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(c) Pester Lloyd / 07 - 2012      POLITIK 15.02.2012

 

Schlachtenlärm und Rosenkranz

Ungarn im Krieg: Die politische Woche in Budapest

Nimmt man die Statements der ungarischen Regierungspolitiker für bare Münze, befindet sich Ungarn mitten im Krieg, mit so ziemlich allem, außer Polen und Litauen, die neueste Kriegserklärung stammt aus Holland. Wiederholtes Schlachtfeld wird heute das EU-Parlament sein. Dabei ist das Unglück im Lande schon so hoch wie sonst nirgends, wogegen nicht einmal 17 neue Kirchen helfen werden, vielleicht aber verschärfte Rosenkranzgebete, denn die öffneten bekanntlich schon die Mauer. Der Vatikan hält sich allerdings lieber an klingende Münze...

WARNHINWEIS: Dieser Beitrag enthält satirische, ironische
und subjektive Elemente und ist für Jugendliche ungeeignet. Ein Medienrat.

Premier Orbán und sein Vize halten Kriegsrat.

Danksagung an die Verteidiger Ungarns

Auf der Parlamentssitzung am Montag, über die wir hier bereits berichteten, hat der Staatssekretär im Außenministerium, Zsolt Németh (Fidesz), eine Resolution eingebracht, wonach Polen und Litauen förmlich für "ihre Unterstützung während der Angriffe gegen Ungarn" gedankt werden soll. Das Parlament möchte ein entsprechendes Schreiben "an die Staatsführung beider Länder" übersenden. Németh ergänzte, "Ungarn, die ungarische Demokratie und die Souveränität des ungarischen Volkes hatten kürzlich schwere und unberechtigte Angriffe zu erleiden", aber die "Führer von Polen und Litauen haben unser Land standhaft verteidigt." Beide Ländern hätten die "Mitteleuropäische Idee" verteidigt, schließlich wüssten sie sehr genau, "was es psychologisch, politisch und ökonomisch bedeutet, ein postkommunistisches Land zu sein und wie schwer es ist, radikale Veränderungen vorzunehmen und die postkommunsitischen Netzwerke zu eliminieren."

Man ist sich einig geworden...

Rosenkränze gegen feindliche Divisionen

Das Parlament in Litauen hatte im Januar eine Resolution zur Unterstützung der ungarischen Regierung beschlossen, der polnische Premier Tusk hatte lediglich seine politische Unterstützung gegen "überzogene Reaktionen" erklärt. Einige polnische Reisegruppen waren auf der Pro-Orbán-Demo gesichtet worden. Orbán hatte dem staatlichen polnischen Fernsehen sodann ein langes Interview, einigermaßen ziemlich abstruses Interview gegeben, in dem er eine Art national-klerikale Befreiungstheologie darlegte und u.a. behauptete, dass massive Rosenkranzgebete (sogenannte Rosenkranzkreuzzüge) dem österreichischen Volk einst die Freiheit von sowjetischer Besatzung gebracht hätten. Das ultrakatholische Gloria.tv, gegen den der Papst wie ein linkes Weichei wirkt, beglückt uns mit deutscher Untertitelung.

Nationalisten in Polen und Ungarn eint ein ähnlich gelagerter Opfermythos und das Schicksal der ewigen Fremdbeherrschung, wobei wir im Moment nicht genau wissen, welche fremden Lebensformen aktuell die Ungarn oder ihre Repräsentanten beherrschen.

Hier das Interview mit deutschen Untertiteln, für die, die nicht glauben wollen...

 

Trotz aller Gebte, der "War on Hungary" geht weiter: Wie schon berichtet, werden zwei Amazonen des Europarates (nicht des Europäischen Rates, wie wir fälschlicherweise gestern schrieben, nostra culpa!) Ende der Woche über Ungarn herfallen, in der nächsten Woche folgt die nächste Angriffswelle: eine "Delegation" (Division) der Venedig Kommission wird in Budapest einmarschieren und sich die Strukturen und Reformen der Justiz genauer betrachten. Auch hier wird ein Österreicher dabei sein, mehrere Deutsche (!), ein Serbe (!!) und ein Pole, was vielelicht hoffen lässt.

Eine weitere dieser "Attacken gegen Ungarn" wird heute im Europäischen Parlament erneuert. Allerdings ist man sich bei der "links-liberalen Antiungarnkoalition" (O-Ton Fidesz-Sprecher) noch nicht einig, welche Folterinstrumente gegen die Regierung des kleinen freiheitsliebenden Volkes anzuwenden sind. Während Liberale und Grüne ein umgehendes Verfahren nach Artikel 7 anstreben, an dessen Ende - in ein paar Jahren - die Aberkennung des Stimmrechts im Rat stünde, wenn Ungarn dem zustimmt (!), schlägt Hannes Swoboda, Chef der sozialistischen Fraktion und Österreicher (!) vor, lieber einen umfänglicheren “monitoring process” abzuhalten, schließlich seien Sanktionen nicht immer produktiv. Man kann die Sache abkürzen: beides führt zu nichts. Swoboda war "übers Wochenende" in Ungarn und stellte eine "deutliche Klimaverschlechterung" fest, vor allem die Angriffe gegen europäische Parlamentarier von Seiten regierungsnaher Medien seien "unglaublich und beispiellos" (Bayers Attacken auf Kroes und Lunacek, siehe hier). Vielleicht sollte Swoboda mal während der Woche nach Ungarn kommen, dann hätte er längst seine Beispiele.

Das Unglück ist ein Meister aus Ungarn

Über die miese Stimmung in Ungarn gibt es übrigens eine brandaktuelle Statistik. Das Magazin Portfolio.hu wertete eine internationale Ipsos-Umfrage aus, wie "glücklich" die Menschen denn sind. In 24 Ländern wurde gefragt, kurz: die Länder mit vielen, wirklich sehr armen Menschen z.B. Malaysia, Indien, Brasilien sind "very happy", teilweise mit Raten von 40% total Glücklichen, die Industrienationen halten sich so im Mittelfeld mit 15-20%, abgestuft nach ihrem materiellen Wohlstand und politischer Stabilität, dann kommt eine Weile nichts und dann kommt Ungarn: 6% sind glücklich, der Rest badet in Elend und Selbstmitleid, Tendenz weiter fallend. In der nächsten Woche berät das Parlament ein Gesetz zur Promotion von “Hungaricum” benannten Spezialitäten. Vielleicht sollte man die “autodestruktive Melancholie” pannonischer Prägung auch zu einem solchen immateriellen Weltkultureerbe erheben, um daraus wenigstens touristisches Kapital zu schlagen. Immerhin gelang das den Portugiesen auch mit dem Fado.

Apropos Glück auf Erden und im Himmelreich: weitere 17 Religionsgemeinschaften in Ungarn werden den Status von Kirchen im Sinne des neuen Religionsgesetzes erhalten. Das geht aus einer Empfehlung des zuständigen Parlamentsausschusses hervor. Im neuen Gesetz mussten sich alle, außer die 14 "historischen Kirchen" neu für eine Einstufung bewerben, womit entsprechende steuerliche Privilegien verbunden sind. Es sind drei Stufen vorgesehen, die unterste geht noch hinter das Vereinsgesetz zurück. Das Gesetz wurde von verschiedenen Kreisen kritisiert, auch, da aufgrund des Verfahrens, praktisch eine politische Partei über Wohl und Wehe von Religionsgemeinschaften entscheiden kann. Neben den traditionellen christlichen Gemeinschaften sowie den Juden werden nun auch Muslime, Anglikaner, Methodisten, Mormomen, diverse Buddhisten und die Zeugen Jehovas als Kirchen anerkannt. Wer in dieser Runde abgelehnt wurde, gab man noch nicht bekannt.

Klingende Münze für ein Halleluja

Gleichzeitig kam der Vatikan darauf, dass die flat tax der katholischen Kirche in Ungarn einige finanzielle Einbußen bescheren wird. Denn ein nicht unwesentlicher Teil der Einnahmen wird über die Regelung realisiert, nach der jeder Steuerzahler 1% seiner Einkommenssteuer einem "wohltätigen" Zweck zuführen kann, wobei die katholische Kirche lustigerweise inkludiert ist. Nun sind aber 16% von 1% weniger als die vorher zu zahlenden 32%. Beflissen hat Vizepremier und Opus dei-Groupie Zsolt Semjén angekündigt, eine angemessene Kompensation für die nicht so gottgefälligen Ausfälle angekündigt. Hier böte sich der österreichische Weg an: das Nachbarland zahlt der katholischen Kirche jedes Jahr 40 Mio. EUR als "Ausgleich für im Zweiten Weltkrieg erlittene Schäden". Unbefristet und ohne Quittung, was zwar in gewisser Weise einer Säule des Glaubens widerspricht, immerhin erwarten wir doch bald das Ende und jüngste Gericht etc., aber doch irgendwie für den Realitätssinn der Brüder im Glauben spricht.

Nulpen aus Amsterdam: Webseite gegen stinkende Osteuropäer

Apropos Realität. Einen leisen Hinweis, wer die wirklichen Feinde der Ungarn, wie auch anderer Osteuropäer sind, gab es aus Holland: Der ungarische Botschafter in Den Haag hat sich der Initiative von zehn ostmitteleuropäischen Staatenvertretern angeschlossen, die einen Brief an die Regierung der Niederlande verfassten, aus Protest gegen eine diskriminierende Webseite. Die Partei des holländischen Nationalisten, Rassisten und Chauvinisten Geert Wilders, die als Dulder Teil der Regierungskoalition in den Niederlanden sind, hat eine Webseite online gestellt, auf denen sich Bürger über "die Plage aus Osteuropa" auslassen sollen. Alle, die sich durch Einwanderer aus Osteuropa "belästigt" fühlen, wegen ihnen ihren Job verloren hätten oder sonst über "Gestank, Saufgelage, Lärmbelästigung, Müll" durch diese Arbeitsmigranten gestört seien, sollten sich äußern, so Wilders Parteisprecher. Die niederländische, rechts-"liberale" Regierung vermied bisher eine deutliche Verurteilung dieser Aktion, sondern äußerte, wohl mit Rücksicht auf die Duldungsabsprache, dass man sich zu "Parteiaktionen nicht äußern" werde. Auch die EU winkte ab, man könne nur gegen diskriminierende Handlungen von Regierungen bzw. staatlichen Behörden, nicht aber gegen einzelne Parteien vorgehen.

Apropos nicht gegen einzelne Parteien vorgehen: Das Ministerium für Justiz und Öffentliche Verwaltung, geführt von Tibor Navracsics, hat, eineinhalb Jahre nach Antritt dieser Regierung ein Antikorruptionsgesetz zur "öffentlichen Diskussion" gestellt. Die Einführung der Maßnahmen ist bis Ende 2014 vorgesehen. Im Zentrum steht dabei ein "Ethikkodex", auf den alle öffentlich Beschäftigten in Zukunft zu schwören hätten. Darin soll klar erläutert sein, welches Verhalten als "unethisch oder Akt der Korruption" zu qualifizieren ist, mit entsprechenden Konsequenzen. Ein "regelmäßgies Risiko-Monitoring" in den Behörden soll schon im Vorfeld solche Vorgänge einkreisen, die zu "bestechlichem" Verhalten verleiten könnten. Teil des Paketes soll auch eine Überarbeitung des Strafgesetzbuches sowie der Regularien für öffentliche Ausschreibungen sein, um "Korruptionsgefahren effzienter auslöschen zu können". Die staatlich installierte "Beamtenuniversität" wird einen eigenen Antikorruptionslehrgang verpflichtend abhalten. Die EU stellt Gelder für die Implementierung des Programmes zur Verfügung, verlangt dafür aber im Herbst 2013 einen Zwischenbericht vom Antikorruptionskommissar der OECD.

 

Und was war sonst noch los?

Gestern wurde ein ehemaliger sozialistischer Regierungskommissar zu einer Bewährungsstrafe veruteilt, weil er einem Fahrradfahrer mit einer Knarre vor der Nase herumfuchtelte, nachdem er ihn auf der Andrássy út angefahren hatte. Die Geschichte kostet ihn 100.000 Forint Strafe und einen Eintrag ins Strafregister. Nach der neuen Logik ungarischer Rechtsprechung müssten nun im Gegenzug alle Fahrradfahrer mit Revolvern ausgestattet werden.

Ryanair will Wizzair vor ein EU-Gericht bringen, weil Ryanair-Vize Cawley glaubt, zu wissen, dass "der letztendliche Eigentümer" der Konkurrenten kein "EU-Bürger" ist, was die Lizenzen hinfällig machte. Über Budapest tobt sozusagen gerade ein Luftkrieg, um bei der Regierungsrhetorik zu bleiben. Die Billig-Geier Ryanair und Wizzair überbieten sich gegenseitig im Fleddern des Malév-Kadavers. Ryanair schießt eine Million Euro in die Werbung und etliche Billigsttickets in den Markt. Beide eröffnen stündlich neue Verbindungen, Wizzair sogar eine tägliche von Debrecen nach London. Und zurück? Womöglich. Aber wozu?

red. / etc.

 

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