(c) Pester Lloyd / 03 - 2012 KULTUR 22.01.2012
Nationalballett
Neue Scharmützel im Kulturkampf um Ungarn
Anfang Januar waren die Türen des Merlin Theaters in Budapest verschlossen, weil die Förderungen für das englischsprachige Theater massiv gekürzt wurden. Jetzt
fährt man Notprogramm. In dieser Woche wurde auch der Leiter des Trafó, des wohl wichtigsten Zentrums für zeitgenössische Kunst in Budapest, György Szabó,
verabschiedet, die "Nationalchoreographin" Yvette Bozsik, übernimmt. Ein bekannter Schrifsteller untersagt derweil dem Staatsfunk die Aufführung seiner
Werke, weil er nicht Teil der neue Propagandamaschine sein will.
Szenenfoto einer Aufführung im Merlin Theater
Die Besetzung des Neuen Theaters in Budapest mit dem Rechtsextremisten Dörner war
Höhepunkt von Entwicklungen, wie sie davor und danach in Europa eher nur am Rande wahrgenommen wurden. Die "Neuordnung" von Festivals und Filmförderung, die
Umbesetzungen in Theatern und Museen bis hin zur Uminterpretation von Geschichte in der Holocaust-Gedenkstätte, die Mittelkürzungen für alternative Kulturkonzepte, die zum
größten Teil politischer denn fachlicher Motivation oder budgetärer Not entspringen, werden auch dieser Tage vorangetrieben.
Mehr dazu gibt es im aktuellen Beitrag “Wie Feuer und Wasser” sowie den zahlreichen darin enthaltenen Links
Erfolgreicher Leiter des Trafó muss gehen
Der Vertrag mit György Szabó, Direktor des Trafó (Foto), des seit 13 Jahren bestehenden und international
renommierten "Haus für Zeitgenössische Kunst" und Fixpunkt der alternativen Kulturszene Ungarns, wird per Ende Juni auslaufen und nicht verlängert. Die
Ausschreibung gewann jemand anders, nach rein fachlichen Kriterien, wie immer. Dabei war die letzte Saison die mit Abstand erfolgreichste, das Trafó konnte
2011 mit einem Rekord an Besucherzahlen und Einnahmen aufwarten. Doch wie bereits beim Kulturzentrum Vizraktér, steht solch ein freies und internationales Verständnis von Kunst und Kultur den
neuen Leitlinien einer "nationalen Kulturpolitik" entgegen.
Die Stadt Budapest hat sich daher nun entschlossen, die
durchaus anerkannte Choreographin Yvette Bozsik auf den Direktorenposten zu setzen, was eine deutlich
"nationalere", zumindest konservativere Ausrichtung des Trafó bedeuten wird, dessen wilde Zeiten damit vorbei sein dürften. Die 43jährige Bozsik arbeitete nämlich die letzten
zehn Jahre überwiegend für das "Nationale Tanztheater" und die "Nationale Ballettschule",
was zwar ehrenwert ist, aber nicht unbedingt für die Leitung des Epizentrums freier und alternativer Kulturentfaltung, wie es das Trafó bisher war, qualifiziert. Die Richtung ist
also klar, das Vorgehen typisch. Nach Bekanntgabe der Entscheidung hat sich eine Facebook-Gruppe und eine Initiative zur Unterstützung Szabós gebildet, was immer das bringen wird.
Merlin Theater in Budapest steht vor dem Aus
Beim Budapester Merlin Theater, ausgerichtet auf zeitgenössische und internationale
Theaterproduktion in englischer Sprache, ist der Betrieb aufgrund der weiteren Kürzung staatlicher Unterstützung, allein in diesem Jahr nochmals um 2/3, akut gefährdet. Das
derzeitige Theatergebäude im Zentrum der ungarischen Hauptstadt wird wohl auf jeden Fall aufgegeben werden müssen und ob der Betrieb, der Anfang Januar eine Weile ganz
ruhte und nun im Survival-Modus weitergeht, überhaupt an anderer Stelle fortgesetzt werden kann, steht derzeit in den Sternen.
Im Februar wird darüber entschieden, ob es dem Merlin bewilligt wird, gemeinsam mit
dem Atrium Kino, ein Kulturzentrum auf der Budaer Seite einzurichten, das als eine Art Sammelbecken für verschiedene Künstler und kulturelle Einrichtungen dienen könnte.
Aktuell möchte man sich beim Merlin zu der derzeitigen Situation und den Gründen für die Umstrukturierungen nicht äußern. Allein diese Vorsicht zeigt aber wieder mal, dass das Eis
für unabhängige Institutionen mit einem Blickwinkel, der über die nationale Sichtweise hinausgeht, dünner wird.
Lajos Parti Nagy will kein “Sprachrohr” sein
Aus Protest gegen die rigorose Durchsetzung des eines "Einparteien-Kulturverständnisses"
hat sich bereits letzte Woche der bekannte ungarische Schriftsteller, Theater- und Hörfunkautor, Lajos Parti Nagy, dazu entschlossen, die Verwendung seiner Werke durch
das „staatlich monopolisierte Sprachrohr der öffentlich-rechtlichen Medien“ zu untersagen. Das Aufführungsverbot erteilte er nach einer Anfrage des staatlichen
Rundfunks, er will nicht Teil dieser Propagandamaschine sein.
H. Hecker
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