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(c) Pester Lloyd / 45 - 2011  NACHRICHTEN 14.11.2011

 

Nachrichten der Woche aus Ungarn

Festnahmen bei Demo für Obdachlose - Linke Flanke lahmt weiter: Parteitag der ungarischen Sozialisten - Sonderkomissar auf Verbrecherjagd im Ausland - Beschwerde wegen vorzeitiger Entlassung des Datenschutzbeauftragten - Opposition kritisiert parteiische Finanzierung von Gemeinden - LMP will Privatisierungen rückwirkend untersuchen - Gewerkschaftsbund MSZOSZ dementiert Parteigründung - Orbáns Volkswagen? Ungarn will Fahrzeughersteller Rába übernehmen - Lobby für EVA-Steuer wächst
 

Festnahmen bei Demo für Obdachlose in Ungarn

Rund hundert Demonstranten protestierten am Freitag gegen den verschärften und diskriminierenden Umgang mit Obdachlosen durch Stadt- und Stadtbezirksbehörden. Dabei wurden 28 Aktivisten der Gruppe "Die Stadt gehört allen" von der Polizei verhaftet als sie den Zugang zum Bezirksrathaus des VIII. Bezirkes blockierten und einige Büros besetzten. Dessen Bürgermeister, Máté Kocsis, der durch eine Kriminalisierungskampagne gegen Obdachlose schon einmal im Rampenlicht stand, ist von Premier Orbán kürzlich zum "Sonderbevollmächtigten für Obdachlosenfragen" befördert worden. Er hat den Polizeieinsatz persönlich angefordert, als Reaktion darauf, dass der von ihm "angebotene Dialog abegelehnt" worden sei. Mehr zur Lage der Obdachlosen in Ungarn.

 

Linke Flanke lahmt weiter: Parteitag der ungarischen Sozialisten

Am Wochenende hielten die oppositionellen Sozialisten von der MSZP ihren ersten Parteitag nach dem Austritt der Demokratischen Koalition unter Ferenc Gyurcsány ab. Vorschläge zur Direktwahl von Parteichef und Parteivorstand durch die Mitglieder wurden dabei beerdigt, auch gab es wenig inhaltlich stringente Äußerungen außer der bekannten Fundamentalkritik an der Regierung. Dennoch halte man sich nun bald für befähigt, die "Partei zum Wahlsieg 2014" zu führen, meinte der wiedergewählte Parteichef Attila Mesterházy. Dieser forderte "neue Leute in die erste Linie", ruderte aber am heutigen Montag zurück als er kleinlaut einräumte, dass dies nicht heißen soll, dass "die verdienten Parteivorstände" gehen sollen. Als taktischer Schachzug war eine Einladung an den Generalsekretär der Demokratischen Koalition der Ungarn in Rumänien (RMDSZ) zu sehen, der durch seine Rede auf dem Parteitag das "gesamtnationale" Element vertrat, ohne das, so die Mutmaßung, in Ungarn heute keine Mehrheiten mehr zu erringen sind.

 

Sonderkommissar auf Verbrecherjagd im Ausland

Der von Premier Orbán eingesetzte Sonderkommissar, Parteikollege Gyula Budai, der außerhalb der Judikative und unter permanenter Missachtung rechtstaatlicher Grundnormen wie der Unschuldsvermutung oder dem Schutz von Persönlichkeitrechten seinen Feldzug gegen "Delikte der Vorgängerregierungen" führt, hat weitere Immobiliengeschäfte ungarischer Offizieller im Ausland ins Visier genommen. Bereits gerichtsanhängig ist der Verkauf der ehemaligen ungarischen Handelsvertretung in Moskau unter Marktwert an eine Scheinfirma, in die damalige Diplomaten verstrickt sein sollen, nun geht es um weitere Deals in Brüssel und Wien. So soll der frühere Finanzchef der Wiener Botschaft auffallend häufig die Renovierung von Botschaftswohnungen angeordnet haben, wobei er womöglich mitgeschnitten hat. In Brüssel hat die EU-Vertretung - so der Vorwurf - rund 200.000 EUR für die zu frühe Anmietung Gebäudes für die EU-Ratspräsidentschaft verschwendet, das dann monatelang ungenutzt herumstand. Kommentatoren in Ungarn mutmaßen angesichts der vielen Ermittlungsbaustellen im Inland, dass sich Kommissar Budai durch die Fokkussierung auf den diplomatischen Apparat ein paar Auslandsreisen genehmigen möchte. Es sei auch verständlich, dass man die vergiftete heimatliche Atmosphäre ab und an verlassen mag...

 

Beschwerde wegen vorzeitiger Entlassung des Datenschutzbeauftragten

Drei Jahre vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit 2014 wurde der nationale Datenschutzbeauftragte Dr. András Jóri vorzeitig aus seinem Amt entlassen. Das Eötvös Károly-Institut für Politik, der Ungarische Verband für Bürgerrechte und das Ungarische Helsinki-Komitee haben dagegen in einem offenen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, protestiert und erwägen den Gang vor internationale Gerichte. Sie sehen durch die vorzeitige Entlassung EU-Recht verletzt und verlangen eine Untersuchung auf europäischer Ebene. „Zudem passt dieses Vorgehen in das große Schema der aktuellen Regierung. Jóri hat sich mit Politikern angelegt, er war unliebsam, ergo musste er weg. Das ist ungeheuerlich“, so Tivadar Hüttl vom Verband der Bürgerrechtler. Das Inkrafttreten des neuen Grundgesetzes zum ersten Januar 2012 wird von der Regierung zum Anlass genommnen, einen neuen Datenschutzbeauftragten nach ihrem Geschmack ins Amt zu heben und die bisher unabhängigen Ombudsleute zu Stellvertretern einer Zenralbehörde zu degradieren. Der Premier nominiert ihn und der Präsident beruft ihn. Wer das sein wird, wird nächste Woche bekannt gegeben. Jóri war in Ungnade gefallen, weil er einen Regierungsfragebogen zur "nationalen Konsultation" als den Datenschutz verletztend rügte und dessen Vernichtung verlangte. V.K.

 

Opposition kritisiert ungerechte Verteilung von Finanzhilfen an Gemeinden

Die Regierung favorisiere bei der Verteilung finanzieller Mittel eindeutig Städte mit Bürgermeistern der eigenen Partei. Dies geschehe ganz offizielle im Rahmen des „önhiki“ Programms und ließ Komitate und Kommunen, welche von der Opposition regiert werden, regelrecht ausbluten, so der ehemalige Finanzminister der Sozialisten, János Veres. Das Hilfsprogramm wurde von der Regierung initiiert, um Komitaten und Städten zu helfen, welche "ohne Eigenverschulden" tief in die roten Zahlen geraten sind. Veres führte Beispiele an, wonach die operativen Zuschüsse in einigen MSZP-regierten Gemeinden um bis zu 90% gekürzt worden sind. Die Regierung erwiderte, dass die Beihilfen nach klar definierten Kriterien vergeben werden, nur "sparsame Städte und Gemeinden" erhalten auch finanzielle Unterstützung. V.K.

 

Ungarische Grüne wollen Privatisierungen rückwirkend untersuchen

Die grün-liberale Partei LMP brachte einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der es erlauben soll, sämtliche Privatisierungen seit der Wende neu aufzurollen, wenn der Verdacht auf "Schaden für den Staat, Rechtsbrüche oder moralische Grundsätze" besteht. Das "Gesetz zum Schutz nationalen Eigentums" soll die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzen, zu jeder Zeit in allen Verdachtsfällen Ermittlungen einzuleiten, auch, wenn Verjährungsfristen mutmaßlich abgelaufen sind. Sollte man feststellen, dass zum Abschluss der Privatisierungsverträge die "guten Sitten" bereits verletzt worden seien, griffen diese Fristen nicht mehr. So wolle man "ein deutliches Signal" aussenden, dass "unrechtmäßig erworbener Besitz" zurückgefordert wird. Auch wenn das rechtliche Vorgehen (rückwirkende Gesetzesanwendung) an Fidesz-Machenschaften erinnert, ist die Freude im Regierungslager nicht so ungeteilt, schließlich ist man für einige streitbare Projekte in der Zeit von 1998-2002 auch verantwortlich. Das Fidesz will daher nur Unrecht von vor 1989 nachträglich ahnden lassen.

 

Gewerkschaftsbund MSZOSZ dementiert Parteigründung

Der Vorsitzende des Ungarischen Gewerkschaftsbundes MSZOSZ, Péter Pataky, trat in der linksliberalen Tageszeitung Népszabadság ganz entschieden dem von der regierungsnahen Magyar Hirlap verbreiteten Gerücht entgegen, an der Gründung einer Partei beteiligt zu sein. Mit der Gründung einer Partei würde die Gewerkschaft eindeutig ihre Rolle verfehlen, erklärte Pataky. Man könne nämlich nicht gleichzeitig Kollektivverträge abschließen, Lohnverhandlungen führen, die Interessen der Arbeitnehmer vertreten und daneben auch noch Parteipolitik betreiben. Wahrscheinlich sei gründlich missverstanden, was er auf einer Konferenz über mögliche Kontakte zwischen Interessenvertretungen und politischen Organisationen ausgeführt habe. So werde innerhalb der Gewerkschaften beispielsweise schon diskutiert, in welcher Form eine Zusammenarbeit mit der neuen Ungarischen Solidaritätsbewegung (Szolidaritás) möglich sein könne, sollte diese sich in eine Partei umwandeln. Gegenwärtig sieht der MSZOSZ-Vorsitzende allerdings seine wichtigste Aufgabe darin, als Gewerkschaft funktionsfähig zu bleiben. Wenn man das System der Interessendurchsetzung in Ungarn wirkungsvoller gestalten wolle, müsse man sich zuerst mit allen Fehlern auseinandersetzen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten begangen worden seien. R.G.

 

Orbáns Volkswagen? Ungarn will Fahrzeughersteller Rába übernehmen

Der ungarische Staat, arm an Geld aber reich an Ambitionen, will den traditionsreichen Hersteller von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen Rába übernehmen und hat den Aktionären ein Angebot gemacht, dass sie bitteschön nicht ablehnen möchten. Derzeit hält der Staat über einige Umwege rund 16,2% der Aktien, nun hat man die strategische Mehrheit im Visier. Damit unterstreiche man seine Strategie "des Endes der Massenprivatisierung und verantwortungsvollen Vermehrung des Nationaleigentums". Rába, früher ein wichtiger Fahrzeug- zwischendurch auch Panzerhersteller der Region, liefert heute vor allem Achsen für LkW in viele Länder, fertigt aber auch Militärfahrzeuge, z.B. Munitionstranporter. Verschiedene ausländische Investoren, darunter Österreicher und Deutsche, aber auch Araber, haben sich bei dem Werk mit Sitz in Györ engagiert. Ungarn findet diese Durchmischung "eine unklare Lage der Verwantwortlichkeiten", was "Missbrauch fördere". Der verstärkte Einstieg bei Rába betone hingegen die Verantwortlichkeit der Regierung und die Wichtgkeit, die sie der "verarbeitenden Industrie" beimesse. Beobachter sehen hinter dem Engagement das etwas eitle Ziel des Premiers, dass Ungarn wieder selbst zu einem "Autohersteller", nicht nur zur Werkbank der Westmultis, aufsteigt.

 

Lobby für EVA-Steuer wächst

Während die Regierung im Zuge ihrer Intentionen zur Vereinfachung des Steuersystems über die Abschaffung der bei Kleinstunternehmen beliebten Pauschalsteuer EVA nachdenkt, bildet sich eine fraktionenübergreifende Front für deren Beibehaltung, auch Fidesz-KDNP-Abgeordnete treten dafür ein, ja sind sogar für eine Anhebung der Bemessungsgrenze von 25 auf 30 Mio. Forint Jahresumsatz. Dafür sollte es eine Anhebung der pauschalen Steuerabgeltung (Körperschafts- und Einkommenssteuer - dafür können Kosten nicht gegengerechnet werden) von derzeit 30 auf 35% geben, das würde dem Haushalt 40 Mrd. Forint mehr im Jahr bringen. Die Kritiker des Abschaffungsplans sagen, dass ein EVA-Aus Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit eher noch beflügeln würde. Premier Orbán betonte indes nochmals, dass er EVA zu Beginn 2012 abschaffen will, sein Fraktionschef ist für eine Übergangsfrist bis 2013. Derzeit nutzen fast 100.000 Unternehmen die EVA.

red. / V.K. / R.G.

 

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