(c) Pester Lloyd / 48 - 2011
POLITIK 28.11.2011
Keine Umarmung
Die linke Opposition in Ungarn bleibt uneins - Wer soll dann Fidesz schlagen?
Ist es intellektuelle Borniertheit, eine ausgeklügelte Strategie oder doch einfach die eigene Ratlosigkeit wie es weitergehen soll? Trotz des Abgangs von Haupthindernis
Gyurcsány aus der MSZP weigert sich die grün-liberal-bürgerliche LMP noch immer stur mit den "Sozialisten" zu kooperieren. Die rechtsnationale Hegemonie wird man
mit derartigem Getue wohl schwer aufbrechen, zumal längst auch andere Bewegungen ein Wörtchen im politischen Machtkampf mitreden.
Handshake ja, Umarmung nein - MSZP-Chef Attila Mesterházy
und LMP-Chef András Schiffer bei der Ebert-Stiftung in Budapest.
Auf einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest organisierten Veranstaltung trafen
in der vergangenen Woche der Parteivorsitzende der ungarischen Sozialisten (MSZP), Attila Mesterházy und der Fraktionsvorsitzende der grün-liberalen LMP, András Schiffer,
aufeinander, um über „Den Kampf der Linken und Rechten um die unentschlossenen Wähler“ zu diskutieren. Dabei ging es auch um die Frage über mögliche Szenarien für die
Wahlen 2014, wer mit wem und auf welchem Wege die aktuelle Regierung besiegen könnte. Mesterházy betonte die vielen Gemeinsamkeiten zwischen seiner Partei und der
LMP, während Schiffer keine Möglichkeit ausließ, die Unterschiede zur MSZP zu betonen und sich dem Kuschelkurs Mesterházys ausdrücklich verweigerte.
Zuweilen sehr entspannter Umgang mit den Neofaschisten
Während man sich darüber einig war, dass Fidesz spätestens durch die Wahlen 2014
besiegt werden würde, konnten beide Parteivorsitzenden noch keinen wirklichen Fahrplan für diesen heute noch schwer vorstellbaren Wandel präsentieren. Unterschiede gab es in
ihrer Einschätzung über die Zusammenarbeit mit der Jobbik. Während Mesterházy jegliche Zusammenarbeit mit der Jobbik ausschloss, betonte Schiffer, dass zu einem
späteren Zeitpunkt, wenn es darum ginge, die Verfassung in wesentlichen Punkten zu reparieren, man auch die Stimmen der Jobbik dafür akzeptieren würde. Laut Schiffer
brauche es ein breites oppositionelles Angebot um den Fidesz besiegen zu können, um auch die Wähler ansprechen zu können, für welche die MSZP unwählbar ist. Schiffer wird
in linken Kreisen für seinen zuweilen sehr entspannten Umgang mit der offen neofaschistischen Jobbik scharf kritisert.
“Technische” Koalition ja, Wahlbündnis nein
Mesterházys optimistische Ausführungen über eine zukünftige politische Koalition mit der
LMP - man habe schließlich auch mit dem SZDSZ trotz politischer Unterschiede gut zusammenarbeiten können - unterbrach Schiffer kurz und knapp mit dem Satz „Wir sind
nicht der SZDSZ“ (einige Mitglieder waren es aber durchaus). Schiffer redete daher lieber über eine „technische Koalition“ und auf Sachebene arbeitet man ja längst tagtäglich
zusammen. Letzte Aktion war der gemeinsame Misstrauensantrag gegen die Regierung, speziell den Nationalwirtschaftsminister, der bis heute keine hausgemachten Gründe für
die Herabstufung Ungarns erkennen mag.
Die große Umarmungsaktion die sich Mesterházy womöglich vorgestellt hatte, ist auf der
Veranstaltung und auch im politischen Alltag bisher ausgeblieben, wohl auch, weil die MSZP noch immer keine sichtbaren Schritte zur inhaltlichen und personellen Erneuerung
unternommen hat, die aber nicht nur als interne Abrechnung für das Versagen in der Vergangenheit, sondern auch als Darstellung einer Alternative dringend notwendig wäre.
Die Dinge nur "schlecht" finden, reicht nicht.
Dauerndes Lavieren könnte die Existenz der LMP gefährden
Möglich ist aber auch, dass die LMP durch die scharfe Abgrenzung sich möglichst vielen
Wählern im bürgerlichen Spektrum empfehlen will, die ihr bei einer frühzeitigen Bündniserklärung mit der Linken den Rücken kehren würden. Stellt sich dann die Frage
nach einem erreichbaren Machtwechsel, dürfte sich die Koalitions- oder Bündnisfrage ohnehin neu stellen.
Beobachter sehen in der angestrengten Äquidistanz der LMP zu beiden großen politischen
Lagern aber auch ein Problem, denn die Wähler werden bei den nächsten Wahlen wohl wieder vor eine Richtungsentscheidung gestellt, was die LMP, die so hoffnungsfroh
gestartet war, zerreiben könnte. War sie vor der Wahl 2010 noch die einzige nicht-Fidesz, nicht-MSZP-Alternative für die, die nicht Jobbik wählen konnten, haben sich die
politischen Koordinaten und die politische Parteienlandschaft mittlerweile gewandelt bzw. sind im starken Wandel begriffen. Vor allem die Abspaltung der DKP (Gyurcsány) innerhalb
des alten, aber noch aktuellen Parteiensystems, aber auch die Gründung gesellschaftlicher Bewegungen wie der Szolidaritás und die nächstes Jahr statt findende Parteiwerdung der
(bisherigen) Jugendbewegung 4K! sind hierbei hervorzuheben. Allen ist die Ablehnung des Fidesz gemeinsam, was Grund genug sein sollte, Animositäten zu überwinden.
Noch kann sich die Regierungspartei zurücklehnen, noch
So müssen die Nationalkonservativen von Fidesz-KDNP zwar zusehen, wie ihnen
mittlerweile die Hälfte ihrer Wählerschaft von 2010 die Unterstützung versagt, die Zersplitterung, Orientierungslosigkeit und Kompromissunfähigkeit der Linken jedoch lässt
die relativen Kräfteverhältnisse unverändert. Viel mehr fürchten muss sich das Regierungslager da schon vor einer weiter erstarkenden Jobbik, aber auch einer
unkanalisierten und von Parteien nicht gefilterten Wut der Arbeiterschaft, deren Anwachsen die einzige nennenswerte Oppositionsbewegung seit der Machtübernahme im Frühjahr 2010 ist.
Christian-Zsolt Varga / red.
Aktuelle Hintergründe zur Parteienlandschaft und der neuen Oppsitionsbewegung:
Licht im Nebel - Oktober 2011 Perspektiven für einen Machtwechsel in Ungarn http://www.pesterlloyd.net/2011_44/44perspektiven/44perspektiven.html
Frühling im Herbst - November 2011
“Solidarität” als Schlüssel für einen Politikwechsel in Ungarn? http://www.pesterlloyd.net/2011_44/44szolidaritas/44szolidaritas.html
Selbsternannte Heilsbringer - Oktober 2011
Zur Spaltung der "Sozialisten" in Ungarn http://www.pesterlloyd.net/2011_42/43mszpDKP/43mszpdkp.html
Die Republik der Bürger - Juni 2011
Bürgerproteste und neue Opposition in Ungarn - Teil 2: die LMP http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25republik2/25republik2.html
Die andere Mehrheit - Mai 2011
Die LMP stellt mit Referenden die direkte Demokratie auf den Prüfstand http://www.pesterlloyd.net/2011_21/21lmpreferendum/21lmpreferendum.html
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