(c) Pester Lloyd / 05 - 2012 KULTUR 02.02.2012
Neues Theater, alter Ungeist
Rechtsextremist als Theaterdirektor in Ungarn: Demo und Gegendemo in Budapest
Am Mittwochabend fand vor dem Neuen Theater, Új Színház, in Budapest eine Protestkundgebung gegen die Übernahme der Leitung durch den bekannten
Rechtsextremisten, György Dörner, statt. Welches Publikum der neue Direktor anzieht, machte zur gleichen Zeit und in Hörweite eine Gegendemonstration von
mehreren Hundert Neonazis, zum Teil uniformiert, klar.
Die Vertreter mehrerer einschlägig bekannter militanter Neonazigruppen von "Garde" bis
"Betyaren" oder der Vereinigung “64 Komitate”, wollten mit ihrem Aufmarsch absurderweise ein Statement "für die Freiheit der Kunst" abgeben, die von der
"linksliberalen Hegemonie" unterdrückt würde, es gelang den Laiendarstellern und Berufsschauspielern aber nicht mehr als die übliche wüste Nazibrüllerei. Das Stück kannte man schon.
VIDEOUPDATE
Polizei und Rechtsextremistien auf Tuchfühlung am Mittwoch in Budapest. Foto: MTI
Sprechchöre von beiden Seiten machten die Polarisierung deutlich, die Polizei, in
Großaufgebot und voller Montur aufgeboten, hatte teils große Mühe beide Gruppen voneinander zu trennen, es gab vereinzelte Verhaftungen von Provokateuren, auch unter
einigem körperlichen Einsatz. Einige Neonazis schafften es auch vor die Bühne der Anti-Dörner-Demo und provozierten verbal, von Zusammentreffen beider Gruppen ist
bisher nichts bekannt geworden. Die Demonstration von einigen hundert Bürgern, die dem Aufruf der Vereinigung der ungarischen Antifaschisten gefolgt waren, war kleiner als die
Gegendemo, was nicht nur der Kälte, sondern der mangelnden Breite des Aufrufes geschuldet war. Mehr in unserem Video + Fotoreportage.
Die Ernennung von Dörner, der bei mehreren Wahlkampfveranstaltungen der
neofaschistischen Partei Jobbik auftrat und durch antisemitische Äußerungen hinlänglich bekannt war, sorgte im Herbst auch international für großes Aufsehen. Er wolle mit der
"krankhaften liberalen Hegemonie" aufräumen und "der liberalen Anspruchslosigkeit der
Unterhaltungsindustrie den Krieg erklären", dafür ein "echtes Nationales Theater" kreieren. Dörner sagte weiter, er wird eng mit István Csurka zusammenarbeiten, auch
wenn dieser keine offizielle Position am Theater bekam, wie zunächst gewünscht. Der "Dramatiker" Csurka ist Herausgeber des rechtspopulistischen Blattes Magyar Fórum und
einer der führenden antisemitischen Hetzredner des Landes.
Künstler und Intellektuelle aus Ungarn und dem Ausland kritisierten die Ernennungen, der
Dirigent Christoph von Dohnányi verweigerte deswegen einen Auftritt in Budapest. Die Ernennung durch den Fidesz-Oberbürgermeister István Tarlós, die dieser heftig
verteidigte, ist als taktischer Schachzug zu betrachten, um den "intellektuelleren" Teil der rechtsextremen Szene und damit einige Multiplikatoren näher an Fidesz zu ziehen, um die
Wählerschaft der Jobbik zu spalten. Ein Spiel mit dem Feuer allemal.
In zahlreichen europäischen Theatern, darunter auch dem renommierten Burgtheater in
Wien, wurde am 1. Februar vor den Vorstellungen ein Memorandum verlesen, das zu Toleranz, Vielfalt und Solidarität für die Schwächeren im eigenen Umfeld aufruft. "Wenn
200 Kilometer von Wien städtische Kultureinrichtungen ins Mittelalter geführt werden, müssen auch bei uns die Alarmglocken läuten", warnt der Kultursprecher der Grünen
Wien, Klaus Werner-Lobo. "Umso mehr, als auch bei uns die konservative ÖVP eine Regierungsbeteiligung der extremen Rechten nicht ausschließt. Und das trotz der
erneuten unsäglichen Sager des FP-Chefs vom vergangenen Freitag." (FPÖ-Chef Strache hatte angesichts von Protesten gegen einen von Rechtsextremisten dominierten
Burschenschaftsball gesagt: "Wir sind die neuen Juden".)
Der scheidende Theaterdirektor des Neuen Theaters, István Marta sagte, dass ein
Protestbrief als Solidaritätsbekundung in mehreren europäischen Städten verlesen wird. Nach der offiziellen Vorstellung des Direktors heute morgen, ist Márta mit der gesamten
Theatertruppe zu einer Gastvorstellung in Novi Sad aufgebrochen. Somit steht dem neuen Theaterdirektor Dörner nur ein leeres Theater zur Verfügung. Erst am 8. Februar wird er
die Truppe treffen.
Bericht zur Ernennung von Dörner
red
Fotos, Video und Bildtexte Philipp Karl (c) Pester Lloyd
Ausschnitt der Rede von Vilmos Hanti, Chef der Vereinigung der Widerstandskämpfer, Bund der
Antifaschisten. Er bittet zweimal die Polizei, gegen rechte Provokateure vorzugehen, diese marschiert dann auf.
Etwa eine halbe Stunde vor Beginn versuchen Rechtsextreme versuchen Demonstration vorzudringen
und werden von Spezialkräften friedlich aufgehalten.
Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Demonstranten ziehen auch Parallelen zu Thomas
Mann und dem Deutschland der 30er Jahre
Ein klares Bekenntnis zur europäschen Union ging von der Demonstration aus. Anfangs wurde
Beethovens Europahymne gespielt.
In Reden wandte man sich gegen die Instrumentalisierung der Kunst.
Nach einer Bitte des Redners und nach mehrmaligen, lautstarken Störversuchen seitens der
rechtsradikalen Gegendemonstranten begeben sich mehrere Dutzend Spezialkräfte zu den Störenfrieden.
Nicht nur beim Friedensmarsch für Ungarn waren Kerzen zugegen, hier wurde sogar durchgestrichenes
Hakenkreuz aus Kerzen geformt. Wie die Demonstranten skandierten: "Nacik haza" (Nazis nach Hause)
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