(c) Pester Lloyd / 04 - 2012 WIRTSCHAFT 23.01.2012
Teurer Dezember
Aktuelle Wirtschaftsnachrichten aus Ungarn
Defizit durch viele Einmaleffekte verzerrt und 2,5 fach über dem Ziel - Verlangt IWF doch Änderungen an der Flat Tax? - EU-Transferlseistungen auf Rekordhoch -
Handelskammern mit mehr Geld und Macht - Rücktritt im Landwirtschaftsministerium
Ungarisches Defizit durch Einmaleffekte verzerrt
Das Ministerium für Nationalwirtschaft bestätigte jetzt das vom Statisitkamt KSH in erster Lesung verbreitete
Dezemberdefizit des Staatshaushaltes von 486.5 Milliarden Forint (ca. 1,62 Mrd. EUR), das höchste seit dem Jahre 2004. Damit überschreitet das Haushaltsdefizit für das Gesamtjahr
mit 1.734 Mrd. Forint die Jahresvorgabe um 10%, liegt also 2,5 mal über dem eigentlich geplanten Defizit.
Ungarn hat im Jahr 2011 Einmaleinnahmen aus der Beschlagnahme der privaten
Rentenversicherungen zum Gegenwert von rund 9,6% des BIP zu verzeichnen, weshalb ein Buchüberschuss von 3,5% vorliegt. Dass vor allem im Dezember dennoch so ein hohes
Defizit zu Stande kam, obwohl in diesem Monat weitere Sondereinnahmen wie die Bankensteuer und branchenorientierte Krisensondersteuern verbucht werden konnten,
liegt an einer Reihe "unvorhergesehener Ausgabenposten":
Darunter fallen für den Finanzminister u.a. der Erwerb des 21,2%-Anteils an der MOL von
der russischen Surgutneftegas (498,6 Mrd. HUF), eine Kapitalspritze für die staatliche Entwicklungsbank MFB von 120 Mrd. HUF, die Teilschuldenübernahme der Staatsbahn (50
Mrd.), die Übernahme der Schulden der Komitate, samt ihrer Einrichtungen (196 Mrd.), die Rückzahlung unrechtmäßig einbehaltener Mehrwertsteuer nach einem EU-Urteil (ca.
250 Mrd. waren geplant, bis heute kamen 15.000 Anträge mit über 289 Mrd. HUF Rückforderungen zusammen).
Die EU-Kommission kritisierte bereits, dass es sich bei dem vorgelegten Haushalt um eine
Schönung durch Einmaleffekte handelt und man große Bedenken hinsichtlich der Vorgaben für die kommenden zwei Jahre hegt, da das strukturelle Defizit sich kaum verbessert hat.
Die EU prüft die Wiederaufnahme des Defizitverfahrens. Haushaltskommissar Olli Rehn setzt das Defizit auf 6%.
Ganz aktuellen Berichten zufolge, wird der IWF als eine Bedingung seiner Verhandlungen
auch eine Modifikation der flat tax fordern, die u.a. dafür verantwortlich ist, dass dem Staat allein 2011 Steuereinnahmen von rund 500 Mrd. Forint verloren gegangen sind, ganz
abgesehen von der stattgefunden unsozialen Umverteilung. Aus IWF-Kreisen ist zu hören, dass man entweder eine Anpassung von 16 auf 19% oder die Einführung eines zweiten
Steuersatzes erwartet. Die flat tax, samt des Steuersatzes ist Teil des "Finanzstabilitätsgesetzes", das wiederum eines der Kardinalsgesetze der Verfassung
darstellt und somit nur mit 2/3-Mehrheit änderbar ist, über die das Fidesz heute noch verfügt. Mehr zur Flat tax im Beitrag: Versteuert.
EU-Transferleistungen an Ungarn auf Rekordhoch
Die Transferleistungen der EU an Ungarn haben im Jahre 2011 einen neuen Rekord
erreicht. Allein im vierten Quartal flossen Netto 1.7 Mrd. EUR an Förderungen nach Budapest, im Gesamtjahr 2011 waren es 4,37 Mrd. Euro, ca. 3,5% des BIP, so viel wie nie
zuvor, auf Platz 2 kommt das Jahr 2009 mit 2,73 Mrd. Das zeigen die gerade veröffentlichten Daten der Ungarischen Nationalbank, MNB. Damit lagen die EU-Zahlungen
2011 noch mal 60% über dem Wert von 2010, mit 2,62 Mrd. EUR. Allein die Devisenreserven wurden - nur durch die EU-Zahlungen um durchschnittlich 10% aufgebessert, im letzten Jahr sogar um 13%.
Handelskammern in Ungarn mit mehr Geld und Macht
Durch eine Gesetzesänderung werden die lokalen und die zentrale Industrie- und
Handeslkammer, MKIK mit mehr finanziellen Mitteln ausgestattet. Sie erhalten 10% der Beiträge der Mitgliedsunternehmen. Seit Beginn dieses Jahres besteht eine
Pflichtmitgliedschaft für alle Unternehmen (wie z.B. in Österreich), die Anmeldgebühr ist mit einheitlich 5.000 Forint (ca. 17 EUR) festgeschrieben, unabhängig von der
Unternehmensgröße, dazu kommt ein Mitgliedsbeitrag. 10% davon bleiben bei der Zentrale, der Rest wird für die Finanzierung von Schiedsstellen und die lokalen
Kammerstrukturen verwandt. Ab diesem Jahr hat die Kammer auch erstmals einen eigenen Budgetposten, wird also auch aus Steuermitteln der Arbeitnehmer finanziert.
Ursprünglich waren dafür 1,9 Mrd. Forint, ca. 6,4 Mio. EUR, vorgesehen, davon wurden
schließlich 400 Mio. für die Schiedsgerichte zweckgebunden, 1 Mrd. wurde wegen einer Haushaltssperre zeitweise eingefroren, 500 Mio. freigegeben. Zusätzlich verwalten MKIK
und die neue Handelsförderungsstruktur HITA einen weiteren Fonds über 1,2 Mrd. Forint, der für Aufgaben der Exportförderung dienen soll. Die Aufwertung der Kammern wird von
Kritikern als Steuerinstrument lokaler und nationaler Interessensgruppen gesehen, so haben die Kammern bei zukünftigen Standortvergabeentscheidungen ein gewichtigeres
Wörtchen mitzurden als zuvor, als solche Entscheidungen eher auf zentraler Ebene, aber oft ebenso intransparent getroffen worden sind.
Rücktritt im ungarischen Landwirtschaftsministerium
Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, József Ángyán, ist vorige Woche
zurückgetreten, am Montag vermeldete das Amt des Ministerpräsidenten die Annahme seines Gesuches durch Premier Orbán. Einen Nachfolger will Landwirtschaftsminister
Sándor Fazekas später verkünden. Für seinen Rücktritt gab Ángyán keine Gründe an, oppositionelle Medien vermuten einen Zusammenhang mit der Kündigung von Angestellten
im öffentlichen Sektor aufgrund von Sparmaßnahmen, die in seinem Interessenskreis tätig waren. Ángyán ist der sechste Staatssekretär bzw. Stellvertreter, der diese Regierung
verlassen hat, bzw. musste.
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red.
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