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(c) Pester Lloyd / 49 - 2011  WIRTSCHAFT 08.12.2011

 

An die Reserven

Ministerrücktritt in Ungarn wegen IWF-Verhandlungen - Reserven werden angezapft - Angst vor Eurozonen-Downgrade

Ungarn will seine Währungsreserven anzapfen, um die immer stärker werdende Kreditklemme zu lösen und Wachstum anzukurblen, ein Minister tritt zurück, um sich ganz den ängstlich erwarteten IWF-Verhandlungen widmen zu können, - nur der Wirtschaftsminister sieht wenig Handlungsbedarf, er möchte "hier und dort" ein paar kleine Änderungen vornehmen, aber kaum wirkliche Korrekturen. Dabei schlingert Ungarn schon wieder in gefährlichen Gewässern und schielt zitternd auf die Eurozone.

Letzte Reihe Business-Class. Premier Orbán mit seinem Innenminister auf dem Weg zu den Parteifreunden nach Marseille. Da fliegt er Linie, bei der Krisenbewältigung schlingert er mehr. Foto: MEH

Wie wichtig für Ungarn die ungeliebten Gespräche über ein neues "Sicherheitsnetz" mit dem IWF sind, zeigt der Paukenschlag, der am Donnerstag durch Budapest hallte: der mit den Verhandlungen beauftragte Minister für Nationalentwicklung, Tamás Fellegi, bat um Entbindung von seinem Ministerposten, "um seine ganze Kraft seinen Aufgaben als Leiter der Regierungsdelegation beim IWF" widmen zu können. Die Verhandlungen sollen bereits in der kommenden Woche starten, Fellegi hat seinen Rücktritt bei Orbán eingereicht, der will aber erst in der kommenden Woche entscheiden, am Wochenende wollen sich beide unterhalten.

Der Schritt unterstreicht, wieviel für Ungarn und die Regierung bei den IWF-Verhandlungen auf dem Spiel steht. Vielleicht soll er die Wichtigkeit auch nur künstlich anheben, Fellegi könnte dann als einsamer Ritter aus der Schlacht zurückkehren und die Regierung behaupten: sie habe alles versucht. Scheitern die Gespräche, weil sich die Regierung aus innenpolitischen und ideologischen Überlegungen nicht auf die beim IWF üblichen Bedingungen und Kontrollmechanismen einlassen will, könnte der Forint ins Bodenlose stürzen, die Finanzierung der Staatsschulden am internationalen Anleihemarkt komplett zusammenstürzen.

Minister Fellegi im Gespräch mit seinem Chef. Er gilt als dem engeren Zirkel um Orbán zugehörig und hat direkten Einfluss auf eine expandierende, regierungsfreundliche Mediengruppe

“Ungarn würde eine Herabstufung der Eurozone sehr hart treffen”

Das wäre der Preis für den postulierten "Unabhängigkeitskampf" gegen die multinationalen Finanzhaie. Binnen Wochen stünde Ungarn wieder, wo es bereits im Herbst 2008 stand. Denn weder kauft man auf internationaler Ebene Ungarn das Budget für 2012 ab, noch die Ankündigung dauerhafter Schuldensenkung. Dagegen sprechen sämtliche Prognosen und Fundamentaldaten, angeblich wird seitens EU und IWF bereits an einem Plan B gebastelt, da man das Scheitern Ungarns als wieder realistisches Szenario ansieht.

Auch die jetzt in Budapest hektisch begangenen Wege, sind da nichts weiter als Flickschusterei. Der ungarische Regierungschef forderte "die schlafenden Reserven zum Nutzen des Landes zu erwecken", die Zentralbank solle Forint in den Markt werfen, um die Kreditklemme zu lösen und Wachstum zu ermöglichen. Gleichzeitig wird es nur "kleine" Anpassungen des Staatshaushaltes an realistischere Basisdaten geben. Experten raufen sich die Haare, doch eigentlich macht Ungarn in der Geldpolitik nichts anderes als die ganze Welt. Nur ohne den Background von Reserven, Leumund oder einer starken Wirtschaft.

Orbán, kurz vor dem Abflug?, Foto: MEH

Orbán gestand ein, dass er derzeit nur ängstlich auf die Entwicklungen in der Eurozone schaut, bangend, man möge dort eine die Märkte befriedende Stabilitätslösung herbeizaubern. Denn ihm ist völlig klar, dass eine "Herabstufung der Eurozone Ungarn sehr hart treffen würde", sagte er beim EVP-Kongress in Marseille. Doch hinsichtlich eigener Aktivitäten, nimmt sein Wirtschafts- und Finanzminister eher die Haltung des Kaninchens vor der Schlange ein.

Nationalwirtschaftsminister: “nur kleinere Änderungen”

Nur zwei Tage nach seinem liebdienerischen Auftritt mit dem deutschen Amtskollen Schäuble in Budapest, hat der ungarische Nationalwirtschaftsminister Matolcsy wieder zu alter Form gefunden. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch sang er wieder das Lied, wonach "Ungarn in Haushaltsfragen disziplinierter" sei als "die gesamte Eurozone" etc. etc. Eigentlicher Anlass der Pressekonferenz war jedoch die Ankündigung, den gerade als Gesetz verabschiedete Haushalt 2012 wieder aufzuschnüren und zu modifizieren. So viel zum Thema Disziplin. Matolcsy schließt sich nun dem optimistischeren Teil der Expertenmeinungen an, wonach ein Wachstum von 0,5 bis 1% des BIP erwartbar sei. Die meisten Ökonomen erwarten jedoch eine Schrumpfung um 0,5 bis 1%. Matolcsy: "Die Regierung wird kleinere Änderungen auf der Einnahmen- wie Ausgabenseite vornehmen, das Defizitziel von 2,5% zum BIP bleibt jedoch erhalten".

Auch wenn die diesjährigen Haushaltsziele nur unter dem Einsatz massivster Einmaleinnahmen (im Gesamtwert von fast 6% des BIP) erreicht werden konnten, verortet Matolcsy die Staatsschuldenquote von heute 80% zum BIP 2015 irgendwo zwischen 65 und 70% und "nah bei 50%" im Jahre 2020. Dies bedeutet auch, dass der ungarische Staatshaushalt erst in ca. 8 Jahren verfassungskonform wird, denn dort steht eine Schuldenbremse von 50% drinnen, erst bei der Erreichung dieser Kennziffer wird übrigens auch das Verfassungsgericht wieder in seine vollen Rechte eingesetzt. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die ungarische Wirtschaft spätestens ab 2013 jährlich um 3-5% wachsen. Besonders aberwitzig klingt in diesem Zusammenhang, dass der parlamentarische Ausschuss für Haushaltsfragen (wieder einmal) strafrechtliche Untersuchungen gegen Ex-Premier Gyurcsány wegen des Hantierens mit offensichtlich falschen Haushaltsdaten einleiten will.

“Schlafende Reserven wecken”

Ein wichtiger Hinweis auf die zukünftige Ausrichtung der staatlichen Finanzwirtschaft war die Bemerkung Matolcsys, dass man "erwarte", dass die Zentralbank neue Anleiheprogramme für Hypotheken- und Unternehmenskredite auflegt (über die sich Banken zu günstigen Konditionen mit zweckgebundenen Kreditmitteln eindecken können), um "das Wirtschaftswachstum zu unterstützen". Premier Orbán nannte das in der Vorwoche "die schlafenden Reserven zum Nutzen des Landes zu erwecken". Die Zentralbank solle ihre Forintreserven einsetzen, um solche Anleihen der Banken zu kaufen, so wie es auch die Europäer, Amerikaner und Engländer tun. Die Devisenreserven, die übrigens seit langem im letzten Monat zu sinken begannen, seien indes tabu. Die Steuerung der Geldmenge ist ohnehin alleinige Aufgabe der Zentralbank, in früheren Zeiten war schon die Aufforderung zu einer Veränderung ein Sakrileg, das indes in der Eurokrise gefallen ist. Ungarn ist wie immer konsequenter, es wird durch ein neues Nationalbankgesetz die Unabhängigkeit der Zentralbank gesetzlich beenden, was immer die Finanzmärkte davon halten.

Banken versuchen einen Deal

Über eine "Ausweitung der Liquidität" des ungarischen Bankensektor wolle man "Rahmengespräche" mit der Bankenvereinigung und der Zentralbank "als unabhängige Institution" führen. Die Bankenvereinigung legte der Regierung hingegen erstmal eine Obergrenze für die bevorzugte Kreditablöse von Forex-Darlehen vor. Darin heißt es, dass man bereit sei, rund 400 bis 500 Milliarden Forint (1,3-1,6 Mrd. EUR) an Lasten daraus zu tragen, jedoch "über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren". Die Regierung hingegen will nun sogar ihre hunderttausenden öffentlich Bediensteten mit kostengünstigen Staatskrediten ausstatten, damit noch mehr ihre Forex-Schulden zu vergünstigten Kursen zu Lasten der Banken auslösen können. Wenn sich der Staat über mangelende Liquidität der Banken (Kreditklemme) wundert, könnte er mit den Banken zum Beispiel darüber reden. Hier scheint man einen Deal: Lastenbegrenzung gegen Kreditvergabe vorzubereiten.

Das geforderte Anzapfen der Währungsreserven rief das unmittelbare Entsetzen von Matolcsys Amtsvorgänger, Péter Oszkó, hervor (ein Wirtschaftsprüfer, der unter Premier Bajnai einer von der MSZP konstruierten Expertenregierung angehörte). Dieser Schritt würde alles andere bedeuten als die Reduzierung der Staatsschulden, der nächste Schritt wäre dann: Gelddrucken. Allein die Ankündigung sei ein weiterer Schritt, "um Ungarns Glaubwürdigkeit und finanzielle Stabilität" zu gefährden. Vielmehr sei eine "radikale Neuschreibung" des Budgets von Nöten, um weitere Herabstufungen, die Steigerung von Zinsen und das Fallen des Forints zu verhindern.

Anstatt des ständigen Geredes vom "wettbewerbsfähigsten Land der Region binnen drei Jahren", sei es nötig, erstmal vom heutigen Junk-Status wegzukommen und die fehlgeleitete Wirtschaftspolitik der letzten 18 Monate zu korrigieren. Nichtmal die Milliarden aus der beschlagnahmten privaten Rentenversicherung hätten die Staatsschulden spürbar sinken lassen. Wie Oszkó indes die tatsächlich vorhandene Kreitklemme für den Mittelstand durchbrechen will, um die Wirtschaft zum laufen zu bringen, dazu hatte er keinen passenden Vorschlag.

Alles weitere in WIRTSCHAFTSPOLITIK, FINANZMARKT und im Überblick in der WIRTSCHAFT

red.
 

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