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(c) Pester Lloyd / 06 - 2012      POLITIK 07.02.2012

 

Lincoln mit Bulldozer

Ungarischer Premier stellt sich in Frankreich als Revolutionsheld vor

Die französische Tageszeitung Le Monde hat ein Interview mit Premierminister Viktor Orbán geführt. Dabei äußerte er sich zu seiner Selbstwahrnehmung, zur Situation der Demokratie in Ungarn, zur Europäischen Union und zur Kritik des Westens. Gegenüber der Zeitung machte er Äußerungen, die vielen im Westen geradezu kabarettistisch absurd erscheinen müssen. Doch es ist ihm bitterer Ernst, was wiederum gar nicht lustig ist.

Orbán sieht sich selbst als neuer Lincoln, Revolutionsheld und regelkonformer Bulldozerfahrer. Und er hört sich selbst sehr gerne zu...

Zunächst wurde er von Le Monde auf seine Rolle 1989 angesprochen und gefragt, ob er sich seit dem in ideologischer Hinsicht verändert habe. Orbán antwortete in typisch konservativem Schönsprech, ausgeschmückt mit magyarischem Heldenmut: für ihn zählten in erster Linie Werte und dass er sich als ein Freiheitskämpfer in der Tradition der Freiheitskämpfe von 1848 bzw. 1956 sieht. Außerdem hat vor allem die nationale Souveränität besondere Bedeutung für ihn. Er sieht sich als ein Mann des Volkes. Ob er sich nun geändert habe, sagt er nicht. Auf die Frage, wie er sich selber politisch definieren würde, antwortet er, dass er sich als ein “rechter Plebejer” sieht, der zur europäischen Volkspartei gehört. Allerdings stand 1848 für den Unabhängigkeitskampf gegen Habsburg, 1956 gegen die Swojetunion, gegen wen kämpft er heute?

Er sagt von sich, er sei Populist und vergleicht sich mit Abraham Lincoln. Nach seiner Auffassung bedeutet es populistisch zu sein, den Leuten zu sagen - dass man ihr Leben verbessern will und dass man „mit den Menschen für die Menschen“ regieren soll, eine Plattitüde, die uns auch schon Berlusconi verkaufen wollte. Zur Vereinbarkeit von Populismus und Demokratie meint er, es sei an der Zeit in Europa „freier“ über die Zukunft der Demokratie zu diskutieren. Was dies bedeuten soll, erwähnt er jedoch nicht.

Zum Thema des Machtungleichgewichts in Ungarn im Zuge der Verabschiedung der neuen Verfassung und der daraus resultierenden Besorgnis im Westen, meinte Orbán, dass es verständlich sei, dass sich die Leute fragen, “was zum Teufel gerade in Ungarn passiert.” Er stellt fest, dass die Gesetzes- und Reformflut Unbehagen im Westen hervorrufen kann. Le Monde vergleicht diese Gesetzesflut mit einer „legislativen Schocktherapie“, die wie ein Bulldozer die Demokratie zermalmt. Orbán begründet den eingeschlagenen Weg jedoch mit der schwierigen, ökonomischen Situation in Ungarn, welche schnelle und radikale Maßnahmen erforderte. „Unser Bulldozer hat jedoch immer die Verkehrsregeln befolgt.“ Offenbar dürfen Bulldozer in Ungarn mit 130 querfeldein fahren?!

Seiner Auffassung nach gab es drei Hauptprobleme, mit denen er fertig werden musste. Erstens gab es zu wenig Steuerzahler. Er gibt an, er habe die Zahl der Steuerzahler um 1,2 Millionen erhöht. Ein toller Erfolg, zahlen nun schließlich Mindestrentner und Sozialleistungsempfänger von ihren paar Forint auch noch Steuern, während die Besserverdiener um Milliarden entlastet wurden. Außerdem hätte das Land in Schuldensklaverei gelebt. Bis 2014 möchte er die Staatsverschuldung auf 70 % des BIP drücken. Er sieht es als seine persönliche Aufgabe, die Privatverschuldung zu reduzieren. „Ich habe keine Annullierung der Schulden gefordert, ich bin nicht Spartakus. Ich habe mit den Banken eine Staffelung der Schulden zu fixen Wechselkursen verhandelt.“ - Zum Budgetchaos und immer neuen, aufreissenden Löchern sagte er nicht so viel.

Als drittes Hauptproblem benennt er die Armut. Um dieser vorzubeugen, möchte er die Mittelschicht stützen. Wie er damit aber die noch und schon Armen stützen möchte, sagt er allerdings nicht, womöglich, weil er es gar nicht will. Zur Problematik der Vereinbarkeit von seiner Interpretation von nationaler Souveränität mit der Zugehörigkeit zur Europäischen Union wich er aus. Er definiert die Europäische Union als eine Wertegemeinschaft, spricht jedoch nicht vom Faktum der Rechtsgemeinschaft und der politischen und wirtschaftlichen Union. Somit zeigt er nur, dass die ungarischen Werte auch europäische Werte seien, aber auf die eigentliche Frage antwortet er wieder nicht.

Hinsichtlich der Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank sagte er, dass es schwierig sei, die Wirtschaftspolitik der Regierung mit der der Zentralbank zu vereinbaren. Die Regierung möchte die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen ankurbeln. Die Tatsache, dass ein Vertreter der Regierung im Währungsrat der Bank teilnehme, sieht er nicht als Problem. Er zeigt sich jedoch offen für Änderungen nach Aufforderung der Kommission. Orbán ist dahingehend ja ohnehin gerade auf Schmusekurs.

 

Bezüglich einer Erneuerung der Klubradio-Frequenz, meint er, dass es ausschließlich finanzielle Gründe gewesen seien, die zur Nicht-Erteilung der Sendeerlaubnis geführt haben. Seiner Aussage nach sind finanzielle Hilfen des Westens für Klubradio jederzeit willkommen. Der war gut, kann man da nur sagen, was für eine Vorlage für die Fidesz-Propagandisten wäre es wohl, wenn westliche Institutionen ein Oppositionsradio in Ungarn finanzieren... Schlussendlich weißt er jede Verantwortung für die Ernennung György Dörners – eines bekannten Rechtsradikalen – zum Intendanten des Neuen Theaters in Budapest weit von sich, dies sei die alleinige Entscheidung des Bürgermeisters von Budapest gewesen. Der ist zwar Parteikollege, aber die beiden können sich nicht leiden. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Ob Orbán, der neue Lincoln, auch selbst ins Neue Theater gehen würde, das fragte man ihn in Frankreich allerdings nicht.

Philipp Karl

 

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