eröffnet, es sollte nicht verwundern, wenn die fügellahme Ente Malév, immerhin ja mit EU-Landelizenzen ausgestattet, bald süß-sauer abhebt.

Zur chinesischen Arbeitsweise gehört auch eine gewisse Diskretion dem Volke gegenüber. Ganz in diesem Sinne verheimlicht die Regierung in Ungarn bis heute den Inhalt einer handvoll bilateraler Abkommen. Dass ein von der Opposition errungenes Gerichtsurteil die Regierung eigentlich zur Veröffentlichung zwingt, ficht diese nicht an, so viel hat man schon von China gelernt. Eine Gegendemonstration beim Besuch des chinesischen Premiers wurde mit perfiden Stasi-Mitteln unterdrückt, die Gäste muss beeindruckt haben, was mitten in Europa alles möglich wird.

Puszta-Putin und das Abstellgleis

Dass mit dem "Logistikhub für die EU" ist kein so neuer Plan. Auch wenn man gegenüber Russland wegen 1849/1945/1956 und überhaupt, eine geradezu pathologische Mentalfeindschaft pflegt, bot Orbán bei seinem Besuch in Moskau dem "großen Bruder" von einst an, (für dessen Rausschmiss aus Ungarn er einst berühmt wurde) als "Hub in den Westen" zu fungieren. Man wäre dafür sogar bereit, auf ungarischem Boden und auf eigene Kosten russische Breitspurgleise zu verlegen, auch, um die Slowaken und Österreicher, die ähnliches planen bzw. schon tun, auszuboten. Dafür kommt man freilich etwas spät und die 2 Milliarden Euro, die Orbán dafür aufbringen wollte, sucht man seitdem vergeblich.

Ungarn hat mit Russland viele gemeinsame Interessen, was wohl mit ein Grund sein mag, warum das Sowjetdenkmal auf dem Platz der Freiheit noch immer da steht. Die Pharmafirmen Richter und Egis machen einen immer größeren Teil ihres Umsatzes im Riesenreich, Gazprom und MOL bauen gemeinsam Pipelines, buddeln nach Öl und Gas und errichten Erdgaslager. Ungarn ist Partner bei South Stream, dem Nabucco-Konkurrenten (der offiziell keiner ist), bei dem man natürlich auch mit dabei ist. Und ein gewisser Lebensmittelmogul verkauft schon ungarische Joghurts in Moskau, ein anderer Tycoon kaufte sich sogar im russischen Automaten- und Lottowesen ein. Das ganze Leben ist ein Spiel. In punkto Autokratie folgt Orbán seinem russischen Amtskollegen gerade mit Siebenmeilenstiefeln. Der Titel Puszta-Putin ist zwar polemisch, aber nicht jede Polemik ist frei von Wahrheit.

Die Wächter Mekkas lächelten finster

Nächster auf der Liste der neuen "Ostorientierung": Saudi-Arabien. Mögen saudische Polizisten auch im Nachbarland Bahrein Demonstranten niederschießen, Frauenrechte, Demokratie Fremdwörter sein, die Scharia den Rechtsstaat ersetzen, es zählt einzig der Wille, Ungarn mit Investitionen und Kaptial zu helfen, "sich aus dem Sumpf" zu ziehen. Als Orbán vor kurzem in Saudi-Arabien weilte, schwadronierte er von den riesigen Potentialen zwischen den Hütern Mekkas und dem neuen christlichen Kernland in Europa, das er aufzubauen gedenkt. Kein Witz, Orbán sprach über die christliche Renaissance in seinem Land. Die finster lächelnden Saudis verstanden sehr wohl, dass ein religiös betäubtes Volk besser zu bearbeiten ist als ein liberal verseuchtes. Der Christ mag zwar kein Rechtgläubiger sein, aber immerhin ist er kein Ungläubiger. Dass es sich sowohl bei Saudi-Arabien wie bei Ungarn - in unterschiedlichen Ausprägungen - mehr um einen frivol bis bigott frömmelnden Staatszirkus als um echte Gottestaaten handelt, macht die geistige Verwandschaft offenbar nur enger.

Mit dem Iran hat man einiges gemeinsam

Bei seinen östlichen Eskapaden macht die ungarische Regierung selbst vor weltbekannten Massenmördern nicht mehr Halt. Regierungsdelegationen, auch der Oberbürgermeister von Budapest und andere lokale Patrioten, verhandeln Möglichkeiten vertiefter wirtschaftlicher Kooperation und nehmen dabei kein Feld aus, das nicht durch EU-Embargos verstellt ist, wie es heißt. Dabei kann sich die Regierung der Rechtsextremen von der Partei Jobbik als Wirtschaftsförderungsagentur bedienen, wie ein lesenswerter Beitrag des Blogs "Pusztaranger" dokumentiert, den wir hiermit empfehlen möchten: http://pusztaranger.wordpress.com/2011/11/04/ungarns-%E2%80%9Coffnung-nach-osten%E2%80%9D-ir ans-neues-tor-zur-eu/

Die Kröte schlucken, heißt nicht: Kröte werden

Nun mag so mancher den Kopf schütteln und sagen. Handel ist besser als Krieg, was soll das Gewese, auch andere EU-Staaten umschmeicheln die chinesischen Milliarden, machen Geschäfte mit Russland, Saudi-Arabien, ja sogar Iran etc. und drücken sämtliche Augen dabei zu. Das stimmt und vor allem bei den beiden letzteren ist es besonders verdammenswert, bei den Erstgenannten zumindest diskutabel. Doch im Unterschied zu Ungarn passen die anderen Länder ihre Gesellschaften nicht an die chinesischen oder russischen Verhältnisse an, sie schlucken zwar die Kröte, werden aber keine. In ihrem Wahn, die "Abhängigkeit" vom "westlichen Finanzkapitalismus", der "schädlich für Ungarn" ist (er ist für alle schädlich, aber das ist ein anderes Thema), zu beenden, scheint jeder Partner recht. Leider wird den Preis für diesen Irrweg weg von Europa nicht Orbán, sondern das ganze Land bezahlen müssen.

Orbán war der letzte westliche Staatschef, den Mubarak im Amt zu Gesicht bekam. Als der Gast abreiste, ging die Revolte los. “Ungarn ist beliebt bei den Arabern”, sagte Orbßan nach der Visite, bloß, bei welchen?

Die Wahl seiner Partner ist Ausdruck der Verachtung gegenüber dem Schicksal der Menschen in diesen Ländern. Es ist die gleiche "Wertschätzung", die Orbáns Steuer- und "Sozial"politik den eigenen Leuten entgegenbringt. Die Reden der neuen Moralapostel, die von Christentum, traditionellen Werten, Gemeinwesen und Nation tönen, von einer geistig-moralischen Wende, einem Wiederaufbau, ja der Vollendung von 1848, 1956 und 1989, werden auch im Lichte dieser Partnerwahl zu hohlem Geschwätz von moral- und skrupellosen Machtmenschen, einem Eskapismus, der immer tiefer in neue-alte Abgründe führt. Freilich ist Ungarn kein Mullahország, aber die Schleusen sind vielerorts geöffnet, etliche Tabus gebrochen, angefangen vom Streikrecht bis hin zur beschnittenen Unabhängigkeit der Gerichte. Da ist Handeltreiben mit Menschenschlächtern eigentlich nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

Die Orbáns Werk applaudieren oder als Pragmatismus dulden, allen voran die westlichen "Schwesterparteien", verüben, bei Lichte besehen, Beihilfe zum Demokratieabbau und kündigen unseren humanistischen Grundkonsens in Europa auf. Aus Vorsatz, nicht aus Fahrlässigkeit. Dabei kommt ihnen eine eigentliche Ungeheurlichkeit zu pass, nämlich, dass in der EU die Grund- und Menschenrechte noch immer weniger Aufmerksamkeit und Obhut erhalten als Binnenmarkt und Kapitalfreiheit, weil die entsandten Akteure in der EU überwiegend Vertreter von Markt und Kapital, nicht von Menschen und Rechten sind: auch das ist Vorsatz und es ist - man sehe das Pathos nach - dringend an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

red. / Marco Schicker

 

Möchten Sie den PESTER LLOYD unterstützen?

 


 

 

 

IMPRESSUM