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(c) Pester Lloyd / 07 - 2012      WIRTSCHAFT 17.02.2012

 

Gordische Knoten

Warten auf den IWF: Ungarn scharrt mit den Hufen

Der IWF hatte bereits klar gemacht, dass es ohne ein "Go" aus Brüssel keine offiziellen Verhandlungen über ein "finanzielles Sicherheitsnetz" geben wird. Das O.K. erhofft sich die ungarische Regierung nun bald nach der Übermittlung der Antwort auf die Vertragsverletzungsverfahren. Einfach werden sich die EU-Vorbehalte nicht in Luft auflösen lassen, so wichtig der Sicherheits-Kredit für Ungarns finanzielle Gesundung auch sein mag. Aktuelle Entwicklungen...

Für Anfang März erwartet die ungarische Regierung die Aufnahme von offiziellen Verhandlungen mit dem IWF . Das folgert man in Budapest aus der fristgerechten Abgabe der von der EU-Kommission angeforderten Stellungnahmen zu den drei eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren. Allerdings fürchtet Vizepremier und Justizminister Navracsics, dessen Auftritt vor einer Woche in Brüssel noch tagelang zum Teil hässliche mediale Wellen in Ungarn schlug, weitere "Streitpunkte" mit der EU, u.a. über das Gehalt des Nationalbankchefs , das "wie jenes aller Beamten" einer Obergrenze unterliegt und die Frage des Diensteides, den er, nach der neuen Verfassung ablegen soll.

Hinsichtlich des Pensionalters für Richter würde die Regierung der EU "die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung über 62 Jahre in einigen Fällen" anbieten. Nun solle die EU aber bitte auch Kompromissbereitschaft zeigen. In einer Fernsehsendung des regierungstreuen HírTV sprach Navracsics davon, dass er eine Reihe von "Böswilligkeiten gegen Ungarn" erkennt, aber hofft, "unsere Partner in Gesprächen überzeugen zu können". Die Partner haben Ungarn, nicht erst seit der EP-Resolution, genauer im Visier und es könnte sich bald herausstellen, dass die drei Verlagsverletzungsverfahren auch formal nur die Spitze eines Eisberges sind, denn mittlerweile prüfen so ziemlich sämtliche EU-Institutionen die komplette neue Legislatur des Landes auf Verstöße gegen EU- und Grundrechtsregularien.

Der IWF hatte bereits klar gemacht, dass es ohne ein "Go" aus Brüssel keine offiziellen Verhandlungen über ein "finanzielles Sicherheitsnetz", sprich, einen Stand-by-Kredit von 15 bis 20 Mrd. EUR geben wird. Doch der Währungsfonds hat auch eine eigene Wunschliste, bei der sich mehr und mehr die flat tax als gordischer Knoten herausbildet. Offiziell argumentiert der IWF, dass die Rate von 16% dem Abbau des Haushaltsdefizits entgegenwirke und soziale Härten erhöhe, inoffiziell ist aber davon auszugehen, dass der IWF im Interesse anderer, größerer Staaten einen zu derben Steuerwettbewerb eindämmen soll, schließlich wäre ein soziales Gewissen eine sehr unerwartete Neuerung im Gebahren der Multinationenbank. Wie wir bereits ausführten, läge auch eine ziemlich finstere Ironie darin, sollte ausgerechnet der IWF zum “Retter der Demokratie” in Ungarn aufsteigen.

Ansonsten dürften auch die Kosten für die Banken hinsichtlich des Umtausch-Schemas für Forex-Kredite eine Rolle spielen. Der IWF wird wohl darauf achten, dass die Frage eines möglichen Zwangsumtausches für Kredite und Anleihen der Kommunen vom Tisch gefegt wird.

Flat tax nun doch verhandelbar?

Erstmals hat ein Regierungsvertreter, Finanzstaatssekretär Zoltán Cséfalvay, angedeutet, auf diesem Gebiet "Zugeständnisse" für möglich zu erachten, nicht ohne sofort mit einer Fuhre Wenns und Abers nachzulegen. Er sagte, dass an dem Instrument einer flat tax grundsätzlich nichts zu kritisieren sei, das System sei Teil einer freien Wirtschaft und funktioniert auch in anderen Ländern. Zudem seien in der dreijährigen Einführungsphase ohnehin Mechanismen am Werk, die untere Einkommensgruppen "entschädigen" sowie den oberen zusätzliche Abgaben aufbürden, womit es sich quasi noch um ein mehrstufiges Steuersystem handelt. Premier Orbán hatte gerade erst vor wenigen Tagen die Unantastbarkeit seins Lieblingsprojektes betont und jeder Regierungspolitiker in Ungarn ist angehalten, stets das Wort “proportional” im Zusammenhang mit der flat tax mitzuliefern, in der Hoffnung, die Bevölkerung durch Zermürbung zum Glauben zu bringen.

Das Chaos der Flat tax en Detail
und die
Auswirkungen für die unteren Einkommensgruppen

Sowohl der staatliche Schuldendienst ÁKK wie auch die Nationalbank MNB machen ihre Aktivitäten immer mehr von einem baldigen Übereinkommen mit dem IWF abhängig und scharren regelrecht mit den Hufen. So stellte sich heraus, dass die - von dieser Regierung entsandten - neuen Mitglieder des Währungsrates einen weiteren Leitzinsschritt am Dienstag verhindert haben, es trat also genau jener Fall der politischen Einflussnahme ein, der eigentlich verhindert werde sollte. Es wurde erklärt, man woll damit bis zu einem IWF-Abkommen warten. Auch MNB-Chef Simor sagte, dass ein solches Abkommen "unabdingbar" sei, um Vertrauen in die ungarische Wirtschaft wieder herzustellen, ihm wäre aber eine Anhebung wegen der Inflationsgefahr und zur Währungsstützung lieber gewesen.

Derweil erklärte der staatliche Schuldendienst ÁKK, dass man wohl bis zum Abschluss eines Abkommens warten werde, bevor man sich wieder auf dem Finanzmarkt um den Verkauf von Devisenanleihen bemüht. 2012 müssen knapp 5 Mrd. EUR refinanziert werden, das meiste davon Schulden aus dem IWF-Notkredit von 2008, was schon das Dilemma eines neuen IWF-Kredits erklärt. Die kurzfristige Refinanzierung des Landes sei in keinster Weise in Gefahr, beteuerte dazu Staatssekretär Nátrán und beträfe meist nur Altlasten. Der laufende Haushalt habe einen Fremdfinanzierungsbedarf von gerade 2,1% des BIP bzw. 674 Mrd. HUF (2,3 Mrd. EUR), was nahe an einem historischen Tiefststand sei. Zum Vergleich, 2011 waren es 4,5% des BIP.

Das ÁKK hatte am Donnerstag planmäßig 50 Mrd. Forint (ca. 172 Mio. EUR) in 1jährigen Staatsanleihen am Markt platziert. Die Nachfrage (78,8 Mrd.) war deutlich geringer als vor zwei Wochen (98,5 Mrd.), dennoch blieb die durchschnittliche Verzinsung mit 7,69% 16 Basispunkte unter jener vor 14 Tagen, ist aber immernoch deutlich zu hoch um als verkraftbar zu gelten. Alles über 6% gilt selbst unter Bankern als langfristig heikel, auch wenn von dieser Seite ständig dafür gesorgt wird, dass die Zinsen möglichst immer am oberen Ende des gerade noch für ein Land verkraftbaren liegen. Fallen sie darunter, sprechen Analysten gerne von "nicht ausgeschöpftem Renditepotential".

Ob die Beibehaltung des Leitzinses ein weiser Schritt war, wird sich bald erweisen. Immerhin fiel die Januarinflation mit 5,1% deutlich höher aus als im Dezember und zusätzlich wird die MNB, wie berichtet, Liquidität in die Banken fließen lassen, um die Kreditklemme vor allem bei Unternehmen zu lösen, zusätzlich sollen auch Forint-Hypthekendarlehen erleichtert werden, indem die MNB entsprechende Anleihen der Banken kaufen will.

 

Ob das Geld beim Endkunden auch ankommt, darf aber bezweifelt werden, viel eher wird das Geld gebunkert werden. Die größte in Ungarn aktive Bank, OTP, warnte gestern, dass die Kreditportfolios für Unternehmen 2012 um bis zu 6% zurückgehen könnten, da es "praktisch unmöglich ist, größere Projekte zu finanzieren". Auch der langjährige Chef der MKB (BayernLB Tochter), Tamás Erdei, dessen Abgang aus dem Vorstand der defizitären Bank gestern verkündet wurde sprach davon, dass sie die meisten ungarischen Unternehmen nach wie vor in einem "Überlebensmodus" befinden, bei dem an mittelfristige Planung nicht zu denken sei. Die OTP schloss außderdem aus, sich verstärkt bei der Finanzierung der klammen ungarischen Kommunen engagieren zu wollen, diese werden sich also doch mit ihren "ausländischen" Geldgebern einigen müssen.

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cs. / red.

 

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