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(c) Pester Lloyd / 49 - 2011  WIRTSCHAFT 06.12.2011

 

Kedves Wolfgang!

Ein Hauch Kritik: Schäuble sprach in Ungarn zu Euro-Krise und nationalem Egoismus

Es ist gar nicht so einfach, Werbung für eine Fiskalunion ausgerechnet in einem Land zu machen, das gerade alle Geister für seinen Sonderweg beschwört. Der deutsche Finanzminister versuchte es trotzdem und nutzte den Nimbus der ihm am Montag in Budapest verliehenen Ehrendoktorwürde, um den Ungarn den tieferen Sinn von Europa und Gemeinschaft zu erläutern. Seine Gastgeber demonstrierten, dass solche Mühen wohl vergebens sind.

Am Montag, 5. Dezember, war der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, Gast an der Corvinus Universität Budapest, wo er die Ehrendoktorwürde der auf Wirtschaft spezialisierten Hochschule erhielt. Zudem bildete der zur Zeit im politischen Dauerlöscheinsatz befindliche Minister den personellen Höhepunkt einer von Adenauer-Stiftung, Andrássy- und Corvinusuniversität ausgerichteten Konferenz zum weitgesteckten Thema Krise und Integration.

Samthandschuhe waren das Kleidungsstück des Tages bei der Konferenz
in der Corvinus-Universität, Foto: MTI

In seiner Dankesrede und bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Thema „Europa am Scheideweg: Strategien für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum“, an welcher auch der ungarische Wirtschaftsminister György Matolcsy, wie auch die Finanzminister Rumäniens, Tschechiens und der Slowakei teilnahmen, äußerte sich Schäuble zu aktuellen Fragen der europäischen Finanzkrise.

Schäubles Grundsatzrede zur europäischen Idee
– nationale Egoismen unverantwortlich

Unvermeidlich wie das Amen in der Kirche, stand am Anfang ein Ritual des deutsch-ungarischen Protokolls: zunächst drückte Wolfgang Schäuble die Dankbarkeit Deutschlands gegenüber Ungarn bezüglich dessen Rolle beim Fall des Eisernen Vorhanges aus, was „wir Deutsche den Ungarn nie vergessen“... Für Deutschland sei bereits damals klar gewesen, dass auf die Überwindung der Teilung Deutschlands eine konsequente europäische Integration folgen müsse, welche alle Teile des Kontinents einbezieht.

Schäuble wies darauf hin, dass es auch zu dieser Zeit, als die allgemeine Unterstützung für die europäische Idee um ein wesentliches höher ausfiel als heute, immer Diskussionen über die Schwierigkeiten und Voraussetzungen des europäischen Projekts gegeben habe, er jedoch immer an die große Kraft der europäische Einigung geglaubt habe, da sie für Freiheit, Demokratie und den Wunsch der Völker stehe, in einem vereinten Europa zu leben. Die europäische Idee lebe auch heute, allen Schwierigkeiten zum Trotz, weiter, betonte Schäuble und fügte hinzu, dass Europa immer gestärkt aus Krisenzeiten hervorgegangen sei.

In Richtung Wirtschaftsminister Matolcsy und der aktuellen ungarischen Regierung,  welche nach innen eine sehr EU-kritische, ja regelrecht feindliche Linie und Rhetorik fährt, durchaus aber auch an den slowakischen Kollegen gerichtet, wies der deutsche Finanzminister daraufhin, dass jedoch besonders in Zeiten der Krise, die nationalen politischen Eliten ihrer besonderen Verantwortung gerecht werden und der Versuchung widerstehen müssten, die Verantwortung für die Probleme immer auf andere zu schieben: „Die Europäische Union ist nicht die Ursache der Probleme, sondern der Versuch der Lösung der Probleme.“ Dies müsse man den Bürgern wieder und wieder erklären, statt in nationale Egoismen zurückzufallen.

Bekanntlich bezeichnete Premier Orbán "Brüssel" schon als "das neue Moskau", freilich nicht auf internationaler Bühne, aber vor seinen Anhängern und jeden Tag wird den Ungarn eingetrichtert, dass die Schuld an der ungarischen Wirtschaftsmisere bei der "tiefen, langanhaltenden Eurokrise" und "feindlichen, ausländischen Spekulanten" zu suchen sei.

Ein Höhepunkt der "Kritik unter Freunden"

Im Angesicht der bisher vorgetragenen Verteidigungsreflexe oder des zustimmenden Schweigens der CDU als Fidesz-Schwesterpartei in der EVP zu den demokratischen und rechtstaatlichen "Errungenschaften" der Orbán-Regierung, waren die Aussagen Schäubles ein kaum dagewesener Höhepunkt der "Kritik unter Freunden". Mehr ist angesichts der ideologischen Genetik, die dieser eigentlich längst altmodischen Partei CDU innewohnt, wohl einfach nicht zu erwarten, stehen in Ungarn heute mitunter auch Grundrechte und demokratische Grundnormen auf dem Spiel, die eigentlich gar nicht verhandelbar sein sollten. Daher wären hier - viel früher schon - viel deutlichere Worte angebracht, ja zwingend gewesen, wenn man die europäische Idee tatsächlich nicht nur als eine Idee von freien Märkten sieht.

Der ungarische Regierungschef machte sich, im Unterschied zu seinem Wirtschaftsminister, nicht die Mühe, für den Gast seine sonst gepflegte Rhetorik groß umzustellen. Immerhin blieb er sich treu.

Bei seinem Treffen mit Premier Orbán verklausulierte er das basse Staunen der Europäer in "bemerkenswerte Reformen", die Ungarn angehe, während der ungarische Regierungschef weiter die Notwendigkeit "unorthodoxer Maßnahmen", seinem Fetisch, betonte. Die Gedanken über eine Einführung der Schuldenbremse in der EU und von Finanzsteuern, bestätigten Orbán darin, dass Ungarn eine Art Vorreiter ist, wörtlich: "Wenn das hier vorbei ist und Matolcsys Wachstumsplan funktioniert, dann sind wir das wettbewerbsfähigste Land in der EU". Ein Satz, den wir an dieser Stelle mit Rücksicht auf den vokabularen Anstand nicht weiter kommentieren wollen.

Schäuble wurde bei der Konferenz recht schnell wieder allgemeiner, die ungarischen Gastgeber konnten aufatmen. Es sei es zwar verständlich, dass der Druck der Globalisierung, die allgemeine Beschleunigung des Lebens und der Kommunikation, u.a. hervorgerufen durch faszinierende neue Technologien, vielen Menschen Angst bereite. Gerade deshalb jedoch dürfe Europa nicht stillstehen oder zurückfallen, keines der Länder in der EU sei groß genug, um alleine diesen Herausforderungen entgegentreten zu können, nur gemeinsam habe Europa die Chance und auch Verpflichtung der Welt zu zeigen, dass man jahrhundertelange Spaltungen und Kriege überwinden könne und eine bessere Zukunft möglich ist und aufzuzeigen, dass Solidarität und der Ausgleich von Interessen zwischen momentan wirtschaftlich schwächeren und stärkeren nicht etwas sei, dass jemanden schade, sondern etwas, das allen helfe.

Umgang mit der Krise – Eurobonds jein – erst Fiskalunion notwendig

Bezüglich des Umgangs mit der aktuellen europäischen Schuldenkrise wies Schäuble Forderungen nach einer stärkeren Rolle der Europäischen Zentralbank (welche dauerhaft Staatsanleihen von Euro-Staaten kaufen würde) entschieden ab: „Wer glaubt, die Krise könnte durch die EZB gelöst werden, liegt falsch“. Auch die Einführung von Eurobonds, also einer gemeinsamen EU-Schuldenaufnahmepolitik, lehnt Schäuble zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab, da „der Anreiz, Schulden zu günstigen Zinsen aufzunehmen, für die Andere mithaften“ für einige Staaten eine „unüberwindliche Versuchung“ darstellen würde. Damit vertrat er natürlich die Merkel-Linie, die Deutschland derzeit heute viel Sympathien kostet und genauso als nationaler Egoismus gewertet werden könnte, wie das Schäuble mit den "unorthodoxen Maßnahmen" und dem ganzen Brimborium der Ungarn tat.

Die Lösung liegt, laut Schäuble, jedoch in der vorherigen Etablierung einer Fiskalunion: „Was ist zu tun? Jetzt müssen wir schaffen, was wir in den 90er nicht geschafft haben, nämlich der Währungsunion eine Fiskalunion zur Seite stellen, solange wir das nicht schaffen, wird die Krise nicht gelöst werden!“. Dafür müssen man die EU-Verträge ändern, jedoch ohne einen neuen Vertrag schreiben zu müssen, in welcher die Haushalte der EU-Staaten, welche die EU-Anforderungen nicht erfüllen, abgelehnt werden können. Dass darin das Risiko liegt, letztlich doch auf ein Kern- und ein Randeuropa zuzusteuern und damit auf den Beginn einer erneuten Teilung, diese Gedanken, die ja nicht nur von der Angst der armen Ländern getragen werden, weniger Transfergelder zu erhalten, sondern jeden wahren Europäer sorgen müssen, wollen Schäuble und die Bundesregierung offenbar nicht zulassen.

Wie erklärt man einen Sonderweg, den man selbst nicht versteht?

Ungarn hat schon mehrfach betont, dass gemeinsame Steuersätze oder eine EU, die in nationale Budgets hineinregiert, nicht in Frage kommen. Man würde damit jede Chance verlieren, sich in punkto Wettbewerbsfähigkeit entwickeln und so jemals den Rückstand zu den alten EU-Ländern aufzuholen zu können. Allerdings wurde - zwischen den Zeilen - auch deutlich, dass Schäuble mit der Fiskalunion zunächst die Euro-Länder meinen könnte, Ungarn hat dahingehend ja noch ungefähr ein Jahrzehnt Schonfrist, glaubt man den Prognosen aus dem offiziellen Budapest.

Wirtschaftsminister Matolcsy tat aber - dem Gast zuliebe? - so, als unterstütze Ungarn Schäubles Pläne von einer Art gemeinsamer Wirtschaftsregierung, bat nur noch um etwas mehr Vorbereitungszeit dafür. Diese Janusköpfigkeit zwischen Innen- und Außendarstellung ist uns schon bestens aus der Ratspräsidentschaft bekannt. Der Nationalwirtschaftsminister schmierte seinem Gast Honig ums Maul, dass es fast nicht erträglich war und sprach von dem großen Vorbild, das Deutschland den Ungarn gibt, in der Wirtschaft, der Bildung und überhaupt.

Matolcsy und seine Eier des Kolumbus

Matolcsy unterließ auch vor internationalem Publikum die sonst in Budapest gepflegte Rechthaberei nicht, auch wenn der Ton gemäßigter war. Den lächerlichen Satz, den wir hier täglich zu hören bekommen, "Ungarn ist neben Schweden das einzige Land, das seine Staatsverschuldung in diesem Jahr verringert" blieb auch diesmal nicht ausgespart, erklang nur einen Hauch verklausulierter. Schade, dass niemand bereit war, Matolcsy zu nötigen, dabei auch den Preis und das Risiko zu benennen, den sein Volk und die junge ungarische Demokratie für die national beflaggten Hau-Ruck-Aktionen dieser Regierung zu zahlen und einzugehen haben. Auch unterließ es Matolcsy, "kedves Wolfgang" daraufhin zu weisen, dass Deutschland seine Neuverschuldung im nächsten Jahr ohne Not weiter anhebt, was alles andere bedeutet als eine Demonstration der von Schäuble oben angemahnten Verantwortlichkeit. Dazu fehlte ihm einfach der Mumm.

Ein paar Peinlichkeiten ersparte der Minister seinem Land doch auch diesmal nicht. So konnte er es nicht lassen, seinen am Freitag präsentierten "Plan für Wachstum", den wir hier bereits angemessen gewürdigt haben, noch einmal als das Ei des Kolumbus hinzustellen, obwohl es davon schon ein ganzes Nest gibt und es war in gewisser Weise typisch, dass Matolcsy an jeder nur denkbaren Stelle die "ungarische Sicht" bemühte, was nicht nur zeigte, dass man im offiziellen Budapest zu einer europäischen Sicht nicht in der Lage oder willens ist, sondern auch, welch unterschiedliche Formate von Politikern das Präsidium bestückten.

Am Dienstag reiste Schäuble nach Wien weiter, um seinem Parteifreund, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel das letzte Geleit aus der Politik zu geben. Schüssel legte vor einiger Zeit sein Parlamentsmandat nieder, nachdem die Korruptions- und Amtsmissbrauchsverdachtsfälle aus seiner Amtszeit sogar für österreichische Verhältnisse überhand nahmen. Freilich sei das kein Schuldeingeständnis. Bei Schäuble kann er sich immerhin weisen, viellecht zu späten Rat holen, wie man Skandale politisch mehr oder weniger unbeschadet überstehen kann. Der Mann hat darin ja Erfahrung und seine Fahrt nach Wien wird in gewisser Weise eine Zeitreise.

red. / Varga / ms.

 

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